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Kultur: Die letzten Botschafter der Kunst?

Zwischen Sehnsucht und Wirklichkeit: Sechs brandenburgische Künstler sammelten in der Fremde – und stellen jetzt die Arbeiten aus, die während und nach ihrem Aufenthalt in Istanbul entstanden

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Die Sehnsucht ist zum Greifen nah. Sichtbar. Die Künstler beschreiben sie – mit Schwarz-Weiß-Fotos, in Farben und Fundstücken. Es ist die Sehnsucht nach einem Lebensgefühl, wie es die türkische Metropole Istanbul in ihnen ausgelöst hat. Sie schwingt mit, wenn der Bildhauer Gunter Schöne sagt: „Ich war erschlagen von der Schönheit der Stadt.“

Schöne war einer von insgesamt sechs brandenburgischen Künstlern und Künstlerinnen, die im vergangenen und diesem Jahr mit einem Stipendium des Landes Brandenburgs in Istanbul weilten. Ihre Arbeiten, die während und nach den zweimonatigen Aufenthalten entstanden, sind derzeit in der Produzentengalerie „M“ in der Charlottenstraße zu sehen.

Dieses Gefühl einer pulsierenden Stadt an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien ist in allen Werken präsent, wenngleich die Begegnung mit der fremden Stadt mal nüchterner, mal verspielt, mal fast sentimental nachwirkt. Die letzten beiden Stipendiaten traten im Frühjahr ihren Aufenthalt an – die diffuse ständige Terrorgefahr war da bereits längst Alltag. Die wenigsten Werke nehmen allerdings direkt Bezug auf die politische Lage. Doch man ist geradezu dankbar über diesen Frieden in den künstlerischen Auseinandersetzungen mit der Wirklichkeit.

Die Potsdamer Künstlerin Beret Hamann etwa hat sich in ihrer Arbeit dem Thema der wachsenden Stadt – der Großraum Istanbul ist Lebensort für mehr als 17 Millionen Einwohner – gewidmet. „Ich war fasziniert von der Bautätigkeit“, sagt Hamann, die im vergangenen Herbst dort war. Stadtteile sprießen aus dem Boden, erst entstehen Straßen, dann folgen die Häuser. Hamann reduziert diesen Gestaltungswillen in ihren drei Ausstellungswerken auf das Bauen an sich und das Spielerisch-Kindliche daran: Ein Turm, eine Moschee, ein Hochhaus, als bunte, symmetrieverliebte Mosaike. Die Werke seien erst nach dem Aufenthalt entstanden, erzählt Hamann in ihrem Atelier in der Neuen Panzerhalle in Groß Glienicke. Ausstellungskarten des Künstlerhauses dienten als Material, zerschnitten und neu zusammengesetzt – als Metamorphosen des Erlebten, die das Dort mit dem Hier verbinden.

Auch Bildhauer Gunter Schöne verarbeitete seine Fundstücke erst im Nachklang in seinem Atelier. Metall- oder Porzellanfiguren, Gegenstände des Alltags sind es, die er im fremden Land sammelt, die „dort buchstäblich auf der Straße lagen“, wie er sagt. Dieses unbeschwerte Kennenlernen einer anderen Stadt, wie es eben nur ein Künstlerstipendium bewirkt, klingt auch in seinen Arbeiten an.

Das Annähern an das Fremde gelingt der Eichwalder Künstlerin Gisela Gräning ebenfalls über Objekte – verbunden mit Text. Die 55-Jährige bereiste bereits mehrmals die Türkei und arbeitete dortzulande. Diesmal stellte sie die türkische Sprache in den Mittelpunkt ihrer Werke. Wochenlang, jeden Tag ein Wort, sammelte sie aus türkischen Tageszeitungen. In Trödelläden erstand Gräning alte Schwarz-Weiß-Fotografien, die, mit den Wörtern in Einklang gebracht, als Collagematerial dienen. Da zeigt ein Foto eine Großfamilie am Strand, die Großmutter noch mit Kopftuch, die nachfolgende Generation hat es abgelegt. Ihre Werke lesen sich wie ein Tagebuch eines Landes. Denn aus diesem Minimalismus an Material entsteht ein ganz eigener historischer Kosmos, die Kunst dient dabei als Wörterbuch, das Geschichten erzählt. Für Gräning wird das nicht der letzte Aufenthalt in der Türkei gewesen sein, die Sehnsucht und die Neugier treibt sie wieder in die Stadt: „Es sind noch Fragen offen“, sagt sie.

Die einzige direkt bezugnehmende Auseinandersetzung mit der aktuellen politischen Wirklichkeit ist wohl die David Lehmanns. Der 1987 geborene, in Berlin und Cottbus lebende Künstler hat in der Tuschezeichnung „8.3.“ die Demonstration in Istanbul anlässlich des Weltfrauentags verarbeitet. Schattenhafte Gestalten mit schwarzen Flecken im Leib, wie zerbombte Seelen. Die Demo wurde gewaltsam aufgelöst, mit Tränengas und Gummigeschossen. „Meine Wahrnehmung war so ambivalent“, sagt Lehmann über seine Zeit in Istanbul. Zum einen habe er vielerorts eine unglaubliche Neugier nach Kunst aus Deutschland gespürt, sagt er, eine Gier nach individueller, künstlerischer Sprache, zum anderen aber auch den existentiellen Kampf der Menschen erlebt.

Ob der Brandenburgische Verband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BVBK) auch weiterhin Stipendiaten in die Stadt am Bosporus schickt, ist angesichts der sich zuspitzenden Lage in der Türkei derzeit fraglich. Zwar wolle man an dem Austausch festhalten.  Aber „die Welle der Gewalt hat die Atmosphäre leider verändert“, sagte Sprecherin Jutta Pelz bei der Eröffnung der Ausstellung – wohl gemerkt war das vor dem Putschversuch am vergangenen Freitag. Seitdem herrscht Ausnahmezustand im Land, noch mehr als zuvor.

Man müsse jetzt sorgfältig die Entwicklung beobachten, hatte Pelz noch gesagt. Sollte eine freie und kreative Arbeit nicht mehr fortgesetzt werden können, werde das Programm ausgesetzt. Derzeit sieht es leider ganz danach aus, als ob die sich in der Ausstellung präsentierenden Stipendiaten vorerst die letzten sind, die ihre Auseinandersetzung mit der Realität in Istanbul in Kunst verwandelten.

Die Ausstellung der Istanbul-Stipendiaten ist noch bis zum 14. August in der Produzentengalerie „M“, Charlottenstraße 122, zu sehen. Geöffnet mittwochs bis freitags von 11-17 Uhr, am Wochenende von 11-18 Uhr

Grit Weirauch

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