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Kultur: „Guten Morgen, Matka“

Erschütterndes Dokument über Sanssouci 1945

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Erschütterndes Dokument über Sanssouci 1945 Eleonore von Heeringen. Wer kennt diesen Namen? Es sind gewiss nur eine Handvoll Menschen die sich an diese Frau erinnern, die von 1933 bis 1963 im ehemaligen Gartenkassenhaus (heute Gartendirektion) unterhalb der Terrassen des Schlosses Sanssouci wohnte. Sie starb 1981 in Frankfurt am Main, im dortigen Cronstettenstift, in das sie bereits 1897 als damals jüngste Stiftsdame aufgenommen wurde. Auch die Dichterin Karoline von Günderrode lebte bis 1806 als Stiftsdame in Cronstetten. Eleonore von Heeringen, die den preußischen Oberstleutnant Kurt von Heeringen heiratete, war eine fleißige Briefschreiberin. Auch ansonsten pflegte sie ihre Liebe zur Schriftstellerei. So erschienen von ihr im Thienemann Verlag in Stuttgart zwei sehr gern gelesene Kinderbücher. Im Nachlass ihrer Tochter Eva von Heeringen (gest. 1985) fand der Bremer Historiker Gerhard Knoll hochinteressante Aufzeichnungen Eleonore von Heeringens, die von den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges in Potsdam und insbesondere im Park von Sanssouci berichten. Diesen Ausschnitt des Nachlasses gab Knoll jetzt in einer Broschüre im STINT Verlag Bremen mit dem Titel „Die Russen in Sanssouci“ heraus. „Man sagte, die Russen kämen von Bornstedt her! Es ging alles so fix, dass man gar nicht zur Besinnung kam! Unser Haus bekam verschiedentlich etwas ab. Man sagte, die Russen seien am Schloss, hätten Artillerie auf der Schlossrampe aufgefahren! Man hörte es auch und merkte es bald“, schreibt die Autorin. Als sie aus dem Keller der Villa Illaire, der als Schutz vor Bomben diente, wieder ans Tageslicht kam und in ihre Wohnung ging, wurde diese von etwa 30 Russen bevölkert. „Sie hatten alle Schränke und Schubladen aufgewühlt, allen Inhalt heraus, die Uhren zerlegt und geklaut, es sah unbeschreiblich aus! Ich wünschte Guten Morgen, und sie sagten ,Guten Morgen, Matka“ ... sagten Hitler Scheiße ... fraßen mein Eingemachtes, spuckten die Kerne auf den Teppich. Lagen in meinen Betten, einem hob ich die Füße hoch und schob einen Lappen unter die Dreckstiefel, er ließ es lachend geschehen.“ Eleonore von Heeringen muss eine couragierte Frau gewesen sein, die den russischen Soldaten scheinbar ohne Ängste entgegen trat. Ihre Pudel halfen ihr, die schweren Jahre zu ertragen. „Sie waren mir dauernd eine Hilfe, immer wieder ein Schutz. Die Russen fanden sie zu schön. Ich lenkte ihre Aufmerksamkeit immer auf die Hunde. Sie tanzten mit ihnen.Es war grauenvoll alles, weil man innerlich zitterte und äußerlich den Clown machen musste.“ Obwohl Eleonore von Heeringen auch mit ansehen musste, wie Frauen und Mädchen vergewaltigt wurden, empfand sie Mitleid mit diesen Männern, die weit von Heimat und Familie getrennt waren. Die Autorin berichtet von der wunderbaren Solidarität der Parkbewohner, die miteinander ihr noch spärliches Hab und Gut teilten. Die Sanssouci-Bewohnerin musste auch erleben, dass in den Schlössern durch Russen und Deutsche manches wertvolle Kulturgut vernichtet wurde. Im Antikentempel, der letzten Ruhestätte der Kaiserin Auguste Victoria, hatte man, wie sie schrieb, die Särge geöffnet und die Leichen heraus gerissen. Die Aufzeichnungen sind ein erschütterndes Dokument über eine Periode, in der man eine unheilvolle Zeit hinter sich brachte und sich in eine andere hinein leben musste. Klaus Büstrin Eleonore von Heeringen, Die Russen in Potsdam, herausgegeben von G. Knoll, STINT Verlag Bremen, 6,80 Euro.

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