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Kultur: Die Welt vor der Kamera

Regisseur Michael Winterbottom eröffnete Retrospektive im Filmmuseum

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Regisseur Michael Winterbottom eröffnete Retrospektive im Filmmuseum Von Marion Hartig Sein Besuch ist fast bis auf die Minute durchgeplant: Flug von London nach Berlin, mit dem Auto nach Potsdam, Ausstellung in der Fachhochschule, Filmmuseum, Pressegespräche im Zehnminutentakt. Michael Winterbottom, der international bekannte britische Regisseur besuchte am Donnerstagabend Potsdam und eröffnete die ihm gewidmete Film-Retrospektive „Welcome Michael Winterbottom“, die vom Filmverband Brandenburg in Zusammenarbeit mit dem Filmmuseum organisiert wurde. Nach Potsdam ist für den Regisseur die Berlinale dran, in diesem Jahr ist er allerdings nur als Gast dabei, einen Film hat er nicht eingereicht. Man sieht Winterbottom kaum an, dass er der Mittelpunkt dieses Abends ist. Schlichte Hose, graues Sweatshirt, dunkelblaue Strickjacke, kurzes Haar. Auf der Straße würden ihn nur Filmexperten erkennen, und auch die erst seit der Berlinale 2003, als er für seinen Flüchtlingsfilm „In this world“ mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet und in den Medien rauf und runter gelobt wurde. Im Laufe des vergangenen Jahres hat es bei internationalen Festivals für den Streifen sechs weitere Preise geregnet. Aber er hat noch bessere Filme gemacht, als die Flüchtlingsgeschichte, wird der Regisseur später scherzen. Die Werkschau im Filmmuseum, die anschließend in das Filmkunsthaus Babylon nach Berlin geht, hat fast alle seine Kinostreifen im Programm: Zu sehen ist sein Kinodebüt „Butterfly Kiss“(1994), eine bizarre Liebesbeziehung zwischen zwei Frauen, die nicht aufgeben, daran zu glauben, dass Liebe alles kann. Mit Kate Winslet und Christopher Eccleston verfilmte Winterbottom den Roman „Jude the Obscure“ von Thomas Hardy. In „Welcome to Sarajevo“ erzählt er die Geschichte eines britischen Journalisten in der bombardierten Stadt. Um drei Schwestern im Londoner Alltag dreht sich die Geschichte „Wonderland“. „24 Hour Party People“ erzählt von Manchester, von der Musik der Stadt, von den Bands, die sie hervorgebracht hat, The Smiths, Barcley James Harvest und die Bee Gees. Zehn Kinostreifen hat Winterbottom bisher gedreht. Und keiner ist dem anderen gleich. Jede Geschichte ist neu und jedesmal hat der Regisseur sie in eine andere Form gegossen. Er hat Dramen und Komödien gemacht, einen Western und letztlich den Science-Fiction-Film „Code 46“, der aber in deutschen Kinos noch nicht angelaufen ist und auch in der Werkschau in Potsdam fehlt. Und trotzdem zieht sich durch die Werke ein roter Faden. Das Talent, mit kleinen Alltagsgesten große Geschichten zu erzählen: Die Frau, die sich in „Wonderland“ nach unendlichen Ehejahren zur Seite dreht, als der Mann ihr zärtlich über den Rücken streichen will. Jamal, der Geschichtenerzähler, der in „In this world“ verschmitzt darauf wartet, wie sein Witz beim Gegenüber ankommt. Er gibt er den Darstellern in den meisten Szenen nicht mehr als eine Idee vor, erzählt Winterbottom. Der Regisseur sitzt mit Schinkenbaguette in einem Sessel und hat zehn Minuten Zeit, der Journalistin von sich und seiner Arbeit zu erzählen. Er zeigt in seinen Filmen Lebenssituation, sagt er, in die man sich einfühlen kann, im Sinne von „was wäre wenn“. Er will so offen, so vielschichtig wie möglich arbeiten, so dass sich in der Geschichte verschiedene, auch gegensätzliche Perspektiven wiederfinden. Der Regisseur, ein neutraler Erzähler? Das kann man ihm nicht ganz abnehmen, gerade wenn man seine Filme mit politischem Hintergrund im Kopf hat. In der Sarajewo-Geschichte blendet er Reden von Politikern ein, die im totalen Kontrast stehen zu dem was in der Trümmerstadt passiert. In „In this world“ zeigt er Flüchtlinge, die Grausames erlebt haben und sich in einer Welt wiederfinden, die sie nicht haben will. Allein die Themenwahl bezieht Position, seine Filme haben eine ganz klare Richtung. Und das ist gut so und macht einen großen Teil ihrer Wärme aus. Dabei begibt sich Winterbottom tief in die reale Welt hinein. Jamal und Enayatullah zum Beispiel castete er für „In this world“ in einem afghanischen Flüchtlingscamp. Mit einem kleinen Filmteam reisten die Cousins die Flüchtlingsroute entlang bis nach London. „Die beiden spielten sich selbst“, erzählt der Regisseur. Es wäre ihm seltsam vorgekommen, wenn er ihnen vorgegeben hätte, wie sie sich als afghanische Flüchtlinge verhalten, was sie sprechen sollen. Dabei herausgekommen ist ein einfühlsamer Film – nicht allzu fern von einer Dokumentation. „Ich hab“ den Krieg gezeichnet“, Ausstellung zur Retrospektive im Foyer der Fachhochschule am Alten Markt

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