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Blick in die Ausstellung der Urania mit den in Rot getauchten Monotypien von Agnes Sioda.

© Andreas Klaer

Von Heidi Jäger: Das Licht der Nacht

Von tanzenden Körpern, tanzenden Landschaften, tanzendem Licht: Agnes Siodas Bilder in der Urania

Stand:

Sie gleitet mit zehn „Pinseln“ gleichzeitig über das Papier: mal sanft, dann wieder mit Nachdruck. Agnes Siodas Malwerkzeuge sind die Finger. Nichts ist zwischen ihr und dem Blatt, wenn sie ihm ihre Geheimnisse einflüstert. Nägel und Kuppen tanzen im leichten Schwung der fröhlich-roten Farbe oder verlaufen sich im tiefen Schwarz der Nacht.

Die Monotypien aus ihrer Pariser Zeit, die Agnes Sioda ab heute in der Urania ausstellt, setzen auf einen starken Kontrast: Rot gegen Schwarz, Leichtigkeit gegen Schwere. Doch auch diese Schwere entfaltet beim tieferen Eintauchen durchaus ihre Leuchtkraft, dichte Zweigen öffnen sich und werfen ihre Schatten. Es ist wie im Märchenwald von Hänsel und Gretel, deren Spur man bange folgt, um am Ende auf eine Lichtung zu treffen. „Ich habe zwei Jahre das Licht der Nacht erforscht. Wenn man nicht alles sieht, sieht man vielmehr, vor allem sich selbst. Dennoch bleibt ein Geheimnis, denn man kann nie alles bis zu Ende sagen,“ so die Künstlerin.

Wenn sich Agnes Sioda auf ihre „Forschungsreise“ begibt, sieht sie nicht, was sie malt. Sie muss es spüren und ihr Reiseziel vorher im Kopf haben. Erst streicht sie ihre selbst angerührte pigmentreiche Farbe ganz dick und gleichmäßig auf eine Glasplatte, legt dünnes Papier darauf und dann beginnt ihr „Tanz“: die Pinsel kreisen, verzweigen sich, finden wieder zusammen. Dabei darf Agnes Sioda bei dieser spiegelverkehrten Erkundung auf Papier den Faden nicht verlieren. Die Konzentration muss von Anfang bis Ende reichen, um solche Fantasiegebilde wie Paare, Herzen, Boote oder Nachtgespinste heraufzubeschwören. Mit dieser Technik folgt sie einem Impuls ihres Sohnes. „Normalerweise malt man bei der Monotypie das Motiv direkt auf das farbbeschichtete Glas, legt ein Blatt drauf und rollt es ab. Doch als sie es mit Jacob ausprobierte, war ihm der Aufwand zu groß. „Er schmierte einfach mit fettem Pinsel das Glas schwarz ein, legte ein Blatt drüber und seine Hände obendrauf. Ich fand dieses Bild wunderschön.“

Jahre später, als sie schon in Paris lebte, fiel ihr dieses Blatt wieder in die Hände, und Agnes Sioda begann, Jacobs Technik für sich zu erobern. „Faulheit ist eben die kreativste Kraft“, sagt sie lachend.

Die an Holzschnitte erinnernden Blätter in der Urania sind wie ein Zwiegespräch, auf den Moment fixiert. „Als ich sie malte, war der innere Richter ausgeschaltet, ich folgte nur meiner Intuition. Und wie beim Tanz, ist in dem Moment, wo man aufhört, sich zu bewegen, die Party vorbei.“ Wenn sie indes vor ihren Ölbildern steht, braucht sie mitunter ein ganzes Jahr, bis sie sich „ausgetanzt“ hat.

Zurzeit ist sie dabei, ganz neue Schritte zu lernen. Nachdem sie von Paris wieder nach Berlin zurückgekehrt ist, spürt sie einen radikalen Umschwung. „Es zieht mich immer weiter zur Auflösung der Formen. Lebensveränderungen haben einen extremen Einfluss auf meine Arbeit.“

Angefangen hat das schon, als sie das ihr viel zu enge Kleinmachnow verließ. Sie machte eine Ausbildung in Meliorationstechnik mit Abitur, lernte Bagger und Planierraupen fahren, pflanzte tausend Bäume, baute ein Feuerwehrhaus – und begann zu malen. „Wenn ganz Friesack abends in die Kneipen zog, ging ich in den Wald und unterhielt mich mit den Wildschweinen“, witzelt sie. Angst vor Dunkelheit hatte sie nie. Vielleicht weil sie mit ihren beiden Schwestern an der Seite des Vaters so oft ins Fernrohr geschaut hat, um Sterne zu beobachten. Die Dunkelheit gehörte einfach dazu.

Da es in Friesack keine Ablenkung gab, hatte die junge Frau viel Zeit zum Zeichnen, wenn sie nicht gerade den Daumen herausstreckte und gen Berlin trampte. Dort studierte sie dann Kunst und Literatur auf Lehramt, bis ein Jahr später Jacob geboren wurde und nicht krippenfähig war. Also blieb sie zu Hause, bis sie einen zweiten Studienanlauf an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee unternahm. Diesmal blieb sie, auch als Klein–Hannah sich einstellte. „Das war 1989, ein tolles Jahr. Die Mauer fiel, ich studierte und gründete einen Kinderladen.“ Doch bald musste sie allein für den Nachwuchs sorgen. „Morgens früh um 6 Uhr kochte ich im Kinderladen, um ein paar Mark zu verdienen, dann ging es zum Studium, und nachts nähte ich Kostüme und entwarf Bühnenbilder für verschiedene Theater, um zu überleben. Vier Stunden Schlaf mussten reichen. Aber wenn man etwas macht, woran man glaubt, hat man die Kräfte.“ Und die reichten auch für ein Meisterstudium.

Bis sie eine neue Liebe nach Paris entführte: auf ein sehr teures Pflaster. Ihr 40 Quadratmeter großes Atelier in Berlin tauschte sie nun in ein vier Quadratmeter kleines ein. „Ich jobbte in einem Antiquitätenladen und wälzte nebenbei Grammatikbücher. Dennoch rauschte im ersten Jahr die Sprache wie Musik an mir vorbei.“ Ihre „letzten paar Kröten“ investierte sie in einen Stand auf einer Pariser Kunstmesse. „Dort kam eine Frau vorbei, die drei Jahre später ein großes Bild bei mir bestellte und fortan eine Sammlerin meiner Arbeiten wurde. Man weiß nicht, wo einem das Glück zulächelt“, sagt die 44-Jährige. Auch Galerien fand Agnes Siora, in Frankreich, Deutschland, den USA, und konnte bald von der Kunst leben.

„Doch dafür ist Kontinuität an einem Ort wichtig“, weiß die umtriebige Malerin, die seit einem Jahr wieder in Berlin durchstartet. Ihre Tochter ist gerade nach New York gezogen, „dorthin, wo mein jetziger Mann herkommt.“ Agnes Sioda konnte aber auch alte Kontakte auffrischen, wie zum Köpenicker Theater, für das sie erneut Kostüme entwirft. Feste Galerien muss sie sich indes wieder suchen. Sie zeigte zwar erneut in der Sperl-Galerie Potsdam ihre Arbeiten, aber dort ist man mit eigenen Umzugsplänen beschäftigt.

„Jeder Aufbruch ist eine Chance. Und Glatteis.“ Aber auch darauf wird sie tanzen. Mit allen zehn Pinseln und der neu gewonnenen inneren Balance.

Vernissage heute um 18 Uhr, mitMusik von Cathrin Pfeiffer, Akkordeon. Zu sehen ist die Ausstellung bis Ende Mai, Mo, Di, Do 9 - 18 Uhr; Mi, Fr 9 - 13 Uhr, Gutenbergstraße 71-72

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