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Kultur: „Die Mary zieht das Letzte aus dir raus“

Angelica Domröse spielt in „Eines langen Tages Reise durch die Nacht“ eine Morphiumsüchtige / Premiere ist am 1. Februar

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„Wenn man sich auf diesen Stoff einlässt, kann man nicht unberührt bleiben. Aber es ist auch eine Mutfrage, wie weit man sich öffnet.“

Angelica Domröse hat Erfahrung mit dem sich Öffnen: Nicht nur privat schaute sie in ihrer Autobiografie „Ich fang mich selbst ein“ ungeschminkt in den Spiegel. Auch in unzähligen Rollen spielte sie Gestrauchelte, Gebrochene – Frauen und sogar Männer, die viel vom Leben wollen, aber immer wieder an Grenzen stoßen.

In dem Stück „Eines langen Tages Reise durch die Nacht“ von Eugene O“Neill, das am 1. Februar im Haus Zimmerstraße des Hans Otto Theaters Premiere hat, bringt die bekannte Schauspielerin eine Morphiumsüchtige auf die Bühne. Sie ist die Mary Tyron, die durch das Wanderleben mit ihrem Mann, einem der Trunksucht verfallenen Schauspieler, psychisch gebrochen ist. Dieses immer unterwegs sein, in schmutzigen Hotelzimmern, Eisenbahnwaggons – ohne festes Zuhause – zehrt an ihr. Als sie krank wird, behandelt der Arzt die Schmerzen mit Morphium. Bis zur Abhängigkeit. „Wenn du wieder damit anfängst, weißt du nie, wie viel du davon brauchst“, sagt Mary, die schon so oft versucht hat, davon wegzukommen. Auch ihr ältester Sohn Jamie ist abhängig: Er ist wie der Vater Alkoholiker. Der jüngere Bruder Edmond leidet indes an Tuberkulose. Der Ablauf eines einzigen Tages genügt dem amerikanischen Dramatiker O“Neill, das Leben der irischstämmigen Familie bis in die verborgensten Regungen auszuloten.

„Ein Trip, der nicht schmerzlos ist“, sagt Angelica Domröse. „Diese Drogen, ob Morphium oder Alkohol, versetzen die Figuren in einen Zustand, der leichter macht. Wenn der Mut zum Selbstmord nicht reicht.“ Mary stürzt immer wieder ab, und die Familie ist überfordert, sie aufzufangen. „Es gibt ja auch eine Ko-Abhängigkeit“: Wenn sich der andere Liebe und Zuwendung holt, indem er sich für den Süchtigen aufopfert, der ihn braucht. Ein Teufelskreis, in dem sich auch Mary und ihre Familie befindet.

Das Stück ist 1940 entstanden, aber sein Thema sehr gegenwärtig. „Süchte können schnell ausgelöst werden: Wenn es Tiefschläge im Leben gibt, Krankheiten wie Krebs oder Herzinfarkt dich, die Familie oder Freunde ereilen.“ Auch nervliche Überbelastung könnten sie ins Rollen bringen: Wenn man sich zu viel zumute und nicht mehr zur Ruhe komme. „Krankheiten und Abhängigkeiten verändern den Menschen. Sie haben das Gefühl, etwas verstecken zu müssen. Das schafft ein unglaubliches Klima, wie es auch bei O“ Neill zu spüren ist. Was er aufschrieb, spiegelt das Tragische in seiner eigenen Familie wider. Es ist toll, wenn man es sich so weg schreiben kann.“

Angelica Domröse zieht gedanklich größere Kreise. Für sie ist es auch ein „halber Mord“, wenn ein Mensch arbeitslos ist. „Deswegen finde ich es gut, dass die Leute auf die Straße gehen, schließlich sind sie nicht daran schuld.“ Dieser Hochkapitalismus sei für sie unfassbar. Früher habe sie über Marx gelacht. „Das ist mir vergangen. Deutschland gehört zu den reichsten Industrieländern, und es wird so wenig präventiv gedacht. Das nehme ich jeder Partei übel. Es wird nichts radikal geändert, nur kleine verlogene Schritte getan. Du bist als Mensch nicht mehr als ein Lumpenstück.“ Früher, erinnert sie sich, habe man gesagt: „Werde Arzt, der wird immer gebraucht“. „Aber selbst das stimmt nicht mehr.“ Für sie sei die Welt ins Torkeln gekommen. Der Versuch Sozialismus sei tüchtig in die Hosen gegangen. Aber es gebe auch keinen richtigen Gegenentwurf. „Ich weiß zu wenig von schwarzen Löchern, aber sie faszinieren mich.“

Seit Paula ist sie gewohnt, kompromisslos zu denken. „Paula, mein gesteigertes Ich“, wie sie in ihrer Biografie schrieb. Und wenn man ihr gegenüber sitzt, blitzt einem genau dieses gewinnende, herausfordernde Paula-Lächeln entgegen, das die ganze DDR aus dem Film „Paul und Paula“ kannte. Dieses Land, das sie immer wieder zum Publikumsliebling wählte – und das sie nach ihrer Unterschrift gegen die Biermann-Ausbürgerung kalt stellte. Nichts galt mehr, alle Angebote blieben aus. „Sollten wir warten, bis uns kein Mensch mehr kennt?“ Selbst der langmütige Stefan Heym riet: „Geht! Ihr seit noch jung. Es wird nicht besser!“ Also verließ sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem Schauspieler Hilmar Thate, dieses Land, das sie nicht mehr ertragen konnten: „nicht diesen geistigen Kartoffelsuppengeruch, nicht seine kleinbürgerliche Selbstgerechtigkeit.“

Doch sie ließ auch ihre Popularität hinter sich, die sie genossen hatte und von der sie getragen wurde. Niemand drehte sich mehr nach ihr um. Reizvolle Filmangebote blieben aus. „Im Westen bin ich traurig geworden,“ sagte sie 1986 in einem Gespräch.

„Anfangs war ich begeistert, weil es doch im Unterschied zum Osten so viele gute Theaterstädte gibt, weil alles, auch das Theater dezentralisiert ist. Aber ich vermisse, dass die Regisseure hier kontinuierlich an einem Theater arbeiten. Sie kommen und gehen wie Handlungsreisende. Es fehlt auch die Methode, der Geist. Alles ist für den Augenblickserfolg berechnet, oberflächlich und zufällig“, sagt sie in ihrer Biografie.

Nach der Wende erlebte sie dann die Schließung des Schiller-Theaters. „Es war wie eine zweite Austreibung: Die erste war die aus der DDR gewesen.“ Sie fühlte sich nicht mehr gebraucht von ihrer Stadt Berlin. Stattdessen wurde Wien ihr zweites Zuhause, „eine tröstliche Stadt“. Und es war der in Wien lebende George Tabori, der ihr „neue Falltüren und Hintertüren“ öffnete. Sie spielte sogar den Stalin bei ihm. Die Arbeiten mit Tabori waren die Befreiendsten für sie, seit dem Weggang aus der DDR. „Ich bin mutiger geworden seit dem.“

Nun ist sie in Potsdam, bei dem „denk- und gefühlsfreudigen“ Intendanten Uwe Eric Laufenberg, der Regie bei diesem O“Neill-Stück führt. „Viele junge Regisseure denken ja, sie müssten das Theater neu erfinden. Dabei ist nichts langweiliger, als wenn nur ein Strang erzählt wird. So werden in Deutschland die Stücke immer kürzer. Vielleicht ist das ein Zeichen von Denkfaulheit, oder ein sich Anpassen an das Fernsehen, ohne es zu merken.“

Bei O“Neill muss man sich indes auf eine lange Reise einlassen: „Der Autor hat sich etwas gedacht bei seinem Titel. Von Stunde Null zu Stunde Null durchschwimmen wir viele Abgründe.“ Es gebe in diesem aufregenden Stück keine kleinen und großen Rollen: „Alle Vier sind gleich wichtig. Mal sehen, wie wir den Stoff kneten in der kurzen Zeit, die wir haben.“ Angelica Domröse ist von größeren Häusern ganz andere Probenzeiten gewöhnt. Sie empfinde es aber als reines Glück, jetzt in Potsdam spielen zu können. „Das Theater macht wieder von sich reden: Es ist schön, bei einem solchen Neuanfang dabei zu sein.“ Es erinnere sie an ihre Zeit an der Volksbühne, als der Schweizer Benno Besson das Haus übernahm und auch an das Schiller-Theater, an das sie gemeinsam mit Boy Gobert einen Neubeginn wagte.

„Ich bin gespannt, wie meine Brandenburger, die ja eine gewisse Sturheit und Strenge haben, die Aufführung am Hans Otto Theater aufnehmen: Ein Stück voller Tragik, unter dem aber auch ein Verzweiflungslachen liegt.“

Als sie 2003 ihre Autobiografie veröffentlichte, habe sie unglaublich viel Post bekommen, vor allem von Frauen. „Sie sind mutiger, sich zu öffnen. Frauen identifizieren dich auch mehr mit dem, was du spielst.“ Angelica Domröse lässt sich mit Haut und Haaren auf ihre Rollen ein. „Nervosität ist nicht so schlimm wie Kälte, wenn man den Zuschauer nicht mehr erreicht. Wenn plötzlich Kälte entsteht, die man selber spürt. Vielleicht weil man das Stück so oft gespielt oder einen schlechten Tag hatte. So eine Schieflage bemerkt auch das Publikum.“ Aber davor sei ein Schauspieler nicht gefeit, gerade in so zerrissenen Rollen wie der Mary, „die dir das Letzte raus ziehen.“

Und wieder lächelt sie ihr Paula-Lächeln. Bis es gleich bei der Probe dem schmerzhaften Lächeln von Mary weichen wird. „Nicht nur die Fähigkeit, sich zu verstellen, macht den Schauspieler-Beruf aus, sondern die Fähigkeit zur Hingabe an ein anderes Sein.“

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