POSITION: Erhellendes im dunklen Kino
Kulturelle Bildung für junge Leute im Filmmuseum Potsdam Von Bärbel Dalichow
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Immer wieder kommt die Potsdamer Studentin Yvonne Schröder ins Filmmuseum, um zu arbeiten. Eine schöne Arbeit, leider überwiegend unbezahlt. Sie und ihre Kommilitoninnen Celia, Debora und Nicole vom Fachbereich Erziehungswissenschaften der Uni Potsdam probieren praktisch aus, was sie theoretisch wissen: Lernen darf nicht Strafe sein, aber der Fun-Faktor allein reicht eben auch nicht.
Schon seit 2005, in den Ausstellungen „Märchenland Babelsberg“ und „Michael Endes magische Welten“ waren sie aktiv und seit November betreuen sie nun Workshops in der Ausstellung „Hexe Lilli geht zum Film“. Zum ersten Mal in der Museumsgeschichte wird noch vor dem Filmstart eine Ausstellung zu einem Studio-Babelsberg-Film gezeigt. Hier kann man erfahren wie der Film entstanden ist und welche Berufe man wählen könnte, falls man eines Tages gern selbst beim Filmen mittäte. Kinder basteln Requisiten und Kostüme, erfinden Filmsets oder drehen selbst eine Szene mit Lilli und dem Monster. Das gemeinsame Entdecken, die Erfahrung, dass auch die Großen von den Einsichten und Irrtümern der Kleinen profitieren, macht mehr Freude als manch lange Schulstunde und bringt dennoch, wovon alle reden: Bildung. Sie steht in Deutschland neuerdings unter Artenschutz. Zu Recht. Kultur? Nein, Kultur nicht. Kultureinrichtungen sollen einsehen, dass der Staat in ihrem Bereich immer weniger Menschen beschäftigen können, auch wenn die Bundeskanzlerin bei einer Sonntagsrede im Herbst 2008 die Kulturfinanzierung großmütig „eine Investition in die Zukunft“ genannt hat.
Medienbildung – was für ein uncooles Wort. Aber ein guter englischer oder spanischer Film, der auch die Skeptiker „reinzieht“ und sie plötzlich originalsprachige Dialoge verstehen lässt, die sie im Frontalunterricht niemals verstanden hätten – das ist gut. Britspotting und CineFiesta heißen diese Reihen, die nicht nur bei Lehrern gut ankommen.
Kindergesumm im Kinosaal bevor sich der Vorhang öffnet. Die Kinderfilm-Uni lädt zur Sonntagsvorlesung. Endlich verstehen die jüngsten Filmstudenten, warum die Bilder laufen lernten oder welche Wirkungen Regisseure mit dem Filmschnitt auslösen. Toll! Und doch verbindet das Museum mit der Babelsberger Hochschule für Film- und Fernsehen mehr als gemeinsame Nachwuchspflege - im Herbst 2008 gab es einen neuen Vertrag, der die Kooperationen besiegelt.
Lisum, das Berlin-Brandenburgische Institut für Schule und Medien, stellt bei der Eröffnung der SchulKino Woche einen aufregenden neuen Kinderfilm vor und Mädchen und Jungen können nach der Vorstellung ihre Meinung sagen und den Regisseur fragen, was immer sie wollen. Ganz seltsam wird es, wenn der Film ein alter Film ist, aus der Zeit, als die Großeltern jung waren. Sah so die DDR aus, von der besonders die Brandenburger Schüler so wenig wissen? Darüber reden Schüler mit Zeitzeugen. Junge Leute recherchieren auch in der Datenbank der ständigen Ausstellung „Babelsberg - Gesichter einer Filmstadt“ und entdecken ausgestellte Stücke. Gerade in Babelsberger Filmen findet man eine Menge Unbekanntes aus 40 Jahren DDR.
Selbständig eine historische Gegebenheit zu erkunden ist allerdings weit schwieriger. Bevor in Potsdam die ersten Stolpersteine zur Erinnerung an verschleppte und ermordete Juden verlegt wurden, gingen Potsdamer Schüler auf die Suche nach Dokumenten und Zeugen. Was sie fanden, zeigten und erklärten sie im Kinosaal des Museums – es lief ein Film von einem der Nachkommen der Vertriebenen. Dieses Kapitel Heimatgeschichte vergisst so bald niemand von ihnen.
Ja, Film kann Kunst sein und soll nicht als bloßes Nützlichkeitsmaterial instrumentalisiert werden. Aber Schulstunden im Kino dienen auch dann, wenn sie nicht pädagogisch verbrämt werden, der ästhetischen Bildung, der Stärkung der Urteilskraft und der ungefährdeten, spielerischen Erprobung eigener Standpunkte. Und selbst Konzentration über eineinhalb Stunden hinweg ist ja auch schon nicht mehr selbstverständlich.
Kulturelle Bildung findet statt, obwohl es im Landesmuseum weder eine pädagogische Abteilung noch einen einzigen Mitarbeiter gibt, der das Privileg hätte, sich ausschließlich dieser wichtigen Aufgabe zu widmen. Das ist nicht gut, und gar nicht gut ist das vorrangige Ziel der Brandenburgischen Politik, die Zahl der Mitarbeiter in den wenigen verbliebenen Kulturbetrieben des Landes weiter zu senken. Gibt es nicht zu viele Kinder, deren Eltern nie ein Programmkino oder ein Museum betreten würden? Ihnen ein Fenster jenseits des Billigfernsehens zu öffnen ist so sinnvoll wie mühsam. So wie die Relation zwischen Erziehern, Lehrern und Kindern stimmen muss, damit alle etwas von Kindergarten und Schule haben, so müssen auch den Kultureinrichtungen nicht nur immer mehr Aufgaben anvertraut werden, sondern auch die Mittel, damit sich Deutschland zu Recht als Kulturnation bezeichnen darf und die Landeshauptstadt die kinderfreundlichste der Republik, ihrem Nachwuchs mehr als Konsum bietet.
DieAutorin ist Museumsdirektorin
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