
© Mike Wolff
Kultur: Eine Sache der Betonung
Wladimir Kaminer über Russlands göttliche Aufgabe und deutsche Ängste – Freitag liest er in Potsdam
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Wladimir Kaminer ist die leibhaftige Antithese zu Thilo Sarrazin. Er kümmert sich einen feuchten Dreck um Herkunft, Muttersprache und all die kümmerlichen Schubladen, die so gern vollgestopft werden mit Klischees, Vorurteilen und – Menschen. Der gebürtige Moskauer schreibt rotzfrech in deutscher Sprache Bücher über kaukasische Schwiegermütter und andere russischen Helden oder mit dem Titel: „Ich bin kein Berliner!“
Und er ist es doch! Am kommenden Freitag ist der Autor, der seit über 20 Jahren in Berlin zu Hause ist, zum wiederholten Mal im Lindenpark zu Gast und liest aus seinem neuen Buch „Liebesgrüße aus Deutschland“.
„Mein lustigstes bisher“, sagt er bei einem Gespräch in der „Russendisco“ in Berlin. Kaminer wartet schon am Einlass, wo neben dem gemütlich dicken Türsteher seine Frau Olga kassiert und die Gäste abstempelt. Mit einem „Ich muss gleich auflegen“, dirigiert er uns zur Bar. Es ist laut in dieser kuriosen Institution, man muss schon die Köpfe etwas zusammen stecken, um einander einigermaßen zu verstehen.
Während im kleinen Saal dieser ehemaligen „Tanzwirtschaft Kaffee Burger“, deren originale mokkabraune Velourtapete aufgrund liebevoller Vernachlässigung zwei Jahrzehnte Westdeutschland überdauert hat, während dort im gelben Schummerlicht bereits etliche Mädels ausgelassen am Tanzen sind, erklärt er auf Nachfrage die korrekte Aussprache seines Namens. „Die Deutschen betonen fast immer die erste Silbe, wie bei Chelmut“, sagt er. Und machen dann aus dem russischen Wla–DI–mir das deutsche WLA–dimir. Diese sprachliche Metamorphose, die ihm nichts ausmacht, passt zu dem Russen, 1967 in einem Moskauer Vorort geboren und noch 1990 in die DDR emigriert, kurz bevor diese von der Bildfläche verschwand, ein Leben, das er immer wieder in seinen Büchern thematisiert. „Ich schreibe meine eigene Geschichte“, sagt er, das Leben als Emigrant.
Die Konfrontation mit deutschen Eigenheiten kombiniert mit familiären Situationen, wie sie jeder kennt, kommt beim einheimischen und europäischen Publikum glänzend an, etwa 100 Übersetzungen gibt es von seinen zahlreichen Büchern. In Russland, wo bisher nur zwei „schlechte Übersetzungen“ erschienen sind, kennt man ihn eher als Journalisten, als einen, der es im Ausland geschafft hat.
Wie soll er bloß dieses Russland erklären, dieses Land, dessen junge Emigrantengeneration hier fröhlich abrockt zu dieser Ladung aus bläserlastigem Russenpop? „Wir sind in Russland mit unserem Minderwertigkeitskomplex beschäftigt“, sagt er, „weil wir nicht wissen: Sind wir ein ewig verspätetes Amerika oder müssen wir unseren eigenen Weg finden um unsere göttliche Aufgabe erfüllen zu können?“ In seinen Augen blitzt ein trockener Funke. Verwegener Patriotismus eines Landsmannes mit russischem Herzen oder Routine im Emigrantendasein, zwischen dauernder Rechtfertigung und Erklärungsnot?
Er erinnere sich noch, was in seiner Fibel stand, sagt Kaminer plötzlich: „Internationalismus ist die Zukunft der Welt, Nationalismus ihre Sackgasse.“ Gemeint war damit – sagt er heute – auch und vor allem die Pflege des Individualismus, des Erbes der einzelnen Sowjetrepubliken. „Aber die Deutschen können ja nicht ohne ihre Ängste vor Fremden, sie fühlen sich gern von den Russen bedroht“, spottet er und lacht, nach dem Wahrheitsgehalt der Filme über Russenmafia, Menschenhandel und Drogengeschäfte gefragt. Werden hier in der Russendisko denn keine schönen Frauen mit Wodka abgefüllt, während in Hinterzimmern Geschäfte gemacht werden? „In Berlin wird überall gesoffen, auch ohne Mafia. Und in Russland braucht man auch keine Mafia, keine kriminellen Strukturen. „Das kann der Staat allein“. Auf diesem speziellen russischen Weg zur Erfüllung der „göttlichen Aufgabe“ brauche es dann allerdings auch einen speziellen Zusammenhalt, der sich schon mal darin äußert, „dass unsere Landsleute häufiger neben die Schüssel pissen als andere“.
Jedenfalls müsse er jetzt etwas Musik machen, sagt Kaminer, nach einem Blick auf die Uhr etwas unruhig, und rutscht vom Barhocker. Zeit ist kostbar, auch ein Grund, weshalb nicht er seine eigenen Bücher übersetzt. „Das selbe noch mal schreiben? Dann lieber was Neues; ich beobachte hier alles mit großem Interesse und fiebere mit.“ Als nächstes gibt es einen Roman, „mein Ulysses“, wie Kaminer sagt, ein nächtlicher Spaziergang entlang Berliner Baustellen.
Mittlerweile ist der Laden voll, Wladimir Kaminer, erfolgreicher Schriftsteller und Vater zweier Kinder, tanzt hinter dem DJ-Tresen und bläst Luft-Posaune, über ihm an der Wand läuft in einem kleinen Fernseher in Endlosschleife ein russischer Cartoon. Jetzt im Winter ist die Tanzfläche voll in russischer Hand, im Sommer, sagt ein Stammgast aus Wilmersdorf, kommen viele Touristen.
„Die Russen und die Deutschen – das ist eine intime Hassliebe“, hatte Kaminer gerade verschmitzt statuiert.
„Liebesgrüße aus Deutschland“ und neue, bisher unveröffentlichte Texte liest Kaminer am kommenden Freitag, dem 10. Februar, ab 21 Uhr im Lindenpark, Stahnsdorfer Straße 76-78. Der Eintritt kostet im Vorverkauf 12, an der Abendkasse 15 Euro
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