Kultur: Ein Koffer voll Gundermann
FH-Student Reiko Kammer illustrierte Texte des Rockpoeten. Die Diplomarbeit zeigt er im KunstWerk
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Zu „Gundi“ Gundermanns Markenzeichen gehörte sein Koffer. Salzstreuer, Teetasse, Messer – was er eben so brauchte – bewahrte er darin auf. Reiko Kammer hat nun auch einen Koffer, der etwas von dem legendären des Liedermachers weiter trägt. Reiko Kammer ist frisch geprüfter Absolvent der Fachhochschule Potsdam, der seine Diplomarbeit dem musizierenden Baggerfahrer aus der Lausitz widmete. Mit der Note 1,3 bescheinigten ihm vor wenigen Tagen seine Prüfer, dass der Griff in die Höhen der Poesie nicht hochgestapelt war. Davon können sich ab morgigen Samstag auch die Besucher des KunstWerks überzeugen, wenn der neue Koffer ausgepackt wird.
Er bringt sehr Spannendes zum Vorschein: denn die gestalterische Kraft des 1998 verstorbenen Rockpoeten inspirierte den 29-Jährigen zu ganz eigenen Kunstwerken. In der Mitte des selbst gezimmerten Koffers ist ein dickes Buch mit der Aufschrift „Vorsicht Gundermann“ eingelassen. Darin sind nicht nur beeindruckende Fotos von der zerklüfteten Landschaft im Braunkohletagebau zu sehen. Es gibt auch eine inhaltliche Auseinandersetzung des auf Grafik, Illustration und Fotografie spezialisierten Kommunikationsdesigners mit den Texten Gundermanns. „Ich war begeistert von dem Reichtum an Metaphern, von der spröden Poesie des Liedermachers, den ich auf seinen Konzerten selbst noch erleben durfte.“ Diese Texte wollte Reiko Kammer nun gestalterisch in die Hände nehmen, schauen, was passiert, wenn sie eine grafische Ebene bekommen.
Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg. Erst einmal galt es, an die 150 Lieder zu analysieren: Und zwar unter dem selbst gewählten Blickwinkel, wie sich die Texte nach der Wende veränderten. Die Musik blieb dabei völlig außen vor. „Da ich erst 12 Jahre war, als die Mauer fiel, ist es natürlich eine subjektive Rückschau.“ Auch die Annäherung an Gundermann selbst sei mit großem Respekt und immer im Gespräch mit dessen Witwe erfolgt.
„In der DDR ist es Gundermann darum gegangen, die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse und somit den Sozialismus zu verbessern. Das prägte seine künstlerische Arbeit. Nach der Wende kreisten die Lieder dann verstärkt um Fragen der Ökologie“, so das Fazit Kammers. „Bis zu 30 Tagebaugruben hat es in der Lausitz gegeben, eine unglaubliche Zerstörung. Das Bewusstsein dafür wurde bei dem Sänger immer größer.“ Gundermann habe zu den wenigen Künstlern gehört, die den Verlust von Arbeit künstlerisch spiegelten. Auch er selbst musste 1996 nach 20 Jahren von seinem Schaufelradbagger steigen, und sich wie Tausende anderer aus der Region neu orientieren. Er begann eine Umschulung zum Tischler: Der Tod riss den 43-jährigen mittendrin heraus.
Bei seiner analytischen Gegenüberstellungen bezieht sich Reiko Kammer u.a. auf die Lieder „hoywoy“ I und II. „In dem 1982 entstandenen hoywoy I nimmt er einen leichten Ton zu dem schweren Beton ein, der zu Wüsten heran wächst. Bei hoywoy II aus dem Jahre 1992 taucht er hingegen in eine melancholische Stimmung, beklagt, wie viel von diesem Beton abgerissen wird, und wie viele Menschen wegziehen.“ Auf diese Stimmung habe er sich in seiner grafischen Arbeit nicht eingelassen. „Ich habe etwas Heiteres daraus gemacht, schließlich setzt Abriss auch Neues frei. Bei Gundermann wird es in der dritten Strophe aber auch etwas fröhlicher.“
Für den jungen Berliner war es schwer, herauszufinden, wann die Texte genau entstanden sind, da immer nur das Jahr der Veröffentlichung notiert gewesen sei. „Außerdem hat Gundermann seine Texte regelmäßig verändert.“ Überhaupt habe sich die Recherche als sehr schwierig gestaltet, da es nur wenig Material über den aus der FDJ-Singebewegung hervorgegangenen Musiker, der es bis zum Sieg beim Chansonwettbewerb der DDR brachte, gibt. „Das größte Nachschlagewerk sind seine Lieder selbst“. Ein wenig weiterhelfen konnte die Kulturfabrik Hoyerswerda, in der auch ehemalige Gundermann-Kumpels der „Brigade Feuerstein“ arbeiten, die derzeit dabei sind, ein Archiv über den streitbaren Liedermacher und Bergmann anzulegen. Reiko Kammer ging es vorrangig um einen Dialog mit den Texten und welche Bildideen sich dafür finden lassen. Ab morgen hängen sie nun im Kunst Werk, seine Eigenschöpfungen in Siebdruck: 40 mal 40 Zentimeter groß. Die Texte stehen nach wie vor im Mittelpunkt, haben nun aber eine grafische Einbettung. Sie klingen auch ohne Musik volltönig und selbstbewusst.
Der von Prof. Hans-Jörg Kotulla und Prof. Lex-Roger Drewinski betreute Absolvent hat sich verschiedenster Materialien bedient, ein alter Stadtplan von Hoyerswerda, alte Gemüsetüten, Löschpapier oder mit Herzen übersätes Geschenkpapier, alles made in DDR, stöberte er in Kellern und Böden auf und benutzte es als Untergrund für seine illustrative Gestaltung. Auch auf uralten Kohlezetteln erhalten die Gundermann-Texte aus der weitblickenden Baggerwelt neues Leben. Der Illustrator hat nicht nur die Texte vor und nach 1989 „interpretiert“, er hat auch experimentiert: Altes und Neues vermischt und aus diesem Chaos eine neue „Sprache“ geformt.
Und der Koffer verbirgt noch ein weiteres Extra: eine Hörspiel-CD, eingesprochen von zwei Schauspielern, mit drei Vor- und drei Nachwende-Texten. Auch dabei wurde auf Musik verzichtet, trumpft der fantasievolle Poet auf.
Wenn Reiko Kammer die steilen, engen Stufen zur KunstWerk-Galerie empor steigt, fühlt er sich an Gundermanns Bagger erinnert, dort wo der Liedermacher jahrelang gelebt, gegessen und wenn nötig auch geschlafen hat. „Er liebte seinen Bagger, obwohl er damit auch die Landschaft kaputt gemacht hat.“
Gerhard Gundermann musste sehr früh seinen Koffer schließen. Reiko hat ihm dennoch viel entnommen, auch mehr darüber erfahren, wo er selbst groß geworden ist. In dem neuen Koffer kreuzen sich die Welten.
Ausstellungseröffnung zur Diplomarbeit 1. April, 19 Uhr, KunstWerk.
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