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Seit sechs Monaten arbeitet Martin Mehlitz in seiner Manufaktur in der Charlottenstraße 104.

© Miriam Labuske

Von Heidi Jäger: Durchatmen

Der Maler Martin Mehlitz lädt ein in seine Hexenküche: Er gibt in seiner Manufaktur in der Charlottenstraße Kurse für Kinder und Erwachsene

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Auf seinen Bildern tummeln sich Elefanten, Zebras und Giraffen, als wären sie gerade der Savanne entsprungen. Es sind Erinnerungen der Kindheit. Martin Mehlitz stromerte als kleiner Junge durch die Weiten Kenias, während sein Vater als Tropen- und Veterinärmediziner zur Tsetse-Fliege forschte. Er aß wie seine Nanny mit beiden Händen aus großen Schüsseln und spielte mit den schwarzen Kindern aus der Nachbarschaft. Dennoch blieb er der Außenseiter, auch wenn er wieder zu Hause in Hamburg war. „Dann war ich der, der in Afrika war.“ Seine Rolle hieß: Ich und die anderen. „Sie passt irgendwie auch zu meinem jetzigen Künstlerdasein, wenn ich mich ,halbnackt’ auf die Straße setze und mich zur Verfügung stelle, kritisiert zu werden.“

Es kommen durchaus auch Leute in seine „Manufaktur“ in der Charlottenstraße, die über seine dekorative Malerei die Nase rümpfen. Andere greifen begeistert zur Geldbörse und kaufen die teils vergnüglichen, teils braven „Viechereien“. „Die mitunter auch anecken“, wie er es schon erlebte. Wenn nämlich neben dem niedlichen Rehkitz Messer und Gabel den nahenden Tod assoziieren.

Der Autodidakt bedient sich gern im Kaufhaus der Kunstgeschichte, lässt zum bekannten „Tanz“ von Matisse statt nackter Menschen Elefanten einen Reigen drehen oder tropft in Jackson Pollock-Manier rote Farbe auf die Leinwand als seien es Blutspritzer. „Anfangs wollte ich einzigartig sein, aber das Gegenteil ist doch unsere Aufgabe: zusammen etwas entstehen zu lassen. Das habe ich erst spät begriffen. Inzwischen lasse ich mich ganz unverschämt inspirieren und denke: Selbst Picasso schaute auf die Kunst Afrikas.“

Gegen den Strom zu schwimmen, war der Geist mütterlicherseits, dem er lange verhaftet blieb. „Heute möchte ich kollektivfähig sein, auch wenn ich Schwierigkeiten habe, im Gleichschritt zu gehen“, so der 44-Jährige, der neben seinem Studium der Soziologie parallel immer malte und später gemeinsam mit Filmemachern, Schauspielern und Modemachern in Berlin Kunstaktionen startete. Er hat auch selbst geschauspielert, im „Schutzengel“ seines Freundes Raymond Boy die Hauptrolle gespielt. Doch blieb das Filmen für ihn eine Eintagsfliege. „Ich hatte keine Lust mehr, mich selbst nachzuäffen, und etwas anderes bleibt einem Dilettanten ja nicht übrig.“

Auch nach dem Studium schlug er sich mit Theorien von Theodor W. Adorno herum, der meinte: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, bis der Grübler und Zweifler Mehlitz nach langer Selbstfindungsphase für sich erkannte: „Das verurteilt nicht dazu, nichts zu machen.“ Mit dieser Einstellung wandte er sich fortan nur noch der Kunst zu, außer wenn er zwei Mal die Woche als Einzelfallhelfer einen Jungen mit Down-Syndrom begleitet.

In seiner Manufaktur in Potsdam arbeitet er ebenfalls mit Kindern, lässt sie in seiner Hexenküche zaubern. „Die afrikanische Erde ist der Schlüssel zu meiner Kunst, daraus ist viel gewachsen.“ Mit der roten Erde von Termitenhügeln lässt er gern in seinen Kursen laborieren. Die Kinder zermalmen sie, verteilen das Pulver mit dem Schwamm auf der Leinwand und sprühen Wasser drüber. Dann kommt Acrylbinder drauf und schon kann mit Fantasie auf afrikanischer Erde gewandelt werden. Langweilig wird es in den Kursen von Martin Mehlitz sicher nie, denn er kommt auf die verrücktesten Ideen. So bestellte er bei einem Schlächter ausgekochte Rinderschädel, die er von den Kindern malen und später auch bemalen ließ. „Das hatte natürlich etwas Gruseliges, aber die Eltern stimmten dem delikaten Thema zu. Nur ein Kind zeichnete lieber einen Igel.“ Auch gegerbte Tierhäute finden Einlass in seine Kunst, zugesandt von seinem Onkel, der in Afrika in der Fellverarbeitung tätig ist. Und da die Großmutter Kürschnerin war, hat er wohl auch etwas von ihren Genen geerbt.

Gene spielen in Martin Mehlitz’ Kunst immer wieder eine Rolle. Das Dauerthema Fruchtbarkeit und Erde hängt sicher mit seiner Abstammung zusammen: Ab 1720 betrieb seine Familie in Berlin Landwirtschaft. Da sie an die Stadt Ackerflächen abtrat, wurde nach ihr auch die Mehlitzstraße benannt. Und manchmal spült einfach Liebeskummer solche Dinge wie Fruchtbarkeit an die Oberfläche. Als Martin Mehlitz um seine jetzige Frau kämpfte und erstmal erfolglos blieb, fuhr er nach Barcelona und gab sich in einem schäbigen Zimmer seinen Gefühlen hin: Es entstanden Bildflächen mit x- und y-Chromosomen, ein Spiel von Strichen und Halbkreisen, das er immer wieder mal anzettelt. „Ich führte damals das Leben eines Boheme, nur mit Nudeln und Zigaretten.“ Inzwischen liegt die Zeit, in der der Abwasch eingefroren ist, lange zurück. Damals malte er sich barfuß und mit gebrochenen Zauberstab: „meine eigentlichen Kunstwerke. Jetzt ist vor allem die Familie dran und ich muss das Urlaubsgeld verdienen.“

Durch sein ständiges Hin- und Herreisen als Kind fiel es ihm noch lange Zeit danach schwer, Verbindlichkeiten auf Dauer einzugehen. „Jetzt bin ich Vater und das sind Werte, die nicht infrage zu stellen sind und die mich wurzeln. Meine Frau arbeitet an der Universität und ich bin der moderne Mann, der mit tiefgefrorener Muttermilch zu Hause blieb.“ Erst jetzt, wo Jacob und Anton neun und zwei Jahre alt sind, darf er wieder loslegen, vorerst mit angezogener Handbremse, denn der stete Blick zur Uhr, um die Kinder pünktlich aus ihren Einrichtungen abzuholen, bleibt.

Die Kinder waren es auch, die den Umzug aus Kreuzberg nach Potsdam auslösten. „Wir passten nicht mehr in den Berliner Kiez, als wir anfingen, uns über den Frohsinn der Leute in den Kneipen zu ärgern.“ Jetzt wohnen sie im Bornstedter Feld in einem Ökohaus an der Feldflur und hoffen, irgendwann ein eigenes zu haben.

„Magengeschwüre auf die Leinwand zu malen, ist im Moment nicht mein Ding. Dann müsste ich mich gegen den Alltag stemmen. Doch ich will beim Malen durchatmen, jedenfalls so lange die Kinder im Haus sind.“

Also malt er gemeinsam mit seiner Schülerin Maria Silkinat Potsdam-Ansichten, trägt auf rissfesten Tapetenvliesbahnen in Linolschnitt Muster aus Bauhauszeiten und im Ethno-Look auf und lässt weiter Giraffen und Elefanten ins Bild springen. Und auch Hirsche: „die deutschen Elefanten“.

Kurs-Anmeldung für Kinder und Erwachsene unter Tel. 0176/67414727, Charlottenstraße 104.

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