Eine Gartenparty im Sommer, vor mehr als zwanzig Jahren. Es war schon ziemlich spät, viele Gäste schon gegangen, als der Schreiber von den Worten gefesselt wurde: „Es wird gar nicht dunkel heute“, sagt eine Frau zur anderen. „Es wird schon wieder hell“, sagt die andere.
„Das war so träumerisch und so schön knapp, das habe ich mir gemerkt“, erzählt Wolfgang Kohlhaase. Als er vor zwei Jahren am Schreibtisch saß, an der ersten Szene von „Sommer vorm Balkon“, und sich überlegt hat, was die Freundinnen Nike und Katrin hoch über dem Berliner Helmholtzplatz zueinander sagen könnten, sind dem Drehbuchschreiber die Sätze wieder eingefallen. So wie sie die zwei Frauen damals auf der Gartenparty gesagt haben, leben sie nun in der Tragikomödie wieder auf, die von Menschen erzählt, die irgendwo an der Schönhauser Allee nach Liebe suchen, nach Arbeit und einem Lebenssinn. Gleich siebenfach wurde die von Andreas Dresen verfilmte Geschichte für den Deutschen Filmpreis nominiert. Auch Kohlhaase steht auf der Liste. Gestern Abend sind die Preise vergeben worden. Am Abend davor war der Autor, der bekannt wurde mit Filmen wie „Ecke Schönhauser“, „Solo Sunny“ oder „Die Stille nach dem Schuss“, zu Gast beim Werkstattgespräch in der Filmhochschule „Konrad Wolf“. Das Interesse an dem Schreiber war groß, der Kinosaal gut gefüllt.
Seine Filme sind Fantasie und aufgeschnapptes Alltagsleben, sagt der 1931 geborene Schreiber, der seit mehr als 50 Jahren Filmgeschichten verfasst, und nie wirklich frei zu haben scheint: Immer ist er mit offenen Augen und mindestens einem offenen Ohr auf Jagd nach pointierter Alltagspoesie. Er fängt schöne Situationen und Dialoge ein oder lässt sie sich erzählen. Um sie dann in seinem Langzeitgedächtnis zu konservieren wie Dosengemüse in einer Vorratskammer. Und irgendwann, wenn die Zeit und die Szene dafür gekommen sind, holt er sie aus dem Keller nach oben und baut sie in einen Film ein. Auf diesem Weg ist auch der Satz „Sie wollen das Bild gar nicht, sondern nur meine Freundin vögeln“ in den Film gekommen. Und der Spruch der alten Helene „Wenn mein Gesicht nur so glatt wäre wie mein Arsch“, den sich Kohlhaase von der Nike-Darstellerin Nadja Uhl mitbringen lassen hat von ihren Vorrecherchen in der Altenpflege. Ihm ist eine Antwort dazu eingefallen: „Dann hast du deinen Arsch aber lange nicht mehr gesehen“, antwortet ihr Nike.
Auch der Liebeshorror von Nike, der Altenpflegerin, die Mitte 30 ist, und – so steht es im Drehbuch – eine jüngere Idee von sich hat, und dem bewusstseinslos durch die Welt trampelnden Trucker Ronald – sie ist Kohlhaase so ähnlich erzählt worden. Er mochte die Tonlage, das Lebensgefühl, notierte sich die Geschichte in Stichworten. Später kam eine zweite dazu, die von Katrin, die zuerst Künstlerin sein sollte, dann aber zur arbeitslosen Dekorateurin umgeschrieben wurde. Schließlich brachte er Nike und Katrin zusammen, machte sie zu Freundinnen. Nike ist die Hauptfigur, schreibt er in einem Entwurf zum Film, aus dem der Moderator, HFF-Drehbuchdozent Carsten Schneider, vorträgt. Bei ihr laufen alle Fäden zusammen. Die Geschichte aber wird aus der Perspektive der jeweiligen Figuren erzählt. Dresen hat den Vorschlag 1:1 umgesetzt. Von Anfang an achtete Kohlhaase darauf, kein Sozialreport-Kolorit in die Geschichte zu bringen. Ihm geht es bei seinen Filmen um wahres Leben, aber leicht, mit Sinn für komisch Erzähltes, an dem das Publikum auch Spaß haben kann, sagt er.
Kohlhaase hat geschrieben, sich nachmittags mit Dresen getroffen, mit ihm diskutiert, das Buch verändert, sich mit dem Regisseur getroffen und wieder umgeschrieben. Bis beide zufrieden waren. „Ein Drehbuch kann ich nicht allein am Schreibtisch schreiben. Das ist für mich gesellige Arbeit, die im Austausch entsteht“, sagt der Autor. Bei den Dreharbeiten hat er sich dann rausgehalten. „Ich wollte nicht daneben stehen wie einer der wichtig ist und es besser weiß “, sagt er, „Ich wusste es nicht besser“. Heute freut er sich über den Erfolg des Films, der nun zum zweiten Mal im Kino anläuft, und „bei dem vieles stimmt“.
Einen Rat zum Schluss hat er noch für die Filmstudenten. Schreiben hat mit Erleben zu tun, sagt er. Es gibt Menschen, die gehen zum Zigarettenholen und können Stunden lang erzählen, was ihnen dabei passiert ist. Und es gibt Menschen, die vom Nordpol zurück kommen und sagen: Es war kalt. Marion Hartig
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