Kultur: Genährt am Busen der Natur
Verbandelt: Eine Ausstellung im HBPG zeigt das Verhältnis von „Mark und Metropole“ in der Zeit von 1871 bis heute
Stand:
Wer etwas auf sich hielt, holte sich für seinen Nachwuchs eine Amme aus dem Spreewald. Die hatte stets ihre Tracht zu tragen, sodass für alle Herrschaften der Berliner Gesellschaft erkennbar war, was man sich leisten konnte. Denn eine Amme aus dem Spreewald war teuer, dafür aber mit Milch gesegnet, die so gesund und ursprünglich aus keinem anderen Busen floss. Ein Image, das die ansonsten arme Spreewald-Region zu nutzen wusste. Eltern ließen ihre Töchter schwängern, um sie dann gewinnbringend als Amme nach Berlin zu schicken. Als Väter rekrutierte man besonders gern Soldaten, die bald weiterzogen. So gab es keine Konflikte, wie etwa mit einem Nachbarssohn. Wer aber zog nun die eigenen Kinder dieser jungen Mütter auf, die ihre Milch den Berliner Kindern geben mussten?
Das sei bislang unerforscht. „Vielleicht waren es die Großeltern“, mutmaßt Andreas Bernhard. Der Kurator der Ausstellung „Mark und Metropole“, die am 25. April im Haus der Brandenburgischen Preußischen Geschichte (HBPG) eröffnet wird, glaubt jedenfalls, dass die Spreewälder Ammen bis zum Ersten Weltkrieg ein Massenphänomen gewesen seien.
Nicht nur auf diesem Gebiet betritt die von ihm betreute Ausstellung, die einen zeitlichen Bogen von 1871 bis heute schlägt, Neuland. Erstmals setzt sich eine Ausstellung überhaupt mit den Beziehungen zwischen Berlin und Brandenburg auseinander. Doch für Andreas Bernhard ist dies zugleich „die Quadratur des Kreises“, denn erstens fehlte die Zeit für aufwändige Recherchen und zweitens das entsprechende Geld zur Umsetzung.
Dennoch trug das HBPG, das über keine eigene Sammlung verfügt, rund 500 Exponate von 40 Leihgebern zusammen. Darunter zahlreiche originale Schaustücke von Fontane: vom Tintenfass bis zum Schreibtischsessel. Andreas Bernhard verfolgt in der Ausstellung die These, dass Fontane das Image Brandenburgs erfunden hat. Allerdings sei der Dichter beileibe nicht der große Wanderer gewesen, wie man gemeinhin glaube. „Seine Ausflüge führten den eher lauffaulen Literaten weder in die Neumark noch in die Lausitz.“ In der bequem zu erreichenden Havel- und Spreelandschaft hatte es ihm zuvorderst das Altpreußische angetan, weniger die neu entstehenden Schornsteine und Fabriken. Und somit zeichnete der „Reisepoet“ ein Gemälde der vorindustriellen Mark.
Doch die Ausstellung legt ihr Augenmerk auch auf das boomende Berlin, das sich bald gar nicht mehr märkisch fühlte und unter einer Identitätskrise litt, wie der Kurator herausstrich. „Als Industriemetropole verlor sie den Boden unter den Füßen. Man schwang heftig die Abrissbirne, um Platz für neue Wohnungen zu schaffen. Andererseits kehrten viele Märker dem Land den Rücken, um in der Stadt Arbeit zu finden. Aus ihnen rekrutierten sich die Industriearbeiter und auch die Dienstbotenschaft, fast ausschließlich Frauen.“ Ein Kapitel, das Andreas Bernhard ebenso wie die Spreewälder Ammen besonders herausgearbeitet hat. „Seinen Nachmittags-Tee ohne Emma zu servieren, wäre um die Jahrhundertwende undenkbar gewesen. Doch gerade das Gesinde und die Dienstboten waren keine Marginalie. Sie machten zwanzig Prozent aller Arbeitenden aus und hatten doch nie eine Lobby. Sie waren nicht vom Bismarckschen Sozialgesetz erfasst und besaßen keinerlei Rechte. Jeder musste ein Gesindedienstbuch führen. Darin konnten die Herrschaften hinein schreiben, was ihnen passte. Viele der Frauen landeten in der Halbwelt und Prostitution.“
Doch die Provinz „lieferte“ nicht nur die Dienstboten, sie sorgte auch für frische Vitamine aus Werder und für ein Dach über den Kopf. „Ohne die Brandenburger Ziegelsteine gäbe es kein Berlin“, so der Kurator. Um an die Tonvorkommen zu gelangen, wurden die Seen mit Kanälen verbunden, auf denen nun die Schlepper nach Velten oder Glindow tuckerten. Überhaupt spiele das Verkehrs- und Transportwesen eine große Rolle in der zweietagigen Schau. Denn Mobilität war die Voraussetzung, um sich über die administrativen Grenzen hinweg ökonomisch und sozial zu verflechten.
Berlin platzte bald aus allen Nähten, die Industrie kaufte Acker im Umland und aus Dörfern wurden Städte. Auch viele öffentliche Einrichtungen suchten das Weite: die Justizvollzugsanstalt ging nach Tegel, die Landesirrenanstalt nach Eberswalde, nach Beelitz kamen die Heilstätten für Berliner TBC-Kranke. Die es sich leisten konnten, zogen auch privat ins Umland, bauten sich Sommersitze oder zogen in Herrenhäuser. Der Reiseboom begann, und mit ihm kam eine Schwemme von Reiseliteratur auf den Markt. Diverse Prospekte und Bücher, die in fünf Vitrinen zur Schau gestellt werden, sollen davon erzählen.
Auch bei der Teilung Berlins erfüllten die Verkehrswege eine wichtige Funktion. „Schließlich musste man den Eisenbahn-Ring zur Umgehung der Westsektoren bauen.“ An die Mauerzeit werden zudem Fotos von Steinstücken und Glienicke erinnern, die den Blick eines Grenzers auf die Mauer dokumentieren.
48 Themen greift die Ausstellung auf, immer bemüht, das Typische im Alltag herauszufinden. „Uns interessierte nicht, wie der Kaiser reiste, sondern die normale Bevölkerung.“
Und bei den Alltagsthemen kristallierte sich auch das Thema Müll für Andreas Bernhard heraus. Der Kurator stiefelte höchstpersönlich auf die Müllhalde von Schildow, um nach Exponaten zu buddeln. Eine Barttasse aus der Kaiserzeit, die durch einen Deckel mit Loch dafür sorgte, dass das Gesichtshaar trocken blieb, wird nun ebenso wie eine Nivea-Dose hinter Glas zu sehen sein. „Dazu wird es noch nie gezeigte Fotos geben.“ Unter dem Vorwand, Melioration zu betreiben, habe man den Berliner Müll, inclusive Giftmüll, in der Mark untergebuddelt. „Später gab es zwischen Ost und West einen Vertrag, der über 20 Jahre lief und bei gesicherten Abnahmemengen der DDR 1,25 Milliarden Mark einspielte. Also durfte der Westen gar nicht weniger Müll produzieren, sonst hätte er Strafe zahlen müssen.“
Für den forschenden Historiker entpuppte sich der Müll geradezu als ein Eldorado. Da lag die Kaiserzeit gleich neben der Weimarer Republik, die BRD neben der DDR: alles fein säuberlich in eine Ebene geschoben.
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