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Es gibt viele Beckmanns. „Draußen vor der Tür“ erzählt über den Kriegsheimkehrer Beckmann, gespielt von mehreren Studenten der Babelsberger Filmhochschule „Konrad Wolf“ , darunter von Jonathan Gyles (rechts).

© HOT/HL Böhme

Kultur: Das Trauma der Kriegsheimkehrer

Studenten bringen Wolfgang Borcherts Drama „Draußen vor der Tür“ in der Reithalle zur Premiere

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„Ein Mensch stirbt, Und? Nichts weiter. Der Wind weht weiter.“ Diese lakonische Bemerkung steht im Vorspiel zu dem Drama „Draußen vor der Tür“. Geschrieben hat es Wolfgang Borchert 1946 in nur acht Tagen. Als Bühnenstück erlebte es seine Uraufführung am 21. November 1947, einen Tag nach dem Tod des Dichters, der mit 26 Jahren starb. „Draußen vor der Tür“ ist sein verzweifelter Protestschrei gegen die zerstörerische Macht des Krieges, die ihn selbst zu Boden warf.

Dieses Stück ist für diejenigen bestimmt, die jetzt so alt sein mögen, wie Wolfgang Borchert war, als er das erste Mal im Militärgefängnis saß. „Die Zwanzigjährigen, die dieses kleine Buch in die Hand nehmen, mögen daran erkennen, wie kostspielig die eigene Meinung sein kann.“ Diese Worte notierte Heinrich Böll in seinem Nachwort zu der Rowohlt-Taschenbuchausgabe von „Draußen vor der Tür“ .

Der Schauspielstudent Jonathan Gyles ist 25 Jahre alt, genauso alt wie der Kriegsheimkehrer Beckmann, die Hauptfigur in Borcherts Drama. Beckmann hat da bereits fünf Jahre Krieg hinter sich. Als er wieder nach Hause zurückkehrt, fühlt er sich heimatlos. Das Bett bei seiner Frau ist besetzt, die Elbe, in die er sich stürzt, spuckt ihn wieder aus. Die junge Frau, die ihn am Strand findet, könnte ihm Lebensmut geben, wären da nicht die Toten, die den seelischen Krüppel immer wieder heimsuchen. Doch dieser Beckmann sieht, dass es rechts und links neben ihm noch mehr Leute gibt, die alle dasselbe erleben.

Diesen Gedanken greift die Studioinszenierung des 3. Studienjahres Schauspiel der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ (HFF) auf, wenn sie am morgigen Donnerstag den Kriegsheimkehrer Beckmann vielköpfig auf die Reithallen-Bühne des Hans Otto Theaters bringt. So wie Beckmann für Tausende von Menschen steht, wird auch seine Figur vervielfacht und von mehreren Studenten gespielt.

Jonathan Gyles ist einer der fünf Beckmanns. Der drahtige Mann mit dem grauen Kapuzenshirt verkörpert den desillusionierten Kriegsheimkehrer, als er auf den Direktor eines Kabaretts trifft. „Nachdem sein Selbstmord misslang, versucht Beckmann, wieder Fuß im Leben zu fassen. Doch mit jedem Bemühen zieht es ihn weiter runter“, so Gyles. Dieser Direktor möchte die Jugend auf die Bühne bringen, leidenschaftlich und mutig. Doch Beckmann hat allen Mut auf dem Schlachtfeld verloren. Er versucht zwar irgendwie weiterleben zu können, aber jeder Funke Hoffnung wird immer wieder zerstört. „Wir haben für dieses Stück, das für alle Kriege steht, sehr viel Material gelesen, auch Interviews mit Soldaten“, erzählt Jonathan Gyles in der Probenpause. Vor allem mit der Krankheit des posttraumatischen Belastungssyndroms beschäftigten sie sich, mit dem so viele Soldaten auch aus aktuellen Kriegsgebieten zurückkehren. „Wenn sie ein lautes Geräusch hören, werfen sie sich zu Boden. Sie bekommen Panikausbrüche, können nicht mehr normal mit ihren Mitmenschen reden. Vieles, was anderen so entscheidend für ihr Leben vorkommt, ist für sie angesichts dessen, was sie durchgemacht haben, belanglos“, so der Schauspieler.

Jonathan Gyles hatte Glück. Er musste nicht zur Armee. „Ich war zur Einberufungszeit noch Jamaikaner. Mit deutschem Pass hätten sie sicher versucht, mich einzuziehen. Aber ich hätte den Dienst an der Waffe verweigert.“ Der Student, der zehnjährig mit seiner Mutter und ihrem deutschen Freund nach Berlin kam, hat sich sehr intensiv mit dem Thema Krieg auseinandergesetzt. „Sicher gibt es einen gewissen Patriotismus, wenn junge Leute in den Krieg ziehen. Aber es ist eine Absurdität. Wenn sie verwundet zurückkehren, feiert sie keiner mehr als Held. Ja, oft werden sie verabscheut und als Mörder beschimpft.“

In der Inszenierung von Peter Zimmermann versuchen die Studenten nichts auszustellen. „Aber wir wollen auch nicht zu leise sein. Wir zeigen den jungen Zuschauern: Das ist die Realität. Lasst euch nichts schönreden von den Politikern. Ihr haltet euren Kopf hin und nicht sie.“ In seiner nachdenklichen, doch sprühenden Art erzählt Jonathan Gyles von einem Gespräch mit einem Heimkehrer aus Afghanistan, das er im Fernsehen gesehen hat und das ihn sehr berührte. „Der Soldat beschrieb, wie er in ein Haus gegangen ist und eine Granate in den Keller warf, als er unten ein Geräusch hörte. Er musste es tun, denn sonst wäre vielleicht er getötet worden. Doch jeder dieser Getöteten hat Mutter und Vater, vielleicht auch Frau und Kinder.“ Jonathan Gyles ist sichtlich von dem Thema des Stücks aufgewühlt und aufgesaugt worden.

Die vielen Wiederholungen in Borcherts leicht grotesk-naiv geschriebenem Drama hat das HFF-Team rigoros eingestrichen. „Wir wollen sehr direkt sein und in 80 Spielminuten knappe, aber klare Botschaften geben.“ Es ist Jonathan Gyles erster Auftritt auf großer Bühne und natürlich hat er Lampenfieber. „Aber man traut sich mehr und ist freier, wenn man sich wie wir seit Jahren aus dem Studium kennt.“ Auch wenn er den Beckmann nur in der Situation das Aufeinandertreffens mit dem Direktor spielt, lasse sich eine gewisse Entwicklung seiner Figur aufzeigen. Dieser Direktor schickt den traumatisierten Soldaten weg, der ihm ja das Publikum vergraule. „Die Wirklichkeit taugt nicht zur Kunst. Keiner will mehr etwas von der Wahrheit wissen“, schrieb der Kriegsheimkehrer Borchert.

Premiere am Donnerstag, 13. Dezember, 19.30 Uhr, Reithalle, Schiffbauergasse

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