Kultur: Die Kraft kommt vom Ohr
Der Posaunist Conny Bauer eröffnet am Freitag das „Nachtfoyer“ – eine Jazzreihe im Glasfoyer des Hans Otto Theaters
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Er bläst alle Unkenrufe über eventuelle Akustikprobleme in den Wind. Konrad „Conny“ Bauer geht ganz gelassen an sein Konzert am Freitagnacht im Glasfoyer des Hans Otto Theaters. Dort wird es künftig einmal monatlich eine Veranstaltung der Jazzwerkstatt Berlin-Brandenburg geben und wer könnte sie zugkräftiger anstimmen als der Altmeister der Posaune. Zwar kenne er das neue Theater noch nicht, aber er habe ja beim Konzert zwei Stunden Zeit, sich darauf einzulassen. „Man kann auch mit Nachhall spielen: Laute Töne stehen länger im Raum als leise, und so lassen sich schöne Akkorde aufbauen.“ Der bekannte Jazzer, der zahlreiche, die Entwicklung des Free-Jazz bestimmende Gruppen gründete, hat schon viele schwierigere Räume geknackt. „Als ich vor 20 Jahren zum ersten Mal ein Konzert im Völkerschlachtdenkmal Leipzig geben wollte, rieten mir alle wegen der schlechten Akustik ab. Ich konnte das nicht bestätigen, man muss sich nur drauf einlassen. Es gibt keine schlechte Akustik, der Hall ist ein Naturgesetz. Wenn man den Pfarrer in der Kirche nicht versteht, hat er einfach schlecht gesprochen. Die Kraft kommt doch von ganz woanders.“
Conny Bauer bezieht seine Kraft seit über 30 Jahren aus der Verschwörung mit seinem Instrument, dem er immer wieder neue Töne, ja mit nur einem einzigen Atemzug minutenlange Akkorde abgewinnt.
Wer sich auf die späte Stunde des um 23 Uhr beginnenden Jazz-Konzerts einlassen wird, könne er natürlich nicht im Voraus sagen. „Aber es gibt einen Stamm von Musikbegeisterten, die neugierig sind auf Kreatives“. Und sicher auch um diese Zeit. „Manche Gäste waren schon vor 30 Jahren in meinem Konzert und wollen sehen, wie ich mich entwickelt habe. Mitunter bringen sie auch ihre Enkel mit.“ Sein Programm wird dem in der Französischen Kirche ähneln, das er im September zum Potsdamer Jazzfestival gab. „Aber ich bin ein Improvisierer, da ist jeder Abend anders. Doch man wird meine Musik schon wieder erkennen“, sagt er am Telefon mit leisem, angenehmem Humor.
Dass Jazz zu DDR-Zeiten auch einen subversiven Touch hatte, kann er für sich nicht bestätigen. „Wenn es das gab, lag es vielleicht in dem Wort Free begründet. Jazz ist allerdings eine Musik, in der man seine Gedanken ganz individuell schweifen lassen kann, und das war in der DDR nicht gerade erwünscht. Da sollten alle die Linie des Zentralorgans ,Neuen Deutschland“ im Kopf haben und keine so verrückte Musik. Eine ganz besondere Energie lag natürlich allein schon deswegen im Raum, weil Jazzmusiker oft bis an ihre physische Leistungsgrenze gehen.“ Auch den Zuhörern werde einiges abverlangt: „Es ist keine Unterhaltung, man muss immer dabei sein.“
Die Zeit, dass er in Session-Klubs spielte, ist für ihn lange vorbei. „Das war in den 70ern mein Thema. Heute lade ich mir lieber Leute in meinen Probenraum ein, und wenn die Voraussetzungen gut sind, gehen wir auch vors Publikum. Bei improvisierter Musik muss man eine richtige Familie sein, denn es wird ja nichts abgesprochen.“ Mit einem Teil seiner „Familie“ spielt er morgen: als „Zentralquartett“ mit Günter „Baby“ Sommer, Ulrich Gumpert und Ernst-Ludwig Petrowski.
Spektakulärer sind aber wohl seine Soli-Auftritte. „Ich war der erste, der als Bläser Solokonzerte gab.“ Besondere Rezepte, um die Lunge bei Laune zu halten, hat Conny Bauer nicht. „Ich spiele nur Posaune, sonst nix, aber das den ganzen Tag.“ Die Technik setze natürlich Anstrengung voraus, wenn man zum Beispiel eine Zirkularatmung über zehn Minuten halten will. Aber viel schwieriger sei die Konzentration auf jede Sekunde, auf den nächsten Ton, der einem einfallen muss. „Die Kraft kommt vom Ohr.“
Wenn er am Freitag im Glasfoyer des Theaters die Zuhörer mit seiner Blastechnik sicher wieder einmal verblüfft, hat er auch Elektronik dabei. „Es gibt ein Mikro, über das ich Teile meiner Musik aus dem Moment heraus aufnehme und dann wieder abspiele. Das ist wie ein Nachplappern. Aus dem Augenwinkel beobachte ich, ob ich mit dem Fußpedal den richtigen Schalter für den Computer treffe. Das funktioniert im Allgemeinen und wenn nicht, kann ich auch damit etwas machen. Das sind die Überraschungen, die einen zwingen, Neues auszuprobieren. Man muss sich bloß trauen.“
Bislang sei er noch nicht tourneemüde geworden, sagte der 63-Jährige. „Es ist immer genug Zeit dazwischen, sich etwas auszudenken und zu üben.“ Obwohl sein Name ein Markenzeichen ist, sei es dennoch nicht so leicht, finanziell über die Runden zu kommen. „Für wenig Geld kann man jeden Tag spielen, für eine gute Gage und in Gruppe geht das meistens nur noch bei gesponserten Festivals, und davon gibt es wenige in Deutschland.“ Meist reist er nach Westeuropa: nach Frankreich, Italien oder Holland. Ein Jazz-Land wie Polen sei hingegen mehr auf Westgruppen fixiert. „Das war schon zu DDR-Zeiten so: Jazzleute aus Osteuropa wurden nur als Alibi eingeladen.“ Wenn er in der Kölner Gegend leben würde, hätte er es näher zur westeuropäischen Jazz-Szene. „Berlin ist weit ab vom Schuss, aber es ist die Kulturstadt. Sie inspiriert mich, auch durch Theater, Tanz oder Kino.“ Schwer vorstellbar ist es, dass der Jazzer mittlerweile in der Betonlandschaft von Hohen-Schönhausen sein Zuhause gefunden hat. „Wenn man sein Geld freiberuflich herantragen muss, zieht man eben dorthin, wo die Mieten am günstigsten sind. Dort leben Leute, mit denen ich gar nichts zu tun habe, aber ich mag Spannungen. Wenn man auf die vielen ,Schließfächer“ guckt, weiß man, wie wenig Menschen eigentlich mit unserer Musik etwas zu tun haben. In der DDR hatten wird volle Säle, und wir dachten, Wunder wie berühmt wir sind. Dabei waren es auch schon damals ganz wenige innerhalb der Gesellschaft, die sich für Jazz interessierten. Das bekam man in einem Kiez, wie den Prenzlauer Berg, wo ich früher wohnte, bloß nicht so mit. Aber dort ist heute auch das reinste Babel.“
Die größte Inspiration findet Conny Bauer, wenn er unterwegs ist, wie gerade vor kurzem bei einem Festival im niederländischen Eindhoven. „Da war eine Ska- und Punkband, die auch improvisierte. Ich kam ganz aufgeladen zurück. Jetzt habe ich tagelang zu tun, um es mit der Posaune zu verarbeiten.“
Eine Schaffenskrise hat Bauer noch nie erlebt. „Ich spiele von früh bis abends und mir fällt immer noch etwas ein. Die leichten Sachen habe ich vor 30 Jahren geübt. Was ich mir jetzt ausdenke, ist schon kniffliger und schwer zu machen. So alt kann ich gar nicht werden, um alles zu realisieren, was ich möchte.“
Freitag, Foyer, Hans Otto Theater, 23 Uhr, 12/8€.
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