Kultur: Film ist wie Wein
Regisseur und DEFA-Mitbegründer Kurt Maetzig über Utopie und Illusion
Stand:
Kurt Maetzig gehörte bei der 1946 gegründeten DEFA zu den Männern der ersten Stunde. Er leitete die Wochenschau „Der Augenzeuge“ und drehte zahlreiche Spielfilme („Ehe im Schatten“, „Ernst Thälmann“). 1954 wurde er Gründungsrektor der Deutschen Hochschule für Filmkunst Babelsberg, die er bis 1964 leitete. Anlässlich der Gründung der DEFA vor 60 Jahren sprach Nadine Emmerich mit dem 95-jährigen Maetzig in Kambs in Mecklenburg-Vorpommern.
Was sind Ihre prägendsten Erinnerungen an die DEFA?
Das Wunderbare war, dass die DDR die Filmkunst gleichberechtigt mit der Volksbildung in die Kulturpolitik einordnete und die gesamte Filmproduktion finanzierte. So konnten 2000 bis 2400 Filmleute in Babelsberg über vier Jahrzehnte lang auf sicheren Arbeitsplätzen an ihren Filmen arbeiten. Das Wunderbare bestand für mich auch in der Utopie, diese Anstrengung könnte einer besseren Zukunft dienen. Schrecklich war die Enttäuschung, als sich herausstellte, dass es nur eine Illusion war. Die Auseinandersetzung mit stalinistischer Kulturpolitik war ein ständiger Kampf zwischen Kulturschaffenden und Kulturfunktionären.
Warum ist es so wichtig, weiter an die DEFA zu erinnern?
Ich glaube, weil es eine ganz eigenständige deutsche Kulturlinie ist. Eine Filmkunst, die viel Eigenes hervorgebracht hat, Interessantes, Beherzigendes, Bedenkenswertes, Bewundernswertes, auch Abscheuliches, aber jedenfalls etwas ganz Eigenes. Es gab die große Linie der antifaschistischen Filme, die vom ersten Tag an angefangen hat, und dann die Linie der Gegenwartsfilme, die direkt mit einer sich wandelnden Wirklichkeit zu tun hatten, diese reflektierten und beeinflussen wollten.
Ist von dieser ganz eigenen Filmkunst etwas übrig geblieben?
Im heutigen Film sehe ich durchaus noch eine Fortsetzung dieser Traditionslinien: bei jungen und neuen Regisseuren, die sich auf Erkenntnisse und Erfahrungen – bewusst oder unbewusst – berufen, die von der DEFA entwickelt wurden. Denken Sie an einen Regisseur wie Andreas Dresen und Filme wie „Sommer vorm Balkon“. Der spielt ganz und gar in der heutigen Zeit und steht doch in der Tradition solcher Gegenwartsfilme, wie sie die DEFA entwickelt hat.
Welche Bedeutung hat die DEFA in diesem Sinne heute noch?
Das möchte ich nicht definieren. Mit Film ist es so ähnlich wie mit dem Wein. Das meiste ist leicht verderbliche Ware, nur weniges überdauert die Zeit. Es gab eine Umfrage anlässlich 100 Jahre Kino zu den 100 wichtigsten Filmen seit Erfindung der Kinematografie. Und da haben Filmhistoriker und Kritiker eine ganze Reihe DEFA-Filme ausgewählt.
Was glauben Sie, kennen auch junge Leute die DEFA und ihre Filme?
Ich war kürzlich in Merseburg eingeladen. Da wurde eine Woche des DEFA-Films veranstaltet mit Filmen ganz unterschiedlicher Art. Das Wunderbare war, dass die Kinos voll von jungen Leuten, Studenten und Schülern, waren. Und gerade bekam ich eine Nachricht aus Merseburg, dass man wegen des großen Erfolges beim jungen Publikum beschlossen hat, das bald zu wiederholen.
Also gibt es keinen Grund zur Sorge, dass die Filme in Vergessenheit geraten könnten?
Doch, so weit gehe ich nicht. Die Sorge bleibt, und sie ist durchaus berechtigt.
Verfolgen Sie noch, was heute in die Kinos kommt?
Ich bin einer der Nominatoren für den Deutschen Filmpreis und bekam vor kurzem 60 Filme auf DVD und Video, die ich alle ansehen musste, um sie beurteilen zu können. Dadurch habe ich natürlich noch Kontakt zum heutigen Film.
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