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Die blaue Gitarre ist sein Markenzeichen. „Auch schöne Farben müssen sein“, sagt der Freibeuter der Klassik, Clemens Maria Haas, der mit seinen Konzerten vor allem gut unterhalten möchte.

© Manfred Thomas

Markenzeichen: Die blaue Gitarre: Der Freibeuter der Klassik

Clemens Maria Haas gründete 2008 „Das Orchester“ und fährt jetzt mit ihm nach Afghanistan. In den vergangenen Wochen hat er sich intensiv auf diese Tour vorbereitet.

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Wohnen in einem Reihenhaus. Das klingt ganz schön spießig. Findet jedenfalls Clemens Maria Haas. Dennoch lebt und arbeitet der Komponist, Sänger, Texter und Gitarrist seit gut anderthalb Jahren in einer dieser „Schachteln“, deren Garten aufhört, bevor man ihn richtig betreten hat. Lange hat er gesucht, um in Potsdam sesshaft zu werden: eine Stadt, die wie keine zweite zu ihm passt. „Nicht mal meine Geburtsstadt Rottweil“, sagt der 51-Jährige mit dem Faible für die Schloss- und Villenarchitektur und das Italienische. Nun also ist er am Rande des Buga-Parks fündig geworden, wo es zwar keine Villen gibt, dafür aber ein Lavendelfeld nebenan und einen tollen Joggingweg zum Heiligen See. Zudem seien die Nachbarn einfach spitze, die es auch in Kauf nehmen, wenn er im Wohnzimmer mal mit seinen Musikern probt, schwärmt er. Und seine Lebens- und Arbeitsgefährtin Claudia Mielke serviert wie zur Bestätigung Vollkornbrot mit leckerem Pflaumenmus aus Nachbars Küche.

In den vergangenen Wochen bereitete sich Haas vor allem auf seine Konzertreise nach Afghanistan vor – nicht nur im heimischen Wohnzimmer. Anfang Oktober spielt er mit 20 notenfesten Musikern in Kunduz, Kabul und Mazar-i Scharif vor deutschen und amerikanischen Soldaten. Ohne Gage. „Denn anders als die Amerikaner, die einen Riesenfond zur Unterhaltung ihrer Soldaten haben, gibt die Bundeswehr kein Geld für Unterhaltung aus“, so Haas.

Das geplante Wiederholungskonzert im Montellino-Zelt im Buga-Park hat Haas dafür gecancelt. Die Vorbereitung auf Afghanistan schluckt alle Zeit. So müssen Arragegments umgeschrieben werden, aus dem Song „Zaubergeige“ wird die „Zauberklarinette“. Denn nicht jeder seiner Musiker darf mit und bekam für die Einreise über Usbekistan ein Visum, weder der Konzertmeister aus Israel noch der russische Schlagzeuger. „Das Orchester“ von Haas setzt sich aus Musikern zusammen, die er für seine Projekte aus anderen renommierten Orchestern zusammenholt: Mal fünf, mal 50.

2008 hat es Clemens Maria Haas gegründet und spielt Klassik, die rockt: Neue deutsche Klassik nennt er sie. Als „Freibeuter“ sind sie mit einem gestalteten Programm unterwegs und wollen nun auch die Soldaten zu einer Seefahrt durch die Gefühle und Zeiten einladen: mit Durchhalte-, Spaß und Liebesliedern, oft in einem satten sinfonischen Gewand. Haas hofft, dass die Soldaten ihren Alltag in den zwei Stunden des Konzerts vergessen und dass sie durch das Klangbild heimatliche Gefühle bekommen.

Wenn der Mann mit dem Dreitagebart, der selbst klassische Musik studierte, über die Klassik spricht, sind das keineswegs Lobgesänge. So wie er schnell ins Schwärmen gerät, weiß er sich auch in Rage zu reden. Man neigt dazu, diesem Mann ständig ins Wort zu fallen, seine rigorose Haltung aufzuweichen. Doch er will kein Diplomat sein und auch nicht vermitteln, wenn es darum geht, die selbst erlebte Bürokratie des Orchesterbetriebes zu geißeln, „wo Subventionierung die Kreativität aufweicht“.

Für ihn ist die Klassik zur konservierten Musik verkommen. Geradezu als Folter empfindet er es, in Konzertsäle zu gehen und in Gesichter von Musikern zu schauen, denen man die Langeweile ansieht, „die in der Musik nicht mehr ihre Emotionen ausleben, sondern in Fließbandarbeit produzieren. Es gibt keinen Musiker, der seinen Dirigenten nicht hasst. Das ganze System ist krank. Viele Musiker, die ich kenne, leiden unter Mobbing und sind in Therapie.“ Er spricht von gigantischer Steuerverschwendung, nicht nur, wenn Millionen bei der Elbphilharmonie in Hamburg in Sand gesetzt werden und hält es eher mit dem amerikanischen System, wo die Orchester sich über Wasser halten müssen mit Musik, die das Volk erreicht. Clemens Maria Haas selbst komponiert für Werbung und Film, um sich eigene Projekte leisten zu können.

Schon mit sechs Jahren wusste er, dass er Komponist werden würde. Und als zweitjüngster Spross von acht Geschwistern hatte er durchaus das Zeug, das durchzuboxen. Während er von seinem ersten Orchester, der „Steinwolke“, erzählt, das er mit seinen Geschwistern gründete und mit dem er wie die „Kellys“ durchs Land tourte, fällt der Blick immer wieder auf die Gemälde, die schwer über die hellen luftigen Möbel hängen. Ein bisschen Italien gibt es schließlich doch in diesen genormten Fertigteil-Wänden mit Platz für ein Tonstudio. Hess hat Bilder von seinem in diesem Jahr verstorbenen bekannten Vaters Siegfried Haas aufgehängt, der nicht nur malte und bildhauerte, sondern auch Organist war und seinen Kindern die Liebe zur klassischen Musik vermittelte.

„Den ganzen Tag hörten wir Vivaldi, Brahms oder Mozart. Das waren in ihrer Zeit Unterhaltungsmusiker, Pop-Stars.“ Und so wie sie möchte auch Clemens Maria Haas Musik machen. Klassik als Volksmusik im besten Sinne. Er komponiert oft Werke mit großen Streicher-Arrangements, ganz in der Tradition der alten Meister. „Aber es macht keinen Sinn, ihnen verhaftet zu bleiben. Das fortwährende Wiederkäuen der gleichen Sachen ist etwas Totes. Auch Haydn hat zu jeder Feierlichkeit eine neue Musik geschrieben.“

Der umtriebige Mann, der einst Solis bei den Rottweiler Münstersängerknaben selbst vor dem Papst sang, leitete das Welt Swing Orchester, tourte bereits mit Nena, Westernhagen, Rio Reiser, Ulrich Tukur oder Wolfgang Petri und fand eine starke Inspiration in der Neuen Deutschen Welle. Seine „Katherina, Katherina“ schwamm sehr erfolgreich auf ihr. Über sechs Millionen Mal hat er den Song verkauft. Jetzt ist er auch beim „Ballamann“ auf Mallorca angekommen, wie Haas freimütig erzählt. „Damit sind wir doch geadelt. Schließlich soll Musik Spaß machen, dann ist sie lebendig.“

Er nimmt seine blaue Gitarre zur Hand, singt vom „Blauen Schmetterling“ und auch von den sich gegen die Nazis erhobenen Studenten der „Weißen Rose“. Mal gibt er sich als wilder Rocker, dann versinkt er fast in Pathos und schließlich versucht er im Zuhörer den Helden zu wecken. Klassik, Folklore, Rock und Pop, alles paart sich grenzenlos.

„Das Orchester“ fühlt sich allein der Leidenschaft verpflichtet. Bei den Proben auf die Uhr zu schauen – für den Chef ein Unding, wenn der Song noch nicht sitzt. Da ist er wieder ganz der Rocker. Und begeistert erzählt er von seiner jüngsten Zusammenarbeit mit „Die Kollegen“, einer Rock’n’Roll-Amateurband aus Potsdam, von ihrem unglaublichem Spaß und der Disziplin. Nichts mit Langeweile. So will er es haben. Und so bereitet er auch seine Konzerte in Afghanistan vor. Ganz der Freibeuter, auch in einer „Pappschachtel“.

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