Kultur: Groß im Detail
Die englische Künstlerin Emma Stibbon zeigt Potsdam in ungewöhnlichen Perspektiven
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„Es ist schwierig, in Potsdam in die Höhe zu gehen“, sagt Emma Stibbon und lacht. Für sie war das Hotel Mercure genau die richtige Lösung. Es bot ihr den notwendigen Draufblick, um Brüche freizulegen. Die englische Künstlerin sucht die Vogelperspektive, um Zeitschichten auszumachen. Derzeit schaut sie in das über 1000-jährige Herz der Stadt, um so Ausschlägen und Verwerfungen der Geschichte nachzuspüren.
Ab 2. September wird sie in einer Ausstellung im Kunsthaus zeigen, was ihre Stadterkundung an Reizfeldern zutage förderte. Dann wird sie in Schwarz-Weiß und in allen Grautönen plastisch werden lassen, was sie zwischen DDR-Bauten, Schlössern und Gärten, Schiffbauergasse und Luftschiffhafen besonders inspirierte. Nach ihren fotografischen Erinnerungsstützen setzt sie derzeit in ihrem heimatlichen Atelier in Bristol ihre Reibungen mit Potsdam in Holzschnitt, Kohle, Aquarell und Kreide um und schält Landschaft und Architektur in grafischen Schraffuren heraus.
Bevor sie wieder nach England abreiste, zeigte sie der Direktorin des Potsdam Museums, Jutta Götzmann, schon mal erste Zeichnungen, die sie mit verdünnter Tusche angefertigt hatte.
Die Museumschefin kannte Emma Stibbons Arbeiten über Berlin, in denen sie ebenfalls die Topografie der Stadt auf ganz eigene, markante Weise umsetzte. Sie fragte die Künstlerin, ob sie sich nicht auch in Potsdam auf Spurensuche begeben könnte. Und Emma Stibbon konnte und wollte. So entstand die Idee dieser Ausstellung gemeinsam mit dem Kunsthaus. Denn noch dauert es ein gutes halbes Jahr, bis das Potsdam Museum über eine eigene Ausstellungsfläche für zeitgenössische Kunst im Alten Rathaus verfügt, auf der dem Thema Stadtraum-Kunstraum ein wichtiger Platz eingeräumt werden soll. Der neue Sitz des Museums wurde zwar bereits mit der Ausstellung über Friedrich II. eröffnet, aber damit ist der Ausbau noch nicht abgeschlossen.
„Für mich war es spannend und auch überraschend, auf welche Themen Emma Stibbon besonders ansprang“, sagt Jutta Götzmann, die sich mit der Malerin auf eine Stadtrundfahrt begab. Besonders berührte Emma Stibbon das Gesichtslose des KGB-Gefängnisses in der Leistikowstraße. „Ein emotional ergreifender Ort. Die Fassade gibt keine großen Hinweise, was im Inneren passierte. Aber dennoch nimmt man die Authentizität wahr. Wie kann es sein, dass dieser Ort des Grauens so dicht in einem Wohnviertel integriert war“, fragte sich die Künstlerin. „Und dazu dann dieser Kontrast zu der Schönheit der Gärten in Potsdam.“
Sie arbeitet nicht nur aus der Vogelperspektive. Manchmal sucht sie auch den Blick von unten, um etwas noch monumentaler erscheinen zu lassen. Emma Stibbon will nicht abbilden. Sie projiziert ihre eigenen Vorstellungen in die Bilder hinein, geht groß ins Detail, fragmentiert, abstrahiert. Eine Blickweise auf scheinbar Vertrautes, die verwirrt und offenbart und für spannungsgeladene Kompositionen sorgt.
Im Schloss Cecilienhof fühlte sie sich besonders von der Atmosphäre im Konferenzsaal angezogen, „wo Weltentscheidungen getroffen, dem Frieden eine neue Chance geboten wurde. Die Sessel, in denen Stalin, Attlee und Truman verhandelten, bekommen eine ganz andere Monumentalität, wenn man sie von unten aufnimmt.“ Emma Stibbon geht wie ein Kameramann vor. Oft zoomt sie Unscheinbares heran, verrückt oder verdichtet die Aussage.
Etwa 25 Bilder wird sie im Kunsthaus zeigen: neben einigen Arbeiten zu Berlin, überwiegend ihre Sicht auf Potsdam. Fasziniert zeigte sie sich von dem 1932 erbauten Musikpavillon Reinhold Mohrs im Luftschiffhafen als letztes Zeugnis der klassischen Moderne in der Stadt. Oder vom Einsteinturm mit seinen weich fließenden Konturen. Vor allem aber von der Glienicker Brücke. Emma Stibbon erzählt, wie sie das erste Mal 1979 nach Berlin kam und von der zerrissenen und widersprüchlichen Stadt fasziniert war. Berlin erinnerte die angehende Künstlerin damals an das in der ganzen Welt verbreitete Bild von der Metropole des Kalten Krieges. „Ich hatte den englischen Film ,Der Spion, der aus der Kälte kam’ von John le Carré, der über den Geheimdienst in Ost- und Westberlin erzählte, fest in Erinnerung. Und diese Erinnerung kam hoch, als ich die Glienicker Brücke besuchte.“
Für sie atmet Potsdam heute hauptsächlich Vergangenheit. Diesen Reiz des historischen Erbes findet sie genauso faszinierend wie den Wohnwert der Stadt durch die einzigartigen Parks. „Für mich ist Potsdam ein Teil von Berlin und ich sehe auch hier Dynamik, die nicht eingefroren werden sollte.“ Sie vergleicht es mit der Situation in London, wo Künstler in heruntergekommene Viertel ziehen und wenn diese dann irgendwann saniert werden, die kreativen Köpfe wieder verschwinden, weil sie den Raum nicht mehr bezahlen können.
Diese Ambivalenz der Zeit spüre sie auch in Potsdam. Und die möchte sie in ihren Bildern einfangen, in ihrer ästhetischen Auseinandersetzung mit Zerstörung und Wiederaufbau, mit Spuren, die Diktaturen in der Architektur hinterlassen. Sie sieht sich dabei nicht als Historikerin und will auch nichts bewerten. Vom Mercure, das ihr zwar die Draufsicht auf Potsdam bot, sagt sie nur, dass sie diesem Bau nichts abgewinnen könne. Anders als dem Fries am Rechenzentrum von Fritz Eisel in der Breiten Straße als interessanten Ausdruck baugebundener Kunst.
Die Fragilität und Momenthaftigkeit, bevor sich etwas verändert, die möchte sie einfangen, die in Münster geborene Enthüllerin, die auf einem Kasernengelände der Alliierten aufwuchs, wo ihr Vater stationiert war. Dieses abgeschirmte Leben, das sie als Kind oft einengt hat, schürte vielleicht ihr Interesse für Raumsituationen und Überlagerungen. Nun kann sie sie nach eigenem Gustus verändern, ihre Gefühle sprechen lassen und sich von allem einengenden Ballast befreien.
Emma Stibbon „Potsdam – Berlin, changing cities“ ab 2. September um 17 Uhr im Kunsthaus, Ulanenweg 6
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