Von Heidi Jäger: Ein steiniger Weg
Der thailändische Tänzer Pichet Klunchun trifft heute in der fabrik auf den Franzosen Jérome Bel
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Obwohl gerade erst aus Bangkok eingeflogen, ist Pichet Klunchun keinerlei Strapaze anzumerken. Er ist Härteres gewohnt. Als er von seinem Meister im Tanz geschult wurde, musste er oft bis zu acht Stunden hintereinander stehen und unentwegt mit den Füßen Geräusche machen. „Mein Meister putzte in der Zeit sein Haus, wusch Wäsche oder kochte. Er kam nur zu mir, um mich zu korrigieren, wenn ihm meine Geräusche nicht mehr gefielen.“ Pichet wäre lieber wie seine Freunde in die Disco oder ins Kino gegangen, aber etwas stand dagegen: seine eigene innere Stimme. „Das Training ist im Laufe der Jahre nicht leichter geworden, denn mit zunehmender Beherrschung stiegen die Aufgaben. Ein oft langweiliger und vor allem sehr schmerzhafter Weg der Erkenntnis.“
Dabei war Pichet Klunchun, der heute Abend in der fabrik mit Jérome Bel, einem der radikalsten und bedeutendsten Choreografen konzeptioneller Prägung aus Frankreich, auf der Bühne steht, ein Fischerjunge. Niemand in seiner Familie hatte künstlerische Ambitionen. Mit zwölf Jahren verließ er sein Dorf an der Küste, um in Bangkok das Gymnasium mit naturwissenschaftlicher Ausrichtung zu besuchen. „Ich wohnte bei meiner Tante und hatte furchtbares Heimweh. Doch ich wollte auch lernen.“ Mit 16 nabelte er sich ab und zog zu einem Freund in die WG. „Ich war emotional sehr durcheinander. Nur der Tanz zeigte mir einen Ausweg.“ Es war der traditionelle Hoftanz, der bereits vor 200 Jahren von König Brama I. aufgeschrieben wurde: der Khon–Masken-Tanz Thailands.
Bei der heutigen Begegnung in der fabrik werden also zwei sehr unterschiedliche Choreografen aufeinandertreffen. Zu sehen ist ein offener, sensibler Dialog über die jeweils andere Kultur, über Tod und Religion. Wie in der Schule befragen sich die Künstler gegenseitig zu ihrem Tanz und führen ihn dann dem anderen vor. Bereits vor fünf Jahren starteten sie diese spielerische Erkundung, und haben sie seitdem an die hundert Mal auf der Bühne fortgesetzt. Weltweit und immer wieder anders, „denn wir fragen uns bei unserem Wiedersehen jedes Mal, wie es uns seitdem ergangen ist.“
Für Pichet Klunchun ist der Weg steinig geblieben, jedenfalls im eigenen Land. Nachdem er an der Hochschule Tanz studiert hatte, blieben ihm nur zwei Möglichkeiten: entweder als Lehrer an der einzigen Tanzhochschule zu arbeiten oder aber vor Touristen in Restaurants aufzutreten. Er probierte beides. Das Touri-Tanzen nur einmal. Es sei nichts für ihn gewesen, auch nicht das Lehrer-Dasein. „Ich hatte immer das Gefühl, dass ich nicht so wie mein Meister unterrichten kann. Die Studenten wollten schnelle Ergebnisse. Das war nicht mein Weg.“ Nach fünf Jahren verließ er die Hochschule und wusste nicht weiter. Das Ausland war seine einzige Alternative, und er bekam ein Stipendium, um in New York Tanz zu studieren. In sieben Monaten lernte er an drei Universitäten fast alles, was man auf der Bühne erproben kann: Modern Dance, Kontaktimprovisation, afrikanischen und indischen Tanz, Thai Chi. Als er wieder in die Heimat zurückkehrte, entwickelte er seine erste eigene Choreografie: eine Mischung aus traditioneller und zeitgenössischer Bewegung. „Die Zuschauer haben es gehasst. Sie waren wütend auf mich. Meine Freunde fragten ratlos: ,Willst Du deine Kultur verraten?’ Und die Lehrer an der Uni sprachen ihren Studenten ein Verbot aus, meine Aufführungen zu besuchen.“ Die einzigen, die auch bei weiteren Choreografien zuschauten, waren Angehörige ausländischer Botschaften und aus der High Society.
Erst als er mit Jérome Bel in einen lustvollen Austausch trat, brach auch in der Heimat die Barriere. „Bei unserem ersten Auftritt lachten die Zuschauer und wir wurden ganz unsicher. Aber es war Begeisterung. Viele Thailänder sagten: ,Jetzt verstehen wir dich.’ Jérome und ich sind sehr unterschiedlich in unseren Formen, aber wir haben die gleiche Überzeugung. Und keiner will den anderen verändern.“
Heute selbst Meister, möchte der 37-Jährige den klassischen Tanz bewahren und ihn zugleich für zeitgenössische Formen öffnen. Und vor allem möchte er eine Tanzkompagnie gründen, so wie bereits in Wien. In Thailand wäre es die erste im ganzen Land. „Wenn heute Studenten die Hochschule verlassen, gibt es keinen Job für sie, außer sie werden Restaurant-Tänzer. Sie sind nur Nutzer bestehender Geschichten und Bewegungen. Das möchte ich ändern.“
Heute, 20 Uhr, fabrik,
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