Foto-Ausstellung im Kunstraum: Das Foto als Körper
Florian Merkel zeigt im Kunstraum seine aus der Zeit gefallenen Werke.
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Sie räkeln sich, kauern, klettern übereinander: Die Menschen auf Florian Merkels Bildern sind fast immer in Bewegung. Dass die feine Buntstiftzeichnung – aus der einmal ein Kuppelgemälde für den Baden-Württembergischen Kunstverein werden sollte – auf Fotos beruht, mag man sich beim Betrachten gar nicht mehr so richtig vorstellen. Denn Merkels Motive bestehen hier aus nichts als feinen, treffsicheren Linien, erinnern eher an Aktstudien als an Fotografie.
Aber das klassische Foto – Abzüge der Realität – sind Merkels Sache ohnehin nicht. Seine Arbeiten, die ab Donnerstag, dem 6. März im Kunstraum an der Schiffbauergasse zu sehen sind, wirken eher wie Zwitterwesen. Halb Malerei, halb Fotografie. Dabei fing Merkel relativ klassisch an: Studium der Fotografie in Leipzig, Anfang der 1980er-Jahre. „Ich wusste, ich muss das machen“, sagt der Mann mit den wachen Augen. Und so viele Möglichkeiten auf ein Kunststudium habe es in der DDR schließlich nicht gegeben. In eine der Malklassen zu gehen, hätte ihn gelangweilt, gesteht er. „In Leipzig wurden dort im ersten Jahr nur Gipsköpfe gezeichnet – darauf hatte ich nun keine Lust.“ In der Fotografie hingegen hatte er viele Freiheiten, viel technisches Wissen gab es – angesichts der Ausrüstung, die aus den 1950er-Jahren stammte – ohnehin nicht zu erwerben. Also setze er sich mit Bildaufbau, Motiven, allem Inhaltlichen auseinander.
Und er probierte Dinge aus, experimentierte. Mitte der 1980er-Jahre, fing er an, seine Bilder zu kolorieren. „Das war damals absolut verpönt, das war Ih-bäh“, sagt er. Ihm aber machte es Spaß, dieser ironische Bruch mit dem ernsten. Für seine Abschlussarbeit porträtierte er Künstler, Arbeiter, ganz ernsthaft. Dem wollte er etwas Ironisches entgegensetzen. Oft porträtierte er sich dabei selbst. Mit FDJ-Armbinde und Gewehr im Anschlag aus einem Dachfenster zielend. Seine Haare hat er leuchtend orange koloriert, auch der Rest des Bildes glüht vor Farbe.
Irgendwann nach der Wende begann Merkel, der in Hannover und Berlin lebt, mehr zu verdienen, konnte sich Modelle leisten und musste sich nicht mehr ständig selbst als Motiv inszenieren. Stattdessen steht da ein einbeiniger Mann auf einem trüben Acker, unter einem grauen Himmel. Er stützt sich mit einer Hand auf seine Krücken, mit der anderen gießt er ein paar versprengte rote Blumen. Auch hier hat er mit Farben und Pinsel nachgeholfen. Doch etwa ab 2002 war Schluss, da hatte sich das mit dem kolorieren erübrigt. „Das war ja auch eine Art Auseinandersetzung mit Photoshop, dieser neuen Möglichkeit, Bilder so zu verwandeln, wie ich es mit dem Pinsel gemacht habe.“ Das sei ja nicht nur eine technische Entwicklung, sondern habe auch die Erwartungen verändert, die Menschen an Bilder haben.
Solche Erwartungen musste er natürlich erneut brechen – im wahrsten Sinne des Wortes: Er begann ganze Werkserien von Mehrfachbelichtungen, Fotos also, auf denen mehrere Motive übereinander lagern wie zarte Schleier. Auf einigen zerlegt er dabei ganze Städte zu einer luftigen, statisch unmöglichen Architektur. Auf anderen entstehen aus den übereinandergelagerten Motiven neue Welten: Die Gruppe Picknicker etwa, die in der Abenddämmerung unter Bäumen sitzt. Der überbelichtete Busch im Vordergrund wirkt mit seinen kleinen weißen Blüten wie ein Tor zu dieser dunklen Welt – auch, wenn beide Motive sich in Wahrheit nie begegnet sind. Auch hier hat Merkel wieder eine spezielle Farbgebung gefunden: Mit einer Stapel überlagerter Filme. Die Rollen hatte sich über die Zeit chemisch verändert, so dass die Bilder alle einen Magenta-Stich haben, dieses intensive Pink, das allem ein eigenes Leuchten verleiht.
Zusammen mit den Effekten der Überlagerung wirken diese Fotos wie verwunschene Zeugnisse einer anderen Zeit. Auch das ist für Merkel wieder eine Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung. „Die Welt in meiner Jugend war so bunt wie die heute“, sagt er. Wenn die 1970er-Jahre aber heute, im Kino etwa, dargestellt würden, dann seien sie stets erkennbar: diese speziellen Filter, die der Vergangenheit die Strahlkraft nehmen, sie pastelliger aussehen lässt. Wie ein mit den Jahren verblasstes Polaroid – dass die nicht die Welt von damals zeigen, ist schnell vergessen. „So wird heute ein ganz seltsames Zeitbild produziert“, sagt Merkel. Der Online-Fotodienst Instagram etwa macht aus jedem Schnappschuss ein retro-romantisch, verblichenes Kunstwerk. Merkel kann damit wenig anfangen. „Die jungen Leute heute verlieren den Sinn für das Foto als Körper, alles ist mit einem Fingerstreich wieder weg. Auf dem Flohmarkt in alten Kisten mit Bildern wühlen – das wird später nicht mehr möglich sein.“ Der Gedanke, gesteht er, sei ihm aber erst gekommen, als sein Sohn anfing zu fotografieren. Digital natürlich.
Dabei hatte Merkel sich selbst schon längst Digitalfotografie, genähert. Als er aufhörte mit dem kolorieren, begann er, die Umrisslinien seiner Motive nachzuzeichnen. Die projiziert er dann an die Wand und schafft so riesige Zeichnungen, deren innerste Struktur eben doch auf seinem Medium, der Fotografie basiert. Die Wandbilder sind für den Moment – „wie eine Theateraufführung“, sagt Merkel. Wird die Ausstellung nach drei, vier Wochen abgebaut, verschwinden sie. Der Entwurf „Soziale Anmut“ für die Kuppel im Stuttgarter Kunstverein mit all den sich dehnenden und krümmenden Körpern bildete da eine Ausnahme.
Fotos, Malerei und Videos von Florian Merkel sind im Kunstraum, Schiffbauergasse, vom 6. März bis zum 6. April zu sehen
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