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Von Heidi Jäger: Das große Verwandeln

„Der ungeteilte Himmel. Bilder zum Buch“ im Filmmuseum: Eröffnung mit Michael Gwisdek

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Mit dieser Tolle und diesen Jeans war er natürlich der absolute Hingucker. Man ahnt, wie er einst mit Harald Juhnke und Bubi Scholz um die Häuser zog und das nächtliche Berlin verunsicherte. Und noch heute hat Michael Gwisdek etwas von diesem Unerschrockenen, Ungestümen und natürlich Interessanten. Denn wer hat schon eine so raffiniert in Falten gelegte Denkestirn? „Mich interessiert nicht die Vergangenheit, sondern das, was ich noch vor mir habe und was ich daraus machen kann“, sagt der 68-jährige Mime, der sich bis heute wie ein Jungfilmer fühlt, der seine erste Kamera in der Hand hält und dringend loslegen will.

Mit Michael Gwisdek kommt morgen ein Schauspieler ins Filmmuseum, der wohl bestens seine 19 Kollegen vertritt, die in der Foyer-Fotoschau „Der ungeteilte Himmel“ vereint sein werden. Wenn man bei Schauspielern überhaupt von vereint reden kann, denn natürlich sind sie ausgemachte Individualisten. Gerade das macht ihr Leben und Spiel so besonders und auch das Buch „Der ungeteilte Himmel“, das vom Filmmuseum herausgegeben wurde und darüber erzählt. Die erste Auflage ist bereits vergriffen und die jetzige Ausstellung dürfte ein guter Motor sein, auch die Nachauflage in Gang zu setzen. Waren die niedergeschriebenen Erinnerungen nur mit jeweils einem Foto versehen, gibt es nun zu jedem Schauspieler acht Schwarz-Weiß-Aufnahmen als Nachschlag. In wunderbarer Weise lässt sich so auf einem Blick die Wandelbarkeit und das Unnachahmliche eines jeden Protagonisten einfangen. Sie alle gehörten einst zur ersten Liga des DDR-Aufgebots und bestimmen zum Teil auch heute noch das gesamtdeutsche Spiel mit.

Drei der 19 Porträtierten haben sich von der großen Bühne des Lebens verabschiedet: Simone Frost, Horst Drinda und Eberhard Esche. Es ist schön, die Bandbreite ihrer Darstellungskunst noch einmal zu sehen, sich an ihre Auftritte in Film und Theater zu erinnern. Wie an Simone Frost als kämpferische Jungarchitektin in „Unser kurzes Leben“ oder an der Seite von Ekkehard Schall beim „theater 89“ im „Bruch“. Es ist wie beim Blättern durchs Familienalbum: Mit jedem Gesicht, jeder Figur kommen Erinnerungen hoch.

Mehr als 150 Fotos aus privaten „Schatullen“, von Dreharbeiten, Theateraufführungen und Lesungen werden präsentiert – oft in der Spanne mehrerer Jahrzehnte. Bei manchen ist ein zweiter Blick vonnöten, um im Jugendbildnis den späteren Star auszumachen. Wie bei dem schmalgesichtigen Rolf Hoppe in „Wölfe und Schafe“ am Dresdener Theater vor gut 50 Jahren. Als Trümmerfrau sieht man die junge Inge Keller lachend unter einem Kopftuch. Mit der Spitzhacke in der Hand steht sie vor dem Deutschen Theater, ihrer Wirkungsstätte, die sie bis ins hohe Alter nicht verlassen sollte. „Ich habe in jahrelangem, unablässigem Beschäftigtsein von den 30 Tagen eines Monats meistens 25, 28 auf der Bühne gestanden, von einer großen Rolle in die andere. Privates Glück entstand, schwankte, ist zerbrochen. Ich habe gespielt“, ist in einem Buch-Auszug zu lesen, das die Foto-Schau ergänzt. Geradezu charakteristisch ist ein Bild von ihr in der Einar Schleefs Inszenierung „Verratenes Volk“: Inge Keller sitzt auf der Bühne auf einem Thron und verschmilzt förmlich mit ihm.

Immer wieder hält man inne, staunt über den wildmähnigen flippigen Dieter Mann als Edgar Wibeau in „Die neuen Leiden des jungen W.“ oder den diabolischen Blick Christel Bodensteins in einem Tucholsky-Programm, der so gar nichts mit der Prinzessin im „Singenden Klingenden Bäumchen“ gemein hat. Die von Ingrid Poss, Birgit Scholz und Peter Warnecke betreute Ausstellung ist ein bühnenreifes Kaleidoskop durch die Gesichterwelten in Theater und Film. Denn es gehörte zur Normalität in der DDR, dass Schauspieler von der Bühne auch vor der Kamera standen. Wenn Peter Reusse abends Vorstellung am Deutschen Theater hatte oder Ezard Haußmann an der Volksbühne, wurde eben nur bis 16 Uhr gedreht. Jörg Schüttauf entschied sich nach der Wende gegen ein Engagement am Deutschen Theater, weil der Vertrag ihm nicht die nötige Freiheit zum Drehen gelassen hätte. Vielleicht wäre ihm sonst sein „Lenz“ durch die Lappen gegangen. So stand Potsdams großartiger „Amadeus“ nach seinem Engagement am Hans Otto Theater kaum noch auf der Bühne. Was wiederum im Buch nachzulesen ist. Eigentlich hätten die Fotos in das Buch hineingehört, auch wenn es schon jetzt mit seinen 480 Seiten ein ziemlicher „Klopper“ ist.

Dennoch trägt sich die Ausstellung auch allein, wirft eindrucksvolle Schlaglichter auf 60 Jahre Film- und Theaterkunst.

Eröffnung am morgigen Donnerstag, 18 Uhr. Gast ist Michael Gwisdek, dessen Regiedebüt „Treffen in Travers“ (DDR, 1989) im Anschluss an ein Gespräch und Ausstellungsrundgang aufgeführt wird

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