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Kultur: Der Baum hat seinen eigenen Kopf

Holzgestalter Steffen Brünner zeigt seine Arbeiten und die anderer Künstler morgen bei der Kunstallee

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Die Themen, die Steffen Brünner aufwühlen, glättet er mit seinem scharfen Beitel. „Du musst dich durchsetzen, schroffer und brutaler werden“, raten ihm immer wieder Kollegen. Doch der Potsdamer Holzgestalter will mit dem Baum kooperieren und ihn nicht verstümmeln. Eine 220 Jahre alte Linde schält er mit größter Sanftmut aus und lässt sie zur behütenden Höhle für ein fast schwebendes Holzei werden: sein Symbol für Zerbrechlichkeit.

Vor zwei Jahren begann Steffen Brünner mit seinen „Eier-Bäumen“. Er hörte im Radio von dem zweijährigen Kevin aus Bremen, der von seinem Stiefvater zu Tode misshandelt und im Kühlschrank gefunden wurde. „Um uns selber zu schützen, verdrängen wir ja zumeist solche schrecklichen Nachrichten. Aber dieser konnte ich mich nicht entziehen.“ Selbst Vater von zwei Kindern ließ ihn das Thema nicht mehr los. Er gestaltete es in verschiedenen Varianten: immer der Brutalität seine eigene Harmonie und die des Holzes entgegensetzend. Eine seiner Arbeiten steht inzwischen in der Gynäkologie einer Berliner Klinik, „dort wo auch sozial gefährdete Schwangere betreut werden“.

Andere Plastiken von ihm kann man am morgigen Samstag bei der Potsdamer Erlebnisnacht betrachten. Dort organisiert Steffen Brünner auf dem Grünstreifen der Hegelallee zwischen Jägertor und Dortustraße die zweite Kunstallee. „Ich hatte bereits im vergangenen Jahr daran teilgenommen. Als ich erfuhr, dass sie für dieses Jahr nicht eingeplant ist, nahm ich kurzfristig die Organisation selbst in die Hand – unterstützt vom Verein ,Potsdam Mittendrin“. Hier können sich Künstler einem ganz breiten Publikum präsentieren, auch die, die nicht in Galerien hofiert werden.“ In kürzester Zeit fand er 14 Mitstreiter, die nun die „Allee“ sehr unterschiedlich beleben. Mit dabei sind der Maler Paul Cleeve aus Mecklenburg-Vorpommern, der Kunstschmied Michael Soika aus Wilhelmshorst und der Designer Andreas Ricci aus Chile. „Ich möchte diese Aktion unbedingt weiterführen und Zuwanderer aus Asien, aus den arabischen Ländern und aus Afrika integrieren. Sie gehören zu Potsdam, leben aber meist ziemlich isoliert am Rande.“ Und auch die ganz jungen Künstler liegen ihm am Herzen: die Hegelallee als Talentmeile – wäre sein Traum.

Steffen Brünner weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, als junger Mensch seinen Weg zu finden. Er selbst verweigerte sich jahrelang: „Ich war der absolute Schulversager, eckte mit Freude überall an. Kein Betrieb wollte mich als Lehrling haben. Dann ist meine Mutter mit einem Präsentkorb losgezogen und ,bettelte“ für mich um Arbeit. Bei einer dicken Kaderleiterin vom VEB Mehrschichtensicherheitsglas hatte sie schließlich Glück. Die fuhr auf die mitgebrachten Ananasbüchsen ab.“ Genau erinnert er sich noch an seine erste Schicht in dem Babelsberger Betrieb. „Sie begann morgens um 5.30 Uhr mit einer Flasche Bier. Die drückte mir ein Arbeiter in die Hand. Doch es war kein Bier, sondern hochprozentiger Klarer drin. Es gab fast nur Alkoholiker und andere Gestrauchelte dort, so auch den ehemaligen Gitarristen von den Puhdys. Sie hatten ihre Kreativität versoffen. Aber ich spürte, dass diese Menschen durchaus schöne Seelen hatten. Nur ihre Oberfläche war rau.“ Dann kam die Wende und der Betrieb wurde vom Westen übernommen. Nach ein paar Kursen in Betriebswirtschaft setzte man Steffen Brünner als Geschäftsführer ein. „Ich ließ mich von der Arbeit und der Verantwortung für 200 Mitarbeiter völlig aufsaugen.“ Die eigene Familie ging kaputt und er fühlte sich bald wie ein Hamster im Laufrad. Steffen Brünner stieg aus und wechselte fortan regelmäßig den Job. „Wenn ich zwei Jahre irgendwo war, fühlte ich mich ausgebrannt und kollidierte mit meinen Vorgesetzten. Bis ich darüber nachdachte, ob es nicht an mir selbst liegen könnte.“

Eine neue Frau gab seinem hektischen Leben ein anderes Gewicht. Und eine alte Eiche. „Als ich sie umsägte, blieb ein großes Stück von ihr stehen – so bizarr, dass es zu schade war, es in kleine Kaminholzstücke zu schlagen.“ Und da er kurz zuvor von seinem Großvater Tischler-Werkzeug geschenkt bekommen hatte, war das für ihn wie eine Staffelübergabe. „Ich bearbeitete die Eiche und mir wurde klar: Das will und muss ich jeden Tag machen.“ Nach diesem Ur-Erlebnis vor vier Jahren nahm die Holzgestaltung einen immer größeren Platz in seinem Leben ein. Inzwischen ist er freiberuflich und kann von seiner Arbeit existieren. „Bei alten Bildhauern lernte ich die Tricks, wie man dem Holz am besten beikommt. Nur was die Formensprache angeht, muss man seine eigenen Wege gehen.“ 2007 war sein erstes Jahr mit Potsdamer Ausstellungen, wie in der WilhelmGalerie oder der „Galerie 19“. „Wenn man merkt, dass auch andere berührt sind von den eigenen Arbeiten und sie besitzen wollen, tut das gut.“ Für 2009 ist eine Ausstellung im Bundesfinanzministerium geplant. „Eine Sache entwickelt sich aus der anderen.“

Auch inhaltlich schlägt er neue Pflöcke ein. Die Probleme der Welt hängen in seiner idyllisch gelegenen Wildenbrucher Werkstatt am Brett: Fotos unter anderem von Afrika. „Ein so majestätischer Kontinent und doch so zerrissen in seinen Stammesfehden.“ Auch das Thema Religionen treibt ihn um. „Auf dem Grundstück des Botschafters aus dem Iran in Rehbrücke steht ein kranker Ahorn. Aus ihm möchte ich den Islam, das Christen- und Judentum herauswachsen lassen: mit einem gemeinsamen Stamm und sich emanzipierenden Zweigen, die sich ineinander verschränken.“ Entwürfe gibt es bereits. Wie die Arbeit aussehen wird, darüber wird aber der Baum mitbestimmen. „Er hat seine eigene Individualität. Ich kann nur in ein Zwiegespräch mit ihm treten.“

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