Kultur: Eine deutsche Ausnahme
Das Lepsiushaus bringt ein Buch über Johannes Lepsius heraus. Am Freitag ist in der Friedenskirche Sanssouci Premiere
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Es ist die erste eigenständige wissenschaftliche Publikation des Lepsiushauses. Zu dieser Premiere am morgigen Freitag verlassen die Mitarbeiter ihre Räume in der Großen Weinmeisterstraße. Die 2011 eröffnete Forschungsstätte fasst nicht mehr als 50 Gäste. Doch der wissenschaftliche Leiter Rolf Hosfeld rechnet mit einem größeren Publikum für dieses im renommierten Göttinger Wallstein-Verlag erschienene Buch „Johannes Lepsius. Eine deutsche Ausnahme. Der Völkermord an den Armeniern, Humanitarismus und Menschenrechte“. Es enthält zwar keine neuartigen Erkenntnisse, zeigt aber das Wirken von Lepsius in spannenden Zusammenhängen, wie bei der Frage nach Helden in Zeiten des Völkermords. So wurde für diese Präsentation, auf die der ehemalige Bischof Wolfgang Huber und Wissenschaftler Manfred Aschke, Enkel von Johannes Lepsius, einstimmen, die Friedenskirche Sanssouci ausgewählt.
Was macht Johannes Lepsius zu einer deutschen Ausnahme, wie es in dem Buchtitel heißt? Rolf Hosfeld, der dieses Almanach mit 13 Beiträgen namhafter Wissenschaftler herausgegeben hat, betont, dass Lepsius die einzige bedeutende internationale Stimme gewesen sei, die den 1915 verübten Völkermord der Türken an die Armenier anprangerte: mitten in Deutschland, dem Kriegsverbündeten der Türkei. „Er war ein Mann von ungewöhnlicher Zivilcourage, der auch zu Mitteln außerhalb der Legalität griff“, so Hosfeld. Seinen „Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei“ nach dem Genozid 1915 veröffentlichte der evangelische Theologe und Orientalist (1858-1926) in 20 000 Exemplaren als Privatdruck und mogelte ihn so an der Zensur vorbei. „Das kann man nicht hoch genug einschätzen. Er hat sie in kleinen Tranchen über den Postweg verteilt. Und das ist mitten in Potsdam passiert“, betont Hosfeld. Lepsius, der anschließend ins damals neutrale Holland ging, seien moralisch-ethische Maßstäbe stets wichtiger gewesen als nationale Interessen. „Dieses Thema beschäftigt uns heute noch, gerade wenn wir auf Syrien schauen. Insofern ist er eine deutsche Ausnahme, sozusagen eine Ein-Mann-Bekennende-Kirche.“
Als jüngster Sohn von Karl Richard Lepsius, Begründer der Ägyptologie in Deutschland, wurde Johannes Lepsius in einer Welt groß, wo der Orient zum Alltag gehörte. Als Urerlebnis für dessen Engagement für das armenische Volk sieht Hosfeld die dreijährige Vikarszeit in Jerusalem, damals noch Teil des osmanischen Reiches und mit einer beachtlichen armenischen Gemeinde. In Jerusalem arbeitete Lepsius eng mit englischen und amerikanischen Theologen zusammen, die eine eher liberale rechtsstaatliche Haltung zum Christentum hatten – anders als im nationalgesinnten Deutschland. „Lepsius war durchaus auch Anhänger des Kaiserreichs und hatte nationale Züge. Aber er stand vor allem für Menschenrechte ein. Darin war er, wie später Dietrich Bonhoeffer, eine Ausnahmefigur.“ Dass Lepsius heute nicht mehr so bekannt sei, liege daran, dass die Deutschen insgesamt über den Ersten Weltkrieg wenig wissen, da er vom Zweiten Weltkrieg überlagert worden sei.
Lepsius sah 1896 mit eigenen Augen die Folgen der Pogrome mit 100 000 armenischen Opfern. Er fuhr in die zerstörten Dörfer der Türkei, sprach mit Hinterbliebenen. Und als es 1915 zum Völkermord kam mit noch weitaus mehr Toten, weilte er gerade in Istanbul. Als der Philosoph und Theologe anschließend im Berliner Reichstag eine Pressekonferenz abhielt, um die Welt über das Verbrechen zu informieren, berichtete keine einzige Zeitung darüber. Alle unterwarfen sich freiwillig der Militärzensur.
Der charismatische Mann, der im Studium auch Theater spielte, wusste die Menschen mit seiner Rhetorik und seinem blitzgescheiten Verstand zu beeindrucken. Sein humanitäres Hilfswerk, das er aufbaute, beruhte allein auf Spenden. Lepsius ließ in der türkischen Stadt Urfa mit mehreren Dependancen Wohnungen, ein Krankenhaus, eine Apotheke, eine Schule, Lehrwerkstätten und eine Weberei bauen: für die armenischen Witwen und Waisen. Aber er wollte nicht nur in aller Stille Hilfe leisten, sondern Menschenrechtsverletzungen öffentlich ansprechen. „Am Ende seines Lebens war er desillusioniert. Er starb mit dem Gefühl, dass die Welt nichts aus diesem Völkermord gelernt hat“, so Hosfeld.
Dennoch hatte diese „deutsche Ausnahme“ bis zum Ende Pläne. Auch darüber ist im Buch zu lesen. Er wollte am Pfingstberg in Potsdam, nahe seines Wohnhauses, in dem heute die Lepsiusforscher arbeiten, eine deutsch-armenische Akademie gründen: eine Ausbildungsstätte für künftige armenische Akademiker. Doch an Gelbsucht erkrankt starb Johannes Lepsius zuvor auf einer Kur in Südtirol. Seine beiden Ehefrauen, mit denen er jeweils sechs Kinder hatte, unterstützten ihn intensiv in seinem Engagement. Tochter Veronika, bis in den 70er-Jahren Musiklehrerin in Potsdam, bewahrte den Nachlass des Vaters auf, sodass er unbeschadet im Lepsiushaus erfasst werden konnte - und heute eine wichtige Quelle für Publikationen ist. „Johannes Lepsius – Eine deutsche Ausnahme“ ist dazu der Auftakt. Heidi Jäger
„Johannes Lepsius. Eine deutsche Ausnahme. Der Völkermord an den Armeniern, Humanitarismus und Menschenrechte“, Wallstein Verlag, 29,80 Euro. Premiere am Freitag, 6. September, um 19 Uhr, Friedenskirche, Am Grünen Gitter 3
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