Kultur: „Heimatfilm“
Thalia: „Full Metal Village“ von Sung-Hyung Cho
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Sung-Hyung Cho wurde in einer südkoreanischen Millionenstadt am Meer geboren. Mit elf Jahren sah sie ihren ersten Apfelbaum, ein Wunder wie ihr schien. Mehr als zwei Jahrzehnte später dreht die in Deutschland ausgebildete Cutterin einen bezaubernden Dokumentarfilm über das weltgrößte Heavy-Metal-Festival im holsteinischen Wacken nahe Itzehoe. Sie hat ihn „Full Metal Village“ genannt, im Untertitel aber „Ein Heimatfilm“.
Einmal im Jahr pilgern mindestens vierzigtausend der langhaarigen, bizarr verkleideten Fans in das beschauliche „Kuh-Nest“, manche aus Deutschland, andere aus Mexiko oder Afrika her. Nun lief dieser abendfüllende Film bei gutem Besuch im „Thalia“. Die Regisseurin bat vorab darum, „an den richtigen Stellen“ zu lachen, ein Hinweis auf ihren liebevoll-distanzierten Zugriff. Kino sei Emotion, den Rest erledigten ARD und RTL, sagte sie. Der Film beginnt recht beschaulich, muhende Kälber auf einer Koppel, Weizen in Reife, Landschaft, eine Kamerafahrt mit dem Auto durch ein Dorf, wo der Mais drei Meter hoch wird und man frischgeerntete Kartoffeln mit dem Finger pellen kann; ein Supermarkt, eine Bäckerei, sonst nichts. Die dazu gehörenden Bauern: Ein „echter“ Norddeutscher jenseits der Siebzig erklärt der Großstädterin den Unterschied zwischen Rind und Kuh, zwei alte Damen parlieren beim Kuchen über den Einfall der Heavies – eine flieht den neuzeitlichen Ansturm, weil sie aus christlichem Glauben blutigen Satanismus dahinter vermutet, die andere erzählt von ihrer Flucht aus Ostpreußen. Auch ihre Enkelin kommt zu Wort. Fasziniert von den Berichten der Oma, würde sie am liebsten „für eine Stunde im Dritten Reich Mäuschen spielen“. Norbert, einst Mitbegründer des Festivals und inzwischen ausgestiegen, schraubt lustlos an seinem Motorrad herum. Er hat seit drei Jahren keine Arbeit mehr. Dann rauscht es von allen Seiten heran, Autos, Züge, Wohnwagen, Massen von Fans bevölkern riesige Wiesen, hier ist Logistik gefragt. Es funktioniert, wie immer, „das ganze Dorf steht hinter dem Festival“. Die Kapelle der Feuerwehr eröffnet das Fest mit blasmusikgestützter Heimatmusik, und sofort verfällt der unübersehbare Fanklub in seinen Rausch. Bier in Strömen. Harte Musik. „Are your ready to kill!“ ruft ein Sänger von der Bühne herab. Tausendfaches „Ja!“. Aber Sung-Hyung Cho hat ihn befragt: „Ein ganz Lieber, dazu Pazifist“, sagt sie. „Er ist nur auf der Bühne so“. Lange, ruhige Einstellungen, keine Kommentare, sie lässt das Dorf selbst reden – und es schnackt, und schnackt ...
Im Anschluss redet sie auch selbst, über das Gemeinsame („wenn die Andersartigkeit akzeptiert wird, kann man Ähnlichkeiten feststellen“) von Bauern und dass deutsche Dörfer „immer so reich“ aussähen und hierzulande alles in Automatismen erstarrt: Man solle nicht negativ über Ausländer reden. Das Leben in Wacken spricht eine andere Sprache. Der arbeitslose Schrauber bekommt keinen Job, weil die Bauern Polen und Litauer als billige Arbeitskräfte einstellten. Das junge Publikum im Thalia hatte mit solchen Ansichten einige Probleme. Auch deshalb ist dieser prachtvolle Film so wichtig, nicht allein wegen seines „Heimatfilm“-Charakters, sondern schon ob seiner Ehrlichkeit.
Im Thalia-Cafe hängt eine kleine Foto-Schau von Manfred Thomas und Paul Schicketanz, Porträts und eine hübsche Collage von den Filmgrößen, die das „Thalia“ höchstselbst besuchten. Man sollte die bescheidene Wand im Bistro nicht übersehen. Gerold Paul
Gerold Paul
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