Kultur: Das Leben sportlich nehmen
Mike Bruchner zeigt bis 21. August in der Villa Kellermann seine „Arche“-Bilder
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Mike Bruchner zeigt bis 21. August in der Villa Kellermann seine „Arche“-Bilder Von Heidi Jäger Wenn er über Kürbisse und Sport erzählt, kann er sich etwas ablenken. Dann blendet er für einen kurzen Moment den plötzlichen Tod seiner erst 61-jährigen Mutter aus, der wie Blei auf ihm lastet. Die Vernissage seiner Ausstellung in der Villa Kellermann wollte sich Mike Bruchner noch nicht zumuten. Trauer braucht ihre Zeit. Viele der über 100 Gäste zeigen sich zur Ausstellungseröffnung bei diesem „Heimspiel“ Mike Bruchners verblüfft: Seine Kunst hat sich gehörig verändert. Zwar malte der Potsdamer schon immer gegenständlich, aber er legte ursprünglich sehr viel mehr Wert auf das Material, das er in dicken Schichten aufspachtelte. Jetzt hat er sich auf das „Grafische“ verlagert, auf „das Zweidimensionale“, wie Bruchner sagt. Seit dem Wochenende sonnen sich seine kraftvollen, überbordenden Tafelbilder im hellen Licht, das durch die großen Fensterscheiben seitlich hereinfällt. Schmeichelnd hebt es die satte Farbigkeit hervor. Doch der Schein trügt: Begibt man sich tiefer in die Bilder hinein, läuft auch schon mal ein kalter Schauer über den Rücken. Mike Bruchner erzählt Geschichten: rätselhafte, die sich nur durch das eigene Zutun allmählich erschließen – und dennoch vage bleiben. Die scheinbar zusammenhangslos nebeneinander stehenden Figurengruppen sind dem Betrachter wohl vertraut: aus der Werbung, der nationalsozialistischen oder real-sozialistischen Propaganda, der metaphernreichen Tierwelt und natürlich aus dem Sport. Doch die Mischung macht“s. Und da kommt man erst einmal ins Stutzen. Mike Bruchner liefert keine schnellen Antworten, er setzt auf das phantasievolle Mitziehen seiner Partner – die Betrachter. Dass sich seine Bilder immer wieder gegen das Normierte im Leben richten, wird indes sehr schnell deutlich. Die vielen Augen, die sich scharenweise auf der Leinwand ausbreiten, betrachten argwöhnisch das angepasste Treiben. „Es gibt nicht nur den einen Weg“, postuliert Mike Bruchner auch den Anspruch an sein eigenes Leben, das er vor sieben Jahren gründlich umkrempelte. Er verließ das ihm zu hektisch gewordene Leben in Berlin und Potsdam und zog sich auf das Gut Rosenkranz bei Kiel zurück: „In die totale Einöde. Nicht mal ein Handy-Empfang gibt es.“ Dort bewohnt er ein Kavaliershaus mit Stuck und Kamin und etwas morbidem Charme und hört nur in der Ferne das Brummen der Schiffe auf dem Ostseekanal. Ansonsten herrscht Ruhe. „Viele meiner Mitmenschen gingen mir mit der Zeit auf die Nerven, vielleicht habe ich mich deshalb zurückgezogen, um mich mit ihnen zu versöhnen.“ Jetzt ist er Untermieter von Friedemann Baron von Münchhausen, einem Hippi-Typ, und hat zum siebenten Mal seinen Mietvertrag verlängert. „Hier muss ich nicht auf die Nachbarn gucken.“ Gern läuft er auch mal die zwei Kilometer zum Dorfkrug. „Dort sitzen die Männer und schweigen sich beim Bier an. Wenn sie dann etwas sagen, hat das Hand und Fuß. Und ist verbindlich. Das gefällt mir.“ Ebenso wie seine Kürbiszucht. „Zehn Beete habe ich wie in einem französischen Barockgarten angelegt. Ein faszinierendes Farbspiel. Wenn ich im Garten bin, kann ich vollkommen abschalten. Sobald die Hände mit der Erde in Berührung kommen, sieht die Welt nicht mehr so schlimm aus.“ Auch das Kino kann ihn versöhnen, wenn er mal wieder die Nase voll hat vom hohlen Politikergeschwätz oder der Fernsehverdummung. „Ich setze mich dann in die letzte Reihe und genieße beim Popcorn-Essen die friedliche Happy-Stimmung . Dann denke ich: Man muss das Leben nur sportlich nehmen.“ Neben Familie und Freunden ist es gerade auch der Sport, der ihn mit Potsdam verbindet. Derzeit hat er eine Wette mit dem Buchhändler Carsten Wist zu laufen: Wer wird Sieger der Tour de France, Armstrong oder Ullrich? Er glaubt wie jedes Jahr an Ullrich, obwohl die Chancen wieder einmal schlecht stehen. Aber er finde es auch sympathisch, dass sich der Radprofi nicht nur ins Sportkorsett pressen lasse. „Er lebt eben zu gerne.“ Auch beim Boxen oder Fußball schlägt das Malerherz höher. „Diese Faszination für den Kampf ist sicher eine Männergeschichte.“ Auch auf seinen Bildern gibt es immer wieder sportliche Sentenzen. Eine akkurat gebaute Menschenpyramide wie man sie vom Turn- und Sportfest in Leipzig kennt, einen zu Boden geschlagenen Boxer Überschrieben ist die Ausstellung mit „Arche“, denn Mike Bruchner hatte die Idee, alle Tiere der Arche Noah zu malen. Und so kreucht und fleucht es immer mal wieder zwischen den vielen menschlichen Figuren: gibt es Affen, Pelikane, Schlangen. Und Rudolf Hess mit Hasenkopf. Mike Bruchner gibt nun doch noch eine Geschichte preis, die ihm beim Malen inspirierte. „Ich sah ein Foto der Familie Hess: der Vater in trauter Runde mit seinen fünf Kindern. Die Familie ist später über den Vater zerbrochen.“ Da er keinen „scheiß Nazi“ malen wollte, trägt Hess nun Hasenohren. Eine seiner Töchter, die später ein kritisches Buch über den Vater schrieb, hält eine Waffe in der Hand, aus der sich ein Argusauge löst. Die tragische Familiengeschichte mutet auf dem ersten Blick durchaus nicht düster an: Alles ist wohl verpackt. „Jeder macht doch gerne Geschenke auf.“ So strahlen die Bilder wie seine Kürbisse, doch innen finden die Kämpfe statt. Die Bilder scheinen wie für den Ort gemalt, obwohl der Künstler die Villa nur aus seiner Jugend-Zeit kennt, wo er manche Mark zur Disco trug. Sein einstiger Galerist Mike Gessner, der Mike Bruchner schon seit Jahren „coacht“, hat mit viel Gespür diese Ausstellung in das herrschaftliche Haus hinein gepasst. Noch bis zum 21. August ist sie dort zu sehen. Zum Abschluss soll es eine Finissage geben. Dann vielleicht mit Mike Bruchner, der sich als lebensbejahender Mensch sieht. „Jeden Morgen sage ich mir: ,Heute ist wieder ein schöner Tag“.“ Im Moment fällt ihm der Gedanke allerdings schwer.
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