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Von Heidi Jäger: Geistertanz

Sonderausstellung in der Villa Schöningen erinnert an die „Alte Welt“ und neue Helden

Stand:

Was passiert, wenn das „Kapital“ in der Mikrowelle verheizt wird? Bei dem mexikanischen Künstler Pedro Reyes entsteigt diesem qualmenden Hexenkessel ein illustres Geister-Septett. Weiß und weise wird Marx im Sud der Geschichte wiedergeboren, ihm zur Seite Engels. „Sonnengott“ Mao und Che Guevara im grellen Morgenrot machen das Gespann der gescheiterten Idealisten komplett. Stalin indes schlug der Künstler den Goldbarren-Hütern Adam Smith und Friedrich Taylor zu. Alle sieben bringen in dieser speziellen „Potsdamer Puppenkiste“ als Marionetten die Revolutionsideen erneut zum Tanzen. Um am Ende mit „Baby Marx“ vielleicht zum neuerlichen Klassenkampf anzutreten.

Die dreiminütige Animationssatire stimmt mit einem Lächeln auf die neue Sonderausstellung in dem deutsch-deutschen Museum in der Villa Schöningen ein. Mit zeitlichem Abstand lässt sich auch leichten Schrittes über kapitale Verwerfungen wandeln. Die gekonnt von Gerald Matt in Kooperation mit der Kunsthalle Wien kuratierte Ausstellung hält die Balance zwischen wohltemperierten und eiskalten Güssen. Und eingebettet in der authentischen Geschichte, die durch jedes Fenster in die einstige Grenzvilla hineinlugt, schwappen immer wieder auch ganz persönliche Erinnerungen hoch.

Das Spiel mit gestürzten Ikonen reizte auch den Österreicher Rainer Ganahl: Für ihn ist Lenin ein bei Ebay ersteigertes Objekt: für 104,66 Euro. Aufgerissen wie ein Westpaket kommt die kleine goldglänzende Büste zwischen Knüllpapier zum Vorschein. Die Symbole haben ihre Macht verspielt. Und so gebärden sich auch die von Christian Pußwald „aufgeblasenen“ Uniformmützen eher als Farce in Flohmarkt-Manier, als dass sie trotz rotem Stern und Ehrenkranz ein Strammstehen postulieren.

Einen ganzen Raum füllen die Landkarten von Stephan Huber, von der eine speziell für die Potsdamer Ausstellung „vermessen“ wurde. Es lohnt sich, noch einmal in das vom „Meer der staatlichen Neugier“ umspülte zweigeteilte Land links und rechts der Glienicker Brücke einzutreten. Beidseitig werden krakenarmig die Augen in Richtung des Feindes ausgeworfen. Der Künstler aus dem Allgäu erinnert mit dieser Karte an die „Alte Welt vom 10. Februar 1962 um 8.44 Uhr“, dem ersten Agentenaustausch einen Steinwurf vom Ausstellungsraum entfernt. Während auf der einen Seite seiner Landkarte Fronleichnam und Heiligenbilder die religiösen Nischen besetzen, beschwört die andere Personenkult und Parteigelöbnis. Es macht Spaß, all das Kleingedruckte rund um den „Durchhalteschlund“ des geografisch-anatomischen Kosmos’ zu durchforsten: vom singenden und lachenden Mainzland um Schaumburg zum singenden und lachenden Jugendweiheland um Wandlitz. Wachstumswucherung, Pershing und Hyperaktivität dort, Mangelerscheinung, Dauernervosität und Erschöpfung hier. Eine untergründige Draufsicht.

Wie eine Satire mutet auch der über 1500 Kilometer entfernt liegende ukrainische „Kosmos“ von Boris Mikhailov an, der sein „Salt Lake“ in 46 Fotos spiegelt. Die bräunlich gefärbten Bilderreihen zeigen entspannte, meist wohlgenährte Menschen in Unterwäsche, die vor dicken Rohren im Wasser hocken und offensichtlich warten, dass jeden Moment der „Messias“ aus ihnen heraussprudelt. Doch die erhoffte Wirkung des schäumenden, heilbringenden Salzwassers, auf das sie vertrauen, wird durch die umliegenden stillgelegten Fabrikanlagen ad absurdum geführt. Mitten in Schutt und Abfall, entlang von toten Gleisen, legen sie ihre Handtücher aus. Obwohl sonst prüde, lassen ganze Familien anno 1986 ungeniert die Hüllen fallen in der vermeintlichen Aussicht auf ewige Gesundheit. Zufriedene Gesichter wie am Strand von Malibu.

Was für eine anderes Bild offeriert sich ein Raum und rund 20 Jahre weiter: Hier hat die feine Gesellschaft Russlands Aufstellung genommen: mit dicken Zigarren, Nerzen um den Schultern, in grellen, zu engen Kleidern. Polierte glatte Fassaden mit abgestumpftem Geist. Die neue Oligarchie – abgelichtet von Martin Parr.

Die Ausstellung lebt von diesen Kontrasten, ohne sie allzu plakativ herauszukehren. Wenn man in dem kleinen Kinoraum abtaucht und die letzten fünf Tage der Revolution in Rumänien bis zur Hinrichtung von Ceausescu auf Filmen von Harun Farocki verfolgt, spürt man sie ganz nah: die Angst und Euphorie zwischen letztem Aufgebot und Neubeginn. Und während in den Straßen von Bukarest die Schüsse fallen, dringt durch den Vorhang von außen die leise melancholische Stimme einer Frau, die die „Internationale“ singt. Von Menschenrechten, die die Ausstellung in vielen Tönen karikiert und umso mehr beschwört.

Und wem dieses Finale zu sehr an die Seele rührt, sollte noch einmal zum Anfang zurückkehren und sich auf den 45-Minuten-Film von Anna Jermolaewa einlassen. Sie schlägt einen wunderbar versöhnenden Bogen: Im Mai 1989 musste die Filmemacherin aus Russland fliehen, weil sie eine oppositionelle Partei gegründet hatte. In Krakau traf sie durch Zufall auf Aleksandra Wysokinska, einer unerschrockenen tatkräftigen Frau. Sie half dem russischen Ehepaar ganz uneigennützig nach Wien in die Freiheit. 20 Jahre später sucht Anna nach dieser Aleksandra, um ihr zu danken. Sie findet sie in Paris und reist mit ihr in die Vergangenheit, angetrieben vom Motor der Freiheit. Das Porträt dieser fröhlich-charmanten Helferin gehört in die Galerie der wahren Weltverbesserer: Herzen statt Ikonen.

Villa Schöningen, Berliner Straße 86, Do und Fr 11 bis 18 Uhr, Sa und So 10 bis 18 Uhr, Eintritt 8/erm.6 €

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