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Kultur: Der späte Flug

Iris Gusners DEFA-Film „Die Taube auf dem Dach“, der 1973 verboten wurde, kommt jetzt als restaurierte Fassung ins Kino

Stand:

Verboten, vernichtet, verschollen, wiederentdeckt. Frau Gusner,37 Jahre mussten vergehen, bis Ihr DEFA-Film „Die Taube auf dem Dach“ nun endlich als restaurierte Fassung in die Kinos kommt. Wäre Ihr Leben anders verlaufen, ohne das Verbot Ihres Erstlings?

Nach dem Verbot der „Taube“ 1973 fiel ich für Jahre zurück in konservativere Erzählmuster. Außerdem wurden damals Gerüchte geschürt, die mich handwerklich zur Null erklärten. Wie willst du dich als Debütantin dagegen wehren?

Zumal auch Ihr zweites Projekt, „Einer trage des anderen Last“, scheiterte.

Ja, das fiel einen Monat vor Drehbeginn politisch in Ungnade. Das Thema des Films „Kirche und Staat“ hatte unterdessen in der DDR eine neue aktuelle Dimension gewonnen, und ich wollte mich deshalb mit diesem Thema nicht, wie vorgesehen, in das Jahr 1949 zurückbegeben. Nach diesem zweiten Aus, Anfang 1974, fiel ich in ein tiefes Loch. Erst ein Dokumentarfilm über malende Arbeiter im Stahlwerk Zeitz für das Fernsehen baute mich wieder auf. Da ging es um Männer, die hart arbeiteten und Sinn für Kunst hatten. Sie politisierten nicht.

An welchen Gründen wurde „Die Taube auf dem Dach“ verboten? Für viele heutige Zuschauer, die die DDR nicht kennen, wird es kaum nachvollziehbar sein.

Ich habe danach auch lange gegrübelt, warum ich mit meinem sympathischen Helden, dem Brigadier Böwe, der Arbeiterklasse ins Gesicht gespuckt haben soll. Dabei ist er jemand, der im Auftrag der Partei von Baustelle zu Baustelle zieht, deshalb seine Familie verloren hat und nie an sich denkt. Wegen seiner Großzügigkeit bringt er es auch materiell nicht weit. Um seine Lieblingsmusik zu hören, geht er in einen Schallplattenladen. Also, er ist kein „Sieger der Geschichte“, wie die Arbeiterklasse genannt wurde, sondern wirkt mit seiner sozialistischen Haltung fast wie ein Außenseiter. Die meisten dachten in den 70er Jahren bereits nur noch an ihr persönliches Fortkommen.

Versuchten Sie Ihren Film, der im künstlerischen Rat der DEFA durchaus Beifall fand, im Nachhinein politisch zu glätten?

Es gab zu viele Szenen, an denen Anstoß genommen wurde, und sie sind so in sich geschlossen, dass da nichts zu retten war. Ich zeige die Bürokratisierung der Solidarität mit Vietnam, die Schieflage zwischen der angeblich herrschenden Arbeiterklasse und Intelligenz: Eine Szene spielt im Interhotel, das Böwe mit seinen Kollegen gebaut hat. Als sie dort mal fröhlich feiern, werden sie von der „Intelligenz“ nur schief angeguckt. Wir hatten dennoch versucht, den Film zu entschärfen und schnitten bereits im ersten Viertel des Films herum. Als wir eines Morgens an den Schneidetisch kamen, war alles abgeräumt.

Der Film wurde nicht, wie bei den anderen Verbotsfilmen üblich, ins staatliche Filmarchiv der DDR gegeben, sondern vernichtet. Wer steckte dahinter?

Ich werde nie erfahren, wer die stille Anweisung gegeben hat, das Negativmaterial zu vernichten. Wen hat der Film so gestört? Mir erscheint das schlimmer als Bücherverbrennung. Die farbige Arbeitskopie ist nur deshalb erhalten geblieben, weil sie noch unter ihrem Arbeitstitel „Daniel“ archiviert war. Allein dem Einsatz meines damaligen Kameramanns Roland Gräf ist es zu verdanken, dass sie gefunden wurde. Leider war sie so stark beschädigt, dass nur noch eine Schwarz-Weiß-Kopie von ihr gezogen werden konnte. Ohne Farbe fehlt dem Film eine ganze Dimension; die warmen gedämpften Farbtöne der Thüringer Herbstlandschaft hatten ihm Poesie und einen Hauch von Wehmut gegeben.

Der Film wurde 1990 im „Babylon“ Berlin uraufgeführt. Was haben Sie damals empfunden?

Ich war traurig. Die technische Qualität war sehr schlecht. Vielleicht war es ganz gut, dass ihn damals nur so wenige sahen. Die Leute feierten die Einheit und hatten kein Interesse an einem alten DEFA-Film. Über die Qualität der restaurierten Fassung, die die DEFA-Stiftung jetzt vornahm, bin ich froh. Der Film hat nun optisch, obwohl Schwarz-Weiß, wieder eine gewisse Durchsichtigkeit und Glanz.

„Die Taube auf dem Dach“ handelt von einer Dreiecksgeschichte, in der Böwe als älterer Brigadier ebenso wie der Student Daniel um die Bauleiterin Linda buhlen. Warum zeigt die Bauleiterin so wenig Gefühl?

Sie ist hart zu sich selbst und wirkt dadurch auch hart zu anderen. Ich selbst wollte nicht so hart werden, wie diese Frau, merkte aber, dass ich auf den Weg dahin war. Vielleicht habe ich die Linda zu meiner eigenen „Warnung“ so kompromisslos geschrieben. Ich finde, dass Heidemarie Wenzel sie hervorragend spielt. Aber heute würde ich diese Frau deutlicher und liebevoller erzählen.

„Fantasie und Arbeit“ ist der Titel ihres Buches, in dem sie mit Helke Sander anregend Zwiesprache über Ihre Arbeit als Filmemacherinnen und allein erziehende Mütter in Ost und West halten. Im Vorwort schreiben Sie, dass Ihre Enkelkinder über die Zeit vor der Wende nur wenig wissen und dass die verschwundene DDR ihnen genauso fern und und interessant sei wie die Napoleonischen Kriege. Könnte Ihr Film da Aufklärungsarbeit leisten?

Ich weiß nicht, ob die Jugend sich ihn ansehen wird, vielleicht die historisch oder filmisch besonders interessierte. Meine jüngste Testperson war 35 und ein Intellektueller. Er fand ihn ganz modern gemacht und unsentimental in der Erzählweise. Mich würde indes vielmehr interessieren, was der Film damals ausgelöst hätte, was die sogenannte Arbeiterklasse und besonders die Frauen 1973 dazu gesagt hätten. Heute kann ich nicht mehr erwarten, als dass sich die Zuschauer nicht langweilen.

Werden von der damaligen Film-Familie bei der jetzigen Aufführung welche dabei sein?

Ich denke schon, aber elf der Mitwirkenden sind bereits tot, so der tolle Hauptdarsteller Günter Naumann, der Komponist Gerhard Rosenfeld, dessen Musik ich sehr schätze, und auch Andreas Grieß, der den jungen Helden spielte. Er ist einige Jahre nach den Dreharbeiten verunglückt.

Sie wurden ja auch schon für tot erklärt.

Ja, während des Dokumentarfilmfestivals 1974 in Leipzig herrschte mich die Direktorin des Mannheimer Filmfestivals Fee Vaillant wie ein General an: „Sie sind Iris Gusner? Und warum sind Sie nicht tot?“ Sie erklärte mir vorwurfsvoll, dass sie „Die Taube auf dem Dach“ 1973 eingeladen hätte und man ihr von offizieller Seite gesagt habe, ich wäre tödlich verunglückt. Sie war so pikiert, dass ich mich regelrecht schämte, noch am Leben zu sein.

Das Gespräch führte Heidi Jäger

Der Film ist am Donnerstag, dem 9. September, um 19 Uhr im Thalia Filmtheater, Rudolf-Breitscheid-Straße 50, zu sehen. Nach der Vorstellung gibt es ein Gespräch mit der Regisseurin Iris Gusner

Iris Gusner, 1941 geboren, studierte in Moskau Regie, drehte unter anderem das Märchen „Das blaue Licht“, die Sozialstudie „Alle meine Mädchen“ und „Kaskade rückwärts“. kip

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