Kultur: Die Preußen wollen immer alles besser wissen als andere Leute
Ausstellung in den Römischen Bädern: Goethe besuchte Potsdam und Berlin ein einziges Mal – in politischer Mission / Von Peter Walther
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„Goethe und die Mark Brandenburg“. Die Ausstellung in den Römischen Bädern im Park Sanssouci, veranstaltet vom Brandenburgischen Literaturbüro, kuratiert von Peter Walther, erzählt eindrucksvolll in Wort und Bild von den Beziehungen des Weimarer Dichters zu Preußen und zu einigen Persönlichkeiten, die in Berlin, Potsdam und in kleineren Orten der Mark Brandenburg heimisch waren. Peter Walther, der auch als Herausgeber des Buches „Goethe und die Mark Brandenburg“ (Vacat verlag) fungierte, berichtet im folgenden Beitrag über des Dichters Für und Wider von Reisen.
Goethe hat, von Badereisen abgesehen, nach 1793 fast nur noch in Weimar gelebt, „jenseits der größeren Mittelpunkte der neuern Zeit“, wie der Berliner Varnhagen treffend beobachtete. Zu den wenigen großen Städten, die er je besucht hat, gehört Berlin. Als Goethe im Mai 1778 in Begleitung seines Herzogs und des Fürsten Leopold Franz von Anhalt Dessau in der preußischen Hauptstadt eintraf, hatte Berlin bereits über 100 000 Einwohner, in Weimar lebten zur gleichen Zeit etwa 6000 Menschen. Die Gesellschaft reist in politischer Mission, der Streit zwischen Preußen und Österreich um die bayerische Erbfolge droht, sich zum Krieg auszuweiten. Es geht, mit Übernachtung in Treuenbrietzen, nach Potsdam. Die Tage in Berlin und Potsdam vergehen mit Besichtigungen und Besuchen.
„Je größer die Welt, desto garstiger die Farce“, war Goethes Resümee dieser Reise. Bis ins hohe Lebensalter verband er mit Berlin das Bild einer „klaren, prosaischen Stadt“, die von einem „verwegenen Menschenschlag“ bewohnt wird, dem es bei einer „höchst platte(n) Lebensweise“ an „eigentlich geistiger Tätigkeit“ mangelt. Bei aller Bewunderung für Friedrich den Großen bewahrte Goethe stets eine ironische Reserve gegen die preußische Mentalität und Lebensweise: „Geben Sie acht, Freund“, ermahnte der Dichter noch Jahrzehnte später seinen Mineralogie-Gefährten Grüner, „es sind Preußen, die wollen immer alles besser wissen als andere Leute“.
Das Bewußtsein um die Anfälligkeit seines inneren Gleichgewichts scheint – abgesehen von allen äußeren Fragen – keine geringe Rolle bei Goethes Lebensentscheidung für Weimar gespielt zu haben. Dassdie Entscheidung zugunsten eines überschaubaren Wirkungskreises ihren Preis hatte, der besonders in den frühen Jahrzehnten zu zahlen war, ist nicht zuletzt durch Äußerungen von ihm selbst bezeugt. Wie „zu nah aneinanderstehende Bäume“ hätten sich Wieland, Herder, Schiller und er selbst am gleichen Ort nicht ausbreiten können, und da es ihm nicht vergönnt gewesen sei, sich in der Breite zu entfalten, merkt er mit ironischem Unterton an, sei er eben in die Höhe ausgewichen. Wie misslich der Zustand zuweilen gewesen sein muß, läßt sich an einer Bemerkung Goethes über Herder ermessen: „Je mehr man Herdern geliebt, je mehr habe man sich von ihm entfernen müssen, um ihn nicht totzuschlagen“.
Ebenso wie die Entscheidung, in „kleineren Städten“ zu leben, nicht unproblematisch war, ist umgekehrt auch Berlin nicht nur das Pflaster einer „rohen Nationalität“ gewesen. Berlin wäre nicht lebenslang ein Potential der Beunruhigung geblieben, wenn es nicht auch Vorteile des gesellschaftlichen Lebens gegeben hätte, in deren Bann Goethe zu geraten sich fürchtete. Besonders Zelter gegenüber hatte Goethe über drei Jahrzehnte hinweg mehr als einmal Anlaß, seine Verweigerung zu begründen. Auch ihm antwortete er stets im gleichen Sinn: er könne sich bei aller Bewunderung für die Möglichkeiten der Großstadt im Hinblick auf Theater und Musik nicht mehr „einer so großen, bewegten Welt übergeben“.
Er hatte es im übrigen auch nicht nötig. Besonders in den letzten beiden Jahrzehnten kam alle Welt zu ihm, jetzt besuchten ihn mittlerweile die Enkel seiner Jugendgefährten. Goethe hatte „die behagliche Empfindung, nicht selber reisen zu müssen“. Er las eine Reihe in- und ausländischer Zeitschriften und pflegte eine ausgedehnte Korrespondenz, bei der ihm die Portofreiheit zugute kam, die er als Minister genoß. Über den Alltag jener Jahre sind wir durch die Berichte der Besucher und die Aufzeichnungen von Goethes näherer Umgebung gut unterrichtet. Wir kennen die offiziellen Auftritte des Dichters, der seinen Besuch meist im dunklen Hausmantel, geziert mit dem Falkenorden, in gerader Haltung und mit auf dem Rücken verschränkten Armen empfing.
Und wir sind über den privaten Goethe informiert, der zum Zwecke der Genesung und zum Befremden Wilhelm von Humboldts schon am Morgen Bier trank, der aus heiterem Himmel Niesanfälle bekam, Knoblauch verabscheute und abends im kleineren Kreis seine Enkel solange abkitzelte, bis sie von selbst zu Bett gingen. Gelehrte verschiedener Zünfte verwunderten sich über das Detailwissen des Dichters. Es ist vielfach bezeugt, dass Besucher in Erwartung eines „auf das Gewürm herabblickende(n) Gesicht(s)“ zu Tränen gerührt waren ob der Leutseligkeit des Dichters. Dass Goethe im hohen Alter auf dem Schützenfest „mit der Armbrust ins Zentrum traf“ oder, angeregt von Eckermann, sich im Bogenschießen übte, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß seine von Natur aus starke Konstitution lebenslang von überraschend auftretenden Krisen bedroht war. „Wir schlafen sämmtlich auf Vulkanen“, heißt es in den Zahmen Xenien. Es scheint dieses Wissen um die eigene Gefährdung gewesen zu sein, die Furcht, das Gleichgewicht von Außen und Innen zu verlieren, die den tieferen Grund für Goethes Abneigung gegen die Großstadt Berlin ausmachte. Die bewußte Eingrenzung auf ein Wahrnehmungsfeld galt ihm als Bedingung für geistige Produktivität, die sich erst innerhalb dieser Grenzen universal entfalten kann.
Selbstbeschränkung – war es nicht das, was Goethe in seiner berühmten Parodie auf Schmidt von Werneuchen über die „Musen und Grazien in der Mark“ aufs Korn genommen hatte? Hatte nicht auch der Dichterpfarrer Schmidt eine bewußte Entscheidung für die Provinz getroffen, sowenig Werneuchen mit Weimar vergleichbar ist? Den Dichter des „Faust“, im Xenien-Jahr ohnehin in polemischer Laune, störte wohl eher, dass jemand seine Begrenzungen feierte, anstatt sich an ihnen zu reiben, anstatt sie nur widerwillig zu akzeptieren und hin und wieder zu überschreiten – er parodierte die zum poetischen Programm gewordene Selbstgenügsamkeit.
So wird Goethes Haltung durch ein dauerhaftes Spannungsverhältnis bezeichnet: Weder geht es darum, alle natürlichen Beschränkungen aufzuheben und sich in seinem Tun und Denken zu verlieren, noch darf die Erkenntnis der eigenen Möglichkeiten zur Selbstgenügsamkeit führen: „Willst Du ins Unendliche schreiten,/ Geh nur im Endlichen nach allen Seiten“.
Lesung in den Römischen Bädern im Park Sanssouci am 25. Juni um 11 Uhr. Klaus Büstrin liest Goethe-Texte aus und über Italien. Musik: Karin Liersch, Violoncello, und Brigitte Breitkreuz, Gitarre.
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