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„Die Zukunft der Vergangenheit“: Lit:Potsdam wendet den Blick nach vorn – mit vielen Stars
Das Potsdamer Literaturfestival findet Anfang Juli zum 13. Mal statt – erstmalig vor allem im Orangerieschloss von Sanssouci. Die beantragte Förderung ist noch immer in der Schwebe.
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Ein Schwindler sitzt im Weißen Haus, ein Ganove im Kreml – für seine Überlegungen zur kommenden Ausgabe der Lit:Potsdam startet ihr künstlerischer Leiter Denis Scheck in der Gegenwart. Doch vielleicht sind die Zeiten ja gar nicht so einmalig, wie wir sie erleben? Damit der Blick nach vorn gewendet werden kann, taucht das Potsdamer Literaturfestival erst einmal tief in die Zukunftsvisionen von gestern: Literatur als „Probebühne der Existenz“.
Anlass für Scheck, über die Urfragen der Literatur – Was wird? Was bleibt? Was wäre, wenn ...? – nachzudenken, war „Der Tunnel“ des Schriftstellers Bernhard Kellermann, Namensgeber der Potsdamer Villa Kellermann. Der dystopische Roman aus dem Jahr 1913 verhandelt die Erfindung eines neuen Materials, mit dem ein Tunnel zwischen Europa und den Vereinigten Staaten gebaut werden soll. „Potsdam war immer ein besonderer Ort“, so Scheck. „Nicht nur gestern, sondern auch morgen, weil hier die Zukunft Preußens, des deutschen Kaiserreichs bzw. Deutschlands entworfen wurde.“
Was also wird? Wie bereits vorletzte Woche verkündet, heißt das Motto des diesjährigen Festivals „Die Zukunft der Vergangenheit“. Verhandelt werden sollen Fragen zu Vergangenheit und Zukunft, Erinnerungen, Träumen und Visionen. Mit der Ankündigung des gesamten Programms am Montag hat der Vorverkauf für die gewohnt hochrangig besetzten Veranstaltungen begonnen.
Förderung in der Schwebe
Eröffnet wird die 13. Festivalausgabe am 1. Juli mit einer Lesung des Zeitreiseromans „Zeitzuflucht“ des bulgarischen Booker-Prize-Trägers Georgi Gospodinov im Hans Otto Theater – sofern die beantragten Förderungen von fast 100.000 Euro bis dahin geflossen sind. „Ohne diese Zuwendung können wir das Festival nicht machen“, so Marianne Ludes, Vorstandsvorsitzende des veranstaltenden Vereins Lit:Pots.

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Es ist nicht das erste Mal, dass Lit:Potsdam mit den Planungen in der Schwebe gelassen wird. Letztes Jahr fiel überraschend die Förderung für das begleitende Schulprogramm weg. Als Konsequenz mussten viele Lesungen und Workshops gestrichen werden. Dieses Jahr gibt es bisher immerhin einen „vorgezogenen Maßnahmenbeginn“. Dieser genehmigt zwar, bereits vor der endgültigen Entscheidung zu starten - eine Garantie für die Bewilligung der Förderung ist er allerdings nicht.

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Meiste Lesungen in Sanssouci
Die größte Änderung des diesjährigen Festivals betrifft die Veranstaltungsorte. Waren die Lesungen bisher über die gesamte Stadt verteilt, findet ein Großteil dieses Mal im Orangerieschloss von Sanssouci statt. Die übliche Betreuung verschiedener Orte: „logistisch ein ziemlicher Kraftakt“. Nach der Ablösung der bisherigen Leiterin Sabine Haack durch Felicitas Höhn startet das Festival-Team laut Ludes aus verschiedenen Gründen neu.

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Die Konzentration auf einen Ort hat also pragmatische Gründe. Als positiven Effekt sieht Ludes mit einem zentralen Festivalort eine Stärkung des Festivalcharakters. Dass die Villa Ludes als langjährig beliebter Veranstaltungsort der Lit:Potsdam wegfällt, ist nicht von Dauer: „Nächstes Jahr sind wir sehr gerne wieder Gastgeber“, so Ludes. Neben der veränderten Logistik gestalten sich auch die Ticketpreise neu: Durch eine Staffelung können Besucher mit teureren VIP-Tickets das Festival unterstützen; über Hörplätze hingegen können sie kostengünstiger an Lesungen teilnehmen.

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Aber auch inhaltlich gibt es Neues: An zwei Abenden findet erstmalig eine „Literarische Late Night“ statt. Der als Tatort-Kommissar Freddy Schenk bekannte Schauspieler Dietmar Bär liest am 3. Juli die „wahre Queen of Crime“ Dorothy L. Sayers und am 5. Juli David Foster Wallace, der in „Unendlicher Spaß“ mit seinem Schnulzensänger im Weißen Haus beinahe Trump vorwegnahm.

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Und sowieso: Will man über Zukunft sprechen, kommt man an Politik nicht vorbei. Alhierd Bachrevič, der dieses Jahr auf der Buchmesse den Leipziger Preis zur europäischen Verständigung erhielt, liest am 4. Juli aus seinem in Belarus verbotenen Roman „Europas Hunde“. Darin arbeitet er sich an Lukaschenkos Diktatur ab.
Die abendliche Festveranstaltung dann ist zweigeteilt: Während Mithu Sanyal („Identitti“) sich in ihrem neuen Roman vor dem Hintergrund von Queen Elizabeths Tod mit viel Witz zum Postkolonialismus äußert, spricht der vielfach ausgezeichnete Autor und Islamwissenschaftler Navid Kermani über seine Erkenntnisse aus Reisen in afrikanische Krisengebiete.

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Was gleich bleibt: die mittlerweile schon traditionelle „Rede zum Ende der Schulzeit“. Schriftstellerin und Lesebühnenautorin Kirsten Fuchs („Der Miesepups“) hält sie am 4. Juni im Freiland.
Auch die Synthese von Literatur und Film bleibt bestehen. Am 2. Juli treffen in Zusammenarbeit mit dem Filmfestival „Green Visions“ Schriftstellerin Katja Lange-Müller und Festivaldirektor Dieter Kosslick im Thalia Theater aufeinander. Ergänzt wird die Lesung aus Lange-Müllers inklusivem Roman „Unser Ole“ um die Vorführung des Dokumentarfilms „Die Unbeugsamen 2“, in dem sie in ihrem Kampf um Teilhabe in der DDR porträtiert wird. Das Festival beschließt die Potsdamer Buchpreisträgerin Antje Rávik Strubel mit ihrem neuen Roman „Der Einfluss der Fasane“, in dem sie mit dem Feuilleton abrechnet.
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