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Kultur: Geschichte, auf Knien geschrieben

Bei seiner ersten Reise war Eugen Ruge zwei Jahre alt. Zusammen mit seinen Eltern durfte er 1956 aus Sibirien, wohin Vater Wolfgang Ruge, ein überzeugter Kommunist, unter Stalin verbannt worden war, in die DDR zurückreisen.

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Bei seiner ersten Reise war Eugen Ruge zwei Jahre alt. Zusammen mit seinen Eltern durfte er 1956 aus Sibirien, wohin Vater Wolfgang Ruge, ein überzeugter Kommunist, unter Stalin verbannt worden war, in die DDR zurückreisen. Es ging nach Potsdam. Vor vier Jahren erschien Ruges erster Roman, in dem er seine außergewöhnliche Familiengeschichte verarbeitete. Für „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, ein großartiges Kaleidoskop deutscher Geschichte über vier Generationen hinweg, wurde der Theaterschriftsteller Eugen Ruge 2011 der Deutsche Buchpreis verliehen. Der Roman spielt zum großen Teil in Potsdam – ein besonderes Lesevergnügen für alle, die die Stadt noch aus DDR-Zeiten kennen. 2012 gab Ruge die Lebenserinnerungen seines Vaters als ebenso beeindruckendes Werk heraus. Nun tritt der Schriftsteller mit einem neuen Buch an: „Annäherungen. Notizen aus 14 Ländern“ erschien im Sommer. Am heutigen Montag liest er daraus vor.

Als Reiseführer darf man diese Annäherungen nicht missverstehen. Es sind Ruges ganz persönlich gesammelten Eindrücke aus den 14 Ländern, die er bereist. Und sie haben auch mit Ruges vorherigen Büchern zu tun. Die Recherche führte ihn damals auf den Spuren seiner Großeltern nach Mexiko, wohin die Großeltern, überzeugte Kommunisten, 1933 vor dem Nazis ins Exil flüchteten. Ein Land, von dem Großeltern später ihrem Enkel viel erzählen und das er nun sehen musste. Er reiste aber auch nach Moskau, die Stadt, in der Ruges Vater Mitte der 1930er-Jahre trotz Kulturschock heimisch werden will. Und dann während des stalinistischen Großen Terrors in Lebensgefahr gerät. Ruge hat sich nun selbst an diese Orte der Familienhistorie begeben. Hat sich beispielsweise angeschaut, in welchem Hotel in Moskau seine Großeltern ein Jahr lang auf ihre Erschießung gewartet hatten.

Manches, das er schreibt, mutet wie Nichtigkeiten an, aber Ruge spricht sie aus , findet sie des Schreibens wert. Das wohl kürzeste Kapitel sind sechseinhalb Zeilen über Paris, geschrieben auf Knien im Flugzeug, wie er in einem Interview sagt. Immer wieder stellt er Fragen – deshalb ist das Buch auch Anleitung zum eigenen neuen Sehen, Aufspüren und Innehalten. Steffi Pyanoe

Lesung am heutigen Montag, 20 Uhr in der Villa Quandt, Weinmeisterstraße 46/47

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