zum Hauptinhalt
Boxt sich durch. Jeanette Toussaint bringt mit ihrem Buch in der Reihe Potsdamer Köpfe Licht in das Leben der engagierten Christin Anni von Gottberg.

© Andreas Klaer

Von Heidi Jäger: Einsamer Vorposten

Jeanette Toussaint schrieb „Ich bin für Potsdam das rote Tuch“: Ein Buch über Anni von Gottberg und die Bekennende Kirche

Stand:

Die Themen liegen auf der Straße. Man muss sie bloß entdecken. Als die Ethnologin und freiberufliche Autorin Jeanette Toussaint durch das Potsdamer Kirchsteigfeld streifte, stieß sie auf das Straßenschild „Anni von Gottberg“ und wusste nicht recht, wer diese Frau eigentlich war. Ihre Recherchen bei Wikipedia zeigten sich wenig ergiebig. Doch sie bekam den Hinweis auf eine Verbindung zur Bekennenden Kirche. Und stand als Nichtchristin wiederum vor einem Fragezeichen. Das alles liegt fast zwei Jahre zurück.

Inzwischen ist im Märkischen Verlag Wilhelmshorst in der Reihe „Potsdamer Köpfe“ ein Buch im Druck, das am 12. April im Haus der Brandenburgisch Preußischen Geschichte Premiere hat: „Ich bin für Potsdam das rote Tuch“. Schon der Titel lässt auf eine Heldin schließen, die keine Angst hatte, sich mit der Obrigkeit anzulegen. Und fürwahr, das Bild, das Jeanette Toussaint von Anni von Gottberg zeichnet, zeugt von der konsequenten Haltung einer Persönlichkeit, die maßgeblich an der Opposition gegen die nationalsozialistische Gleichschaltung der evangelischen Kirche beteiligt war. „Ja, den ,Unfrieden’ bringe ich in Potsdam, der ist vielen unbequem, Menschen können mich aber nicht verletzen, ich will ja nur meinen Weg im Gehorsam gehen – weiter nichts“, schrieb sie in einem Brief an dem damaligen Vikar der Pfingstkirchengemeinde, Albrecht Schönherr. Für Anni von Gottberg, die preußische Leutnantstochter, gab es nur Jesus Christus, dem sie folgte, und keinem „gottgesandten Führer“ namens Hitler.

Die Quellen, um ein blutvolles Porträt der Widerständlerin zu formen, die als einzige Frau Mitglied im brandenburgischen Landesbruderrat der Bekennenden Kirche war, seien indes sehr begrenzt gewesen, erzählt die Autorin in ihrer gemütlichen Wohnung in Potsdam–West, in der ein gelber Tulpenstrauß auf dem dunklen Schreibtisch frühlingswarm strahlt. Der kleine Laptop verschwindet fast auf dem schweren Möbel, mit dem die Autorin Monate lang wie verwachsen war. Die auf die Zeit des Nationalsozialismus spezialisierte Forscherin traf sich aber auch mit der Witwe von Albrecht Schönherr, der mit Anni von Gottberg lange Zeit korrespondiert hatte. Diese Briefe an ihn – die Rückantworten sind nicht mehr vorhanden – waren prägend für das Buch. Schönherr hatte die Bekennende Kirche gemeinsam mit Anni von Gottberg in Potsdam aufgebaut, bevor er nach Berlin ging. In einem Aufsatz schrieb der spätere Altbischof über Anni von Gottberg: „Wo und wie sie zu einer so intensiven Verbindung zur Kirche und zu einer so großen Liebe zur Bekennenden Kirche kam, ist nicht bekannt. Wer ihr in den Jahren des Kirchenkampfes begegnete, konnte nur staunen über dies glühende Herz, über diesen unglaublichen Mut, über diese Tatkraft, mit der sie oft genug an ihre Grenzen stieß.“ Und er beschreibt auch, wie sie sich „schwere Sorgen wegen der Überführung der evangelischen Jugendvereine in die Hitlerjugend“ machte.

Die Bekennende Kirche als Abspaltung der evangelischen Kirche widersetzte sich vehement, in der NS-Reichskirche eingereiht zu werden. „Sie wollte die Kirchenhoheit behalten, legte aber auch Wert darauf, dass ihre Mitglieder loyale Staatsbürger waren“, sagte Jeanette Toussaint. „So konnten Gemeindemitglieder durchaus auch in der SA oder NSDAP sein. Was zählte, war ihr Bekenntnis zu Jesus Christus.“ Die Bekennende Kirche habe zwar Fürbitten gehalten, wenn jemand aufgrund seines Glaubens verfolgt wurde. „Wenn sich aber jemand politisch engagierte, beispielsweise gegen die Judenverfolgung, bekam er keine Fürbitte. Auch Dietrich Bonhoeffer nicht, als er wegen des Verdachts, in den militärischen Widerstand involviert zu sein, verhaftet wurde.“ Erst im Oktober 1943 habe sich die Bekennende Kirche auf ihrer 12. Preußensynode gegen die Ermordung der Juden gewandt, so die Autorin. „Doch zu diesem Zeitpunkt war eben die Massendeportation in Konzentrations- und Vernichtungslager bereits weitgehend abgeschlossen. Es gibt im Christentum ein tief verwurzeltes Anti-Judentum,“ so Jeanette Toussaint.

Sie zitiert in ihrem Buch aus rund 25 Briefen und Karten, die Anni von Gottberg an Albrecht Schönherr schrieb, und die eine Frau zeichnen, die den Pfarrern aufs Dach stieg, wenn sie keine klare gottestreue Linie verfolgten, sich aber auch für sie einsetzte, wenn Ungerechtigkeit im Spiel war. Sie sammelte Kollekten für die Bekennende Kirche, obwohl es verboten war und wurde 1937 für kurze Zeit inhaftiert mit dem Vorwurf, ein Schreiben der Bekennenden Kirche vervielfältigt zu haben. Gleich nach ihrer Freilassung organisierte sie trotz des wachsamen Auges der Gestapo wiederum ein Bekenntnisabend und sammelte erneut eine Kollekte, die der Ausbildung junger Theologen, der Bezahlung von Vorträgen, der Raummiete und Pfarrerbesoldung dienten.

Wie aber war der Mensch hinter dieser Kämpfernatur? Auch das versuchte Jeannette Toussaint zu entschlüsseln, indem sie mit der Schwiegertochter der engagierten Kirchenvertreterin sprach. „Sie beschrieb sie mir als eine starke Frau, die anderen Halt, aber oft auch Paroli bot. Bei ihr gab es wohl nur Schwarz und Weiß und die Grautöne fehlten ein bisschen. Oft kühlte sich nach einer bestimmten Zeit ein freundschaftliches Verhältnis wieder ab. Außer zu Albrecht Schönherr. Vielleicht wegen der örtlichen Entfernung. Aber da kann ich nur mutmaßen.“ Anni von Gottberg fühlte sich selbst als „einsamer Vorposten in Potsdam.“ Und auch durch ihre Familie ging ein Riss: Ihr Bruder Bogislav verfasste in der NS-Zeit antisemitische Schriften.

Die gottestreue Frau war eine geborene von Selchow und bekam in erster Ehe mit dem Rittergutsbesitzer Hasso von Norman einen Sohn. Nach ihrer Scheidung heiratete sie 1926 ihren Cousin, den 1938 verstorbenen Oberregierungsrat Wolf von Gottberg, den sie schon 40 Jahre kannte. Eine pragmatische Entscheidung? „Das geht in den Bereich der Spekulation“, sagt Jeanette Touissant. Als Anni von Gottberg 1955 an Krebs erkrankte, zog sie in die Nähe ihres inzwischen verstorbenen Sohnes nach Hamburg. Beigesetzt wurde die resolute Frau aber am Ort ihres Widerstandes: in Potsdam auf dem Bornstedter Friedhof.

Natürlich ist Jeanette Toussaint nicht durch Zufall über das Straßenschild „gestolpert“. Schon mit dem Buch „Zwischen Tradition und Eigensinn. Lebenswege Potsdamer Frauen vom 18. bis 20. Jahrhundert“, das 2009 vom Frauenzentrum herausgegeben wurde, begann ihre Leidenschaft für die Regionalforschung. Das Interesse an Anni von Gottberg wurde geschürt, als sie erfuhr, dass es über sie so gut wie keine Veröffentlichungen gibt. Ihr Forscherherz war entflammt und ließ sich auch nicht durch die mehr als schwierige Finanzierung einschüchtern. Trotz Zuschüssen unter anderem vom „Kulturland Brandenburg“, dem Frauenministerium und der evangelische Kirchengemeinde Drewitz-Kirchsteigfeld war die Autorin auf Unterstützung vom Arbeitsamt angewiesen.

Die alleinstehende Frau weiß sich offensichtlich durchzuboxen und hat bereits einen Projektantrag für ihr nächstes Buch gestellt: Diesmal bei der Staatskanzlei zur Erforschung der Geschichte des Kinos Thalia, die ebenfalls weitgehend im Dunkeln liegt. „Damit beginne ich aber erst, wenn die Finanzierung steht“, sagt die Frau mit dem Lockenkopf, während sie an ihrem Glastisch auf dem Gestell einer Singer-Nähmaschine Espresso einschenkt.

Die 47-jährige gebürtige Potsdamerin, die als gelernte Gärtnerin im Botanischen Garten arbeitete, dann zur Floristin umschulte, baute Ende 1989 die Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen mit auf. Um mehr Zeit für ihr politisches Engagement zu haben, gab sie ihr Floristen–Dasein auf und wechselte in den Pflegebereich. Das Foto einer alten dementen Frau mit zerknittertem Gesicht und Zigarette im Mund, das auf einem Notenständer klemmt, erinnert an diese Zeit. „Damals konnte man die alten Menschen noch ohne Hektik und ohne Pflegepunkte betreuen.“ Doch 13 Jahre nachdem Jeanette Toussaint die Schule verlassen hatte, dürstete es sie verstärkt nach geistiger Nahrung. Sie studierte in Berlin europäische Ethnologie. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin erforschte sie nach dem Studium das Thema „Im Gefolge der SS: Aufseherinnen des Frauen-KZ Ravensbrück“. Sie tauchte in eine vergangene Welt ein, „von der vieles noch anwesend ist“, sagt Jeanette Toussaint, deren Familienname von ihrem Großvater stammt, der nach dem Ersten Weltkrieg aus Lothringen nach Babelsberg kam. Und in Babelsberg arbeitet die Autorin auch, wenn sie nicht in eigener Klausur sitzen möchte, um Täter oder Widerständler aus der NS-Zeit zu beleuchten. Dann berät sie in der Script-Buchhandlung die Käufer, die demnächst vielleicht auch zu ihrem Buch „Ich bin für Potsdam das rote Tuch“ greifen.

Lesung Jeanette Toussaint aus „Ich bin für Potsdam das rote Tuch“ am Dienstag, dem 12. April, 19 Uhr, im HBPG

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })