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Kultur: Der Mythos blieb im Nebulösen

Julius Schoeps und Andreas Nachama sprachen im Filmmuseum über den „Mythos Juden und Preußentum“

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Das Gespräch verlief fast in großväterlicher Gemütlichkeit. Keine Wortgefechte, keine Zuspitzung, keine Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation der zerstrittenen jüdischen Gemeinden in Potsdam. Die zwei zum Thema „Mythos Juden und Preußentum“ am Donnerstagabend ins Filmmusuem geladenen Diskutanten, Julius Schoeps vom Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam (MMZ) und Andreas Nachama von der Stiftung Topographie des Terrors Berlin, waren sich in allem einig. Das begann bereits mit dem Verriss des zuvor gezeigten zweistündigen Defa- Films „Levins Mühle“, den Horst Seemann 1980 gedreht hatte. Darin wird die Geschichte eines Mühlenbesitzers erzählt, der 1874 in einem kleinen westpreußischen Dorf seinem Konkurrenten, einem jüdischen Müller aus Polen, die Bootsmühle zerstört. Der Jude bekommt vor Gericht kein Recht, denn in ihren deutschnationalen Gefühlen hält die Obrigkeit zusammen.

„Ich bin etwas verwirrt“, sagte Julius Schoeps nach dem durchaus sehr anstrengenden ausgewalzten Filmepos, das zum Auftakt des Abends innerhalb der Reihe „Mythen der Moderne in Brandenburg“ gezeigt wurde. Irritiert war aber auch der Zuschauer, als Schoeps meinte, dass ihm die Botschaft des Films überhaupt nicht klar geworden sei und auch nicht, welche Rolle das Thema Juden darin spiele. Ausgesucht wurde der Film schließlich vom MMZ selbst. Nachama meinte süffisant, der Film sei eine Werbung für die Anonymen Alkoholiker, denn der Branntwein sei das einzige Element, das durch den Film liefe.

Schließlich ließen sich die beiden Herren vor vollbesetztem Saal, in dem sich die Reihen zunehmend lichteten, auf einen Exkurs zur Preußen-Renaissance in Ost- und Westdeutschland ein, der allerdings sehr schwammig blieb. In ihrer Suche nach Identität habe man sich vor dem braunen Hintergrund der Geschichte in beiden Ländern schwergetan, sagte Nachama. Man sah die positiven preußischen Traditionen wie Toleranz, Sozialstaatlichkeit und die Formen der Multinationalität, „aber das Heer- und Militärwesen stand im Osten wie im Westen unter Generalverdacht“. Überraschend war, dass Nachama Ost und West in einen Topf warf, galt das Thema Preußen doch bis in die 80er Jahre in der DDR weitgehend als Tabu. Seemanns Film spielte in diese beginnende Preußen-Auseinandersetzung hinein. Julius Schoeps befand, dass in „Levins Mühle“, in dem die Zigeuner verjagt und die polnischen Mühlenarbeiter entlassen werden, ein Zerrbild Preußens gezeichnet wurde. „Man hätte ja auch zeigen können, dass Preußen ein Staat war, in dem jede Minderheit leben konnte. Es gab ja auch das Preußen der Aufklärung, der Berliner Salons, das Preußen der Arbeiterbewegung.“ Später strich er dann aber auch heraus, dass die Juden trotz Emanzipationsgesetz nur bedingt akzeptiert worden seien. „Sie konnten weder Offizier noch Professor werden.“ Dafür hätten sie als Freiberufler, beispielsweise als Rechtsanwalt, große Möglichkeiten gehabt. Der Pferdefuß zeigte sich später. Um für sich zu werben, mussten diese Freiberufler Schilder an ihre Türen hängen. Nach 1933 hieß es dann, „Hier sind überall nur Juden“. Wie die Historiker betonten, seien viele Juden nach Preußen gekommen, weil sie hier den „wilden Osten“ sahen: dünn besiedelt, wirtschaftlich am Anfang. Das ließ auf Freiräume aus der Restriktion der Ghettos und auf Karriere hoffen. Die Juden haben sich weniger mit den Deutschen, sondern mit Preußen im großen Maße identifiziert, vor allem nachdem das Preußische Judenedikt 1812 sie zu Inländern und preußischen Staatsbürgern werden ließ. „Die Leute haben an den Rechtsstaat geglaubt, der dann 1933 wie ein Kartenhaus zusammengebrochen ist“, so Schoeps. Die Freiräume seien überschätzt worden, „selbst nach dem Tag von Potsdam dachten die Juden noch, das sei ein Alptraum, aus dem man wieder erwachen kann“, fügte Nachama an.

„Könnte auch heute ein System in kürzester Zeit erodieren?“, fragte schließlich Moderator Markus Heidmeier. „Wenn nicht mehr alle vor dem Gesetz gleich sind und es keine unabhängige Gerichtsbarkeit gibt, durchaus. Es ist zu jeder Zeit an jedem Ort alles möglich“, betonte Schoeps. „Dass wir aus der Geschichte gelernt haben, in dieser Annahme bin ich sehr vorsichtig.“ So sei Preußen ein Ort vieler Emigranten gewesen. Aber Deutschland begreife sich heute immer noch nicht als Emigrationsland. Woran das liegt, konnte Schoeps nicht sogleich beantworten. Nachama mutmaßte: „Das ist das alte Europa mit seinen vielen Nationalitäten und Sprachgrenzen. In Amerika mit seinen Beschulungskonzepten ist das ganz anders.“ Er forderte: „Deutsch als Muttersprache müsste das erste Glaubensbekenntnis sein.“ Beim Thema Schule legte sich Nachama am Ende dann doch noch ins Zeug. „Wer in Berlin in ein Schulhaus geht und sieht, wie verkommen es ist, weiß, wieviel Sarrazin und Co. in die Zukunft investierten.“ Und die Qualität des Unterrichts, egal ob in Geschichte oder Mathematik, hinge immer nur von einzelnen Lehrern ab. Er plädierte für Qualitätskontrollen. Julius Schoeps sah nirgends Konzepte am Horizont, die sich der Themen deutsches Schulwesen und Einwanderung ernsthaft annehmen, bei keiner Partei, bei keinen Fachleuten. Beim Benennen der Probleme wurde es etwas konkreter als beim Aufdecken der Mythen. Doch hätte man sich gerade von diesen ausgewiesenen Experten mehr Antworten als Fragen gewünscht. Heidi Jäger

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