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Kultur: Ein „Inselhüpfen“ durch neun Jahrhunderte

Die Ausstellung „Land und Leute“ bewegt sich zwischen Wasser, Wald und Sand – Entdeckungen mit der Kuratorin Ursula Breymayer

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Die Ausstellung „Land und Leute“ bewegt sich zwischen Wasser, Wald und Sand – Entdeckungen mit der Kuratorin Ursula Breymayer Von Heidi Jäger Als Kind wollte sie Kriminalistin werden. Dass dieser Traum sich nicht erfüllte, beklagt Ursula Breymayer in keiner Weise. Schließlich gehört ein guter Spürsinn sowie die Lust, den Dingen auf den Grund zu gehen, auch heute zu ihrem Beruf. Die 43-jährige Schwäbin ist Ausstellungsmacherin, was auf dem ersten Blick nicht unbedingt nach Dramatik klingt. Doch schon die „Ordnung“ in ihrem Büro ähnelt dem Bild einer Detektei. Überall liegen Fundstücke verstreut, kein freies Plätzchen ist auf dem Riesentisch auszumachen. Doch ein Handgriff genügt, und schon ist das entsprechende „Corpus Delicti“ ausgemacht. Seit einem Jahr fahndet die aufgeschlossene Neu-Berlinerin nach den Dingen, die die Geschichte Brandenburgs im Innersten zusammenhält. Für sie sind es zuvorderst die drei Elemente Wasser, Wald und Sand. Darauf stieß sie allerdings schon, bevor sie den ersten Schritt in ihr Potsdamer Büro auf Zeit setzte. 1992 verließ Ursula Breymayer ihre Studienstadt Tübingen, in der sie der Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft auf den Grund ging. „Es war zwar furchtbar nett im Schwabenland, aber auch mit der Zeit etwas eng“. Die Wende machte sie und ihren Lebensgefährten neugierig auf den anderen Teil Deutschlands, über den sie sich zuvor nur wenig Gedanken machten. „Vor allem lockte uns aber das Leben in einer urbanen Großstadt. Die Freude wurde anfänglich etwas getrübt, denn der patzige Ton der Berliner ist schon sehr gewöhnungsbedürftig.“ Positiv überrascht waren sie hingegen vom Brandenburgischen. „Ich entdeckte Landschaften, wie ich sie nie erahnt hätte.“ Als sie dann die Ausschreibung für die Dauerausstellung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte las, unterbrach sie, ohne zu zögern, ihre Magisterarbeit – sicher auch, um nach drei Jahren mal wieder dem eher ungeliebten Dauerstudium in der Bibliothek zu entfliehen und sich unter Menschen mischen zu können. Schneisen ins Landesdickicht Natürlich war sie kein unbeschriebenes Blatt auf dem Ausstellungssektor. „Vor allem war es wohl die Landesausstellung Sachsen-Anhalt in dem Wahnsinns-Elbe-Kraftwerk Vockerode, die mich für das jetzige Projekt empfahl.“ Aber auch in der Heimat hinterließ sie bei der Gestaltung der Landesausstellung Baden-Württemberg ihre Handschrift, ebenso bei Projekten im Deutschen Historischen Museum Berlin oder im Hygiene-Museum Dresden. Ihr neuer „Fall“ hieß nun: 900 Jahre Brandenburg, und die Zeit, ihn zu lösen, war von vornherein auf zwölf Monate beschränkt. Wie nähert man sich also am Schnellsten und Wirkungsvollsten dem Ziel? Indem man sich Zeit für die Spurensuche nimmt, und die hieß in ihrem konkreten Fall „Marksteine“ - der vorangegangenen großen Ausstellung im Kutschstall. Das ihr zur Seite gestellte Team hatte sich bereits über diese Schau tief in die Geschichte Brandenburgs vorgegraben. Doch jetzt, zur Dauerausstellung, galt es auf einer wesentlich kleineren Fläche von 550 Quadratmetern, die Spreu vom Weizen zu trennen, neue Schneisen in das Landesdickicht zu schlagen. „Dabei erwies sich der unverbrauchte Blick von außen durchaus als günstig. Schließlich soll ja auch die Ausstellung nicht nur für eingeweihte Spezialisten sein. Wir wollen eine möglichst breite Bevölkerung, natürlich auch Touristen und insbesondere die Jugend ansprechen. Mit einer kulturhistorischen Ausstellung kann man zwangsläufig nicht so viel Wissen vermitteln, da greift man besser zum Buch. Was wir leisten wollen, ist die Vermittlung eines Gefühls, eines Eindrucks, und das schließt Reibflächen mit ein.“ Die wache Frau weiß auch ohne hellseherische Fähigkeiten, wo ihre Kritiker ansetzen werden. „Vieles mussten wir durch den Wust an Themen weglassen. Auch Berlin kommt dadurch zu kurz. Unser Prinzip war es, nicht die dynastische Geschichte der Hohenzollern in den Vordergrund zu schieben, denn die wird partiell ja schon in den vielen Schlössern erzählt. Zudem wird in zwei Jahren im Schloss Charlottenburg ein Hohenzollernmuseum eröffnet. Uns interessierten ,Land und Leute“, eben die Sozial- und Alltagsgeschichte – die natürlich im Kontext zu den jeweiligen Monarchen zu sehen ist.“ Und so treffen Adel und Bauern immer wieder aufeinander – und das eben in den unterschiedlichen „Stoffen“, aus denen Brandenburg besteht – Wasser, Wald und Sand. „Diese drei Leitmotive sollen aber nicht didaktisch aufgepfropft werden, sondern eher der Ausstellung wie ein Subtext unterliegen.“ So habe der Wald natürlich dem elitären höfischen Jagdvergnügen gedient. Aber zur Jagd gehörten auch die Treiber. Und die kamen aus dem Volk. Und natürlich war der Wald auch Ressource für die normale Landbevölkerung, die beispielsweise dort ihre Schweine hütete. Der Wald wurde auch gebraucht, um Glas zu brennen: Kronleuchter ebenso wie einfaches Gebrauchsglas. Diese aufblühende Glasindustrie hatte ihre Schattenseite, denn Brandenburgs reicher Mischwald wurde immer weiter abgeholzt. Unter preußischer Oberhoheit sah man zwar dieses Problem und begann wieder aufzuforsten und gründete auch in Eberswalde eine Forsthochschule. „Aber man erkannte ebenso, dass der Sandboden ein Eldorado für Kiefern ist und brachte somit die Monokultur auf den schädlingsbehafteten Weg.“ Jedes Konzept sei immer auch eine Interpretation von Geschichte und damit ein Angriffspunkt. „Aber man kann nicht alles und jedes nebeneinander stellen, bloß um nichts falsch zu machen. Wir wollten kein Warenhaus, sondern eher eine ungewöhnliche Ausstellung, die zeigt, was man nicht erwartet. Man muss sich zu einem roten Faden durchringen. Und das haben wir pointiert auch gewagt.“ Dennoch ist die Kuratorin mit dem Ergebnis nicht ganz zufrieden. „Ich habe mich, was die Länge der Texte betrifft, zu wenig durchgesetzt“, konstatiert Ursula Breymayer, und ihr gewinnendes Lächeln weicht Nachdenklichkeit. „Ich glaube, dass die meisten Besucher keine ellenlangen Erklärungen lesen wollen. Es reicht aber auch, wenn man nur die neun beleuchteten Überblickstexte zur Kenntnis nimmt, um einen Zusammenhang zu erhalten“, akzeptiert sie letztlich versöhnend den Kompromiss. Natürlich habe man die Hohenzollern nicht ganz ins Abseits gedrängt, und natürlich gäbe es überall Schnittstellen zwischen brandenburgischer und preußischer Geschichte: „In der Ausstellung spiegelt es sich in der Preußenachse wider, die den Kutschstall mittig durchläuft und in der auch alle wichtigen Kurfürsten und Könige vertreten sind.“ Den Kern der Achse bilde ein speziell angefertigtes Modell der Stadt Potsdam aus dem Jahre 1912 im Maßstab 1:100 000. „Mit ihm werden wir der Anforderung gerecht, die Stadtgeschichte den Touristen in kurzer Form zu vermitteln.“ Am Beispiel von 44 ausgesuchten Gebäuden wird mit den Symbolen Zepter, Degen und Federkiel die Residenzstadt als Dreiklang aus Herrscherhaus, Militär und Verwaltung interaktiv beleuchtet. „Tolerantes“ Edikt Im welligen Fluss schlängelt sich an den beiden Außenachsen des historischen Gewölbes das Leben der Fischer, Weber, Glasmacher oder Zinngießer entlang. Für Ursula Breymayer war es vor allem die Ambivalenz historischer Zusammenhänge, denen sie auf den Grund gehen wollte. So könnte man an der ausgestellten Zunftlade der Hechtreißer eine ganze Geschichte erzählen: „Viele Brandenburger lebten von den fischreichen Gewässern ihrer Umgebung, so auch die Fischer im Oderbruch. Bis Friedrich II. diese Gegend trocken legte. Dazu holte er zahlreiche Kolonisten ins Land, die mit Privilegien ausgestattet wurden, was natürlich den Unmut der Einheimischen hervorrief. Viele Fischgründe gingen verloren, so dass die Fischer ihre Boote über die Deiche zogen, um an entferntere Flüsse und Seen zu gelangen. Zwangsläufig wurden die Deiche beschädigt und teils auch zerstört, bis der König ein ,Edikt gegen das Deich-Stechen“ erließ. So eroberte Friedrich zwar in Frieden eine neue Provinz, wie er selbst nieder schrieb, doch er entzog den Fischern zugleich ihre Lebensgrundlage.“ Auch das vielfach glorifizierte „Edikt von Potsdam“ stelle die Ausstellung in ein neues Licht. „Dieser Erlass war zwar durchaus ein Akt der Toleranz, aber man suchte sich sehr genau aus, wen man ins Land ließ, um von ihm auch wirtschaftlich zu profitieren. Gegenüber Juden gab es beispielsweise diese Toleranz nicht. Das Edikt hat also nichts mit unserem heutigen Begriff von Toleranz zu tun. So ist die Menschenliebe des Großen Kurfürsten doch oft etwas zu verklärend beschrieben worden.“ Die Ausstellung werde zwar kein neues Geschichtsbild zeichnen, aber Verzerrungen durchaus begradigen. Besonderen Wert legte die Kuratorin darauf, mit möglichst vielen Originalen zu glänzen. „Gerade im Zeitalter des Internets, wo man sich alles ins Haus holen kann, muss man schon mit Authentizität aufwarten. Wer Originale sehen will, muss eben zu uns kommen.“ Und um damit zu frohlocken, war wiederum kriminalistischer Spürsinn gefragt. Schließlich ist das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte kein Museum und verfügt über keine eigene Sammlung. Alle Exponate mussten mühselig „ausgebuddelt“ und Leihgebern abgeschwatzt werden. Stolz präsentiert die Schwäbin beispielsweise einen handgemalten Originalplan vom Finowkanal aus dem Jahre 1765, auf den sie im Wasser- und Schifffahrtsamt Eberswalde gestoßen ist. Dieses kostbare Dokument aus friderizianischer Zeit stöberte sie in einen der vielen Schubladen des dortigen Archivs auf. Nun illustriert dieser Plan gemeinsam mit dem wohl ältesten Schiffsmodell Brandenburgs – einer Schute – das Thema Wasserstraße. „In unserer Ausstellung wird der Besucher regelrecht zum Inselhüpfen eingeladen.“ Den Anfang bildet das „Gruselkabinett“, das in den 30-jährigen Krieg zurück führt. Dazu wurden zwei Totenköpfe in eine Vitrine eingelassen. Einer der Schädel weist Vertiefungen durch drei Schwerthiebe auf und symbolisiert somit das Gemetzel. Der Rillen im Gebiss aufweisende Kinderschädel erinnert wiederum an die große Hungersnot dieser Zeit. Doch es wird in dieser Ausstellung nicht immer so ernst zur Sache gehen. „Es gibt durchaus auch Humoriges, schließlich soll der Besucher die Schau mit einem Schmunzeln verlassen.“ Die vergangenen zehn Jahre spielen in „Land und Leute“ keine Rolle, „zu dieser jüngsten Geschichte fehlt bislang noch die richtige wissenschaftliche Einschätzung.“ Viele Exponate, für die sich auch ihre Mitarbeiter aufgerieben haben, um sie zu bekommen, halten derzeit noch in einem großen Regal ihren Schönheitsschlaf, den sie natürlich rechtzeitig zur Vernissage beenden. So schlummert Bismarck eine Etage über Humboldt, liegt die Totenmaske Königin Luises neben einer Schnupftabakdose oder einer Umzugskiste von der Reise des letzten Kaiserpaares ins Exil. Bis zum 17. Dezember wandern alle Teile natürlich an ihren rechten Platz. Bis dahin heißt es für Ursula Breymayer durchhalten, auch wenn sie im Moment nur noch dauermüde ist. „Es geht schon an die Grenzen, auch wenn ich Potsdam sehr schön und fast wie Urlaub empfinde.“ Doch derzeit bleibt kaum Zeit, mal aus dem Fenster zu schauen, oder sich an die herrlichen Dienstreisen nach Perleberg, Templin oder Oderberg zu erinnern. Nach der Ausstellung nimmt die Kuratorin von Potsdam wieder Abschied. Die Wege werden sie indes noch oft durch Brandenburg führen, „und an jeder Kiefernschonung, an jedem Bach werde ich sagen: „Genau! Wasser, Wald, Sand. Eine alte Weisheit behauptet, man sieht nur das, was man weiß. Ich hoffe, die Besucher sehen nach der Ausstellung einiges mehr.“

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