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Kultur: Das Ende der Liebe als nasser Lappen
Heute hat das Stück „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ am HOT Premiere. Der Autor ist einer der wichtigsten französischen Gegenwartsautoren – Joël Pommerat
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Räumen wir zunächst mit einem Missverständnis auf: In „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ geht es nicht um Weltpolitik. Es spielt nicht mal, wie man vielleicht meinen könnte, auf verschwurbelte Weise auf jüngste deutsche Geschichte an. Nein, das Stück des französischen Gegenwartsautors Joël Pommerat ist anders ehrgeizig. Anstatt die große Welt auf eine kleine Bühne zu holen, nimmt es sich die größte Sache der Welt und zerschlägt sie in kleine Stückchen, sodass vom großen Ganzen nicht mehr als eine Ahnung bleibt. „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ ist ein Stück über die Liebe. Über die zwischen Mann und Frau, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Männern, zwischen Lehrern und Schülern. Eigentlich ist es ein Stück über die Unmöglichkeit der Liebe. Über das trennende Bisschen, das eine vollständige Einheit zwischen Liebenden unmöglich macht. Eifersucht, Krankheit, Perfektionismus.
Die Form von „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ spiegelt diese Unmöglichkeit. Das Stück besteht aus 16 Stückchen. 16 Szenen. Jede steht für sich, umreißt eine Geschichte und bricht ab, bevor sie zu Ende erzählt wäre. Die Szenen haben mit einander nichts zu tun, bis auf die Tatsache, dass Menschen hier zu einander finden wollen und es nicht schaffen. Ein Paar zum Beispiel, das kurz vor der Hochzeit daran scheitert, dass der zukünftige Ehemann mit dem gesamten Umfeld der zukünftigen Ehefrau unzünftige Techtelmechtel hatte. Ein kinderloses Ehepaar, das ein Kindermädchen bezahlt, um eine leere Wohnung zu hüten. Zwei Männer, deren Freundschaft daran zerbricht, dass der eine dem anderen sagt, was er von ihm hielt, ehe sie Freunde wurden. Das ist absurd, und manchmal auch ganz banal. Manchmal plätschern die Gebrauchsdialoge dahin, um dann urplötzlich durch einen einzigen Satz dieses Alltagsgerüst zum Einstürzen zu bringen. Wie in der Szene, wo zwei Männer miteinander tanzen, bis der eine sich löst und verkündet: „Liebe reicht nicht.“ Daraufhin geht er, er wird nicht wiederkommen, nichts erklären. Das Ende der Liebe befällt die Figuren wie ein nasser Lappen. Kalt, gewöhnlich, brutal, endgültig. Perfektes Bild dafür ist der Erhängte, der in einer Szene des Stückes über einer Putzkolonne baumelt, ohne dass sie sich groß um ihn kümmert.
Joël Pommerat, der Autor dieses dunklen, komischen Textes, ist in Deutschland so gut wie unbekannt. In Frankreich ist er einer der wichtigsten Gegenwartsautoren. Mehr noch, er ist dort der Autor der Stunde. In diesem Jahr erhielt er den „Molière“, den wichtigsten französischen Theaterpreis, in gleich vier Kategorien. Drei Auszeichnungen für seine jüngste Arbeit „Ça ira (1) Fin de Louis“ - auf Deutsch etwa: „Wird schon (1) Das Ende von Ludwig“. Gemeint ist Ludwig XVI., der im Zuge der Französischen Revolution seinen Kopf verlor. Eigentlich gemeint ist aber das Frankreich dieser Tage. Pommerat schrieb an dem Text, als die Attentate auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ geschahen. Am 13. November 2015, am Tag der Anschläge in der Pariser Innenstadt, wurde es in Nanterre nördlich von Paris gespielt. Es war danach wochenlang ausverkauft – obwohl es eigentlich „nur“ ein Debattenstück ist. Oder gerade deswegen. Es ist ein Stück über die Französische Revolution, bevor sie blutig wurde. Viereinhalb Stunden führt das Ensemble in „Ca ira“ die Debatten der Nationalversammlung auf, redet, brüllt, rennt herein und hinaus, um die Zuschauer herum, und stellt die Frage so auch ans Publikum: Was soll unsere Gesellschaft für eine werden?
Joël Pommerat, Jahrgang 1963, ist nicht nur Autor, sondern auch Regisseur, jeder seiner Texte wird noch beim Entstehen von Schauspielern ausprobiert, weiterentwickelt. Seit 1990 hat der ausgebildete Schauspieler seine eigene Truppe, die Compagnie Louis Brouillard. Er schreibe, um denken zu können, sagt er. Manchmal sind seine Texte surreal, Geschichten nicht linear erzählt. Seine Bühnenästhetik ist vom Spiel mit Licht und Schatten geprägt, es gibt viel Dunkel, viel Stille, Stimmen werden durch Mikroports und Mikrofone verstärkt. Seine Märchenadaptionen („Aschenputtel“, „Pinocchio“, „Rotkäppchen“) sind von albtraumhafter Kälte. Und dennoch sagt Pommerat, das einzige, was ihn interessiere, sei das Reale. Die Realität, wie er sie empfindet. Er sagt nicht: die Wahrheit. Das Reale. Er sagt auch: „Für mich ist Theater kein politischer, sondern ein künstlerischer Akt. Das genügt.“ Wobei das weltfremder klingt, als seine Kunst es ist. Pommerat ist nur niemand, der die Welt mit Erklärungen zumöhlen will. Noch so ein Pommerat-Satz: „Kunst und Politik, das sind Dinge, die existieren auch ohne die Worte, die wir dafür verwenden.“
Ähnlich also wie die Liebe, um die es in „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ gehen wird. Die Besetzungsliste des Stücks liest sich übrigens sportlich: Siebenundzwanzig Frauen, vierundzwanzig Männer – und „jemand, der singt“. Für die Potsdamer Inszenierung von Stefan Otteni sind elf Spieler vorgesehen.
Kleine Notiz am Rande: Der Schauspieler Martin Reinke hat vor ein paar Tagen den prestigevollen Nestroy-Theaterpreis dafür erhalten, in der Inszenierung am Wiener Burgtheater sechs dieser Rollen bravourös im Alleingang gemeistert zu haben. Wenn das kein Ansporn ist.
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