Literaturfestival "lit:potsdam": Heimatsuche in der Kunst
Adriana Altaras und Lizzi Doron lesen und sprechen bei "lit:potsdam" von ihrer Identitätssuche
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Es war die Dynamik der beiden Autorinnen, die diesen Abend ausmachte. Eine Dynamik zweier Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und dabei doch wieder so viel gemeinsam haben. Die ihre Geschichten auf so verschiedene Art erzählen und dabei doch auf der gleichen Suche sind – der Suche nach ihrer Heimat. Oder besser gesagt: nach einer Definition von Heimat, vielleicht auch nach Definitionen. Denn wie die Schriftstellerinnen Adriana Altaras und Lizzi Doron am vergangenen Samstag in der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam feststellten, reiche eine nicht unbedingt aus, um zu erklären, was Heimat eigentlich ist. Gemeinsam mit rbb-Journalistin Astrid Frohloff versuchten sie der Frage im Rahmen des diesjährigen „lit:potsdam“-Festivals trotzdem auf den Grund zu gehen. Grundlage des Gesprächs waren dabei die jüngsten Romane der Schriftstellerinnen, die sich beide auf sehr unterschiedliche Weise mit dem Thema der jüdischen Identität auseinandersetzen.
In „Doitscha. Eine jüdische Mutter packt aus“ erzählt die 1960 im ehemaligen Jugoslawien geborene Adriana Altaras von einer deutsch-jüdischen Familie, die im heutigen Berlin lebt und deren turbulentes Leben zum größten Teil auf ihrem eigenen beruht, wie die Autorin erzählte. „Mein Mann stammt aus dem Münsterland, was also noch mal eine Steigerung von Deutsch bedeutet“, sagte sie am Samstag. „Und meine Söhne, die gerade in der Pubertät sind, haben Schwierigkeiten, ihre Identität zu finden.“ So wollte ihr ältester Sohn lange Zeit in die israelische Armee eintreten, identifizierte sich überhaupt sehr mit dem Land, was für Altaras ganz logisch sei, wie sie mit einem Augenzwinkern sagte. „Schließlich ist Israel quasi das Land der Pubertät: ‚Keiner versteht mich, alle hassen mich‘, das ist das gemeinsame Motto.“
Mit einer solchen Zunge ist auch ihr Buch geschrieben, das Altaras‘ eigene Geschichte genauso auf die Schippe nimmt wie übertriebene deutsche Kultur. Dabei zeigt es aber trotzdem die Schwierigkeiten, den Begriff Heimat zu definieren, der laut der Autorin sowieso überbewertet sei. Sie sei durch ihre Lebensgeschichte an so vielen Orten gewesen, die alle irgendwie ein Stück Heimat für sie bedeuten, am meisten fühle sich die Autorin, Schauspielerin und Theaterregisseurin aber in der Kunst heimisch, als Schauspielerin auch in der Sprache. „Heimat ist, glaube ich, auch ein sehr deutscher Begriff“, sagte sie und Lizzi Doron bestätigte das sofort, indem sie erklärte, dass es den Begriff als solches in Israel gar nicht gebe. „Wir haben das Wort ‚Vaterland’, was das Geburtsland meint, aber kein Wort für Heimat.“ Auch sei sie ein bisschen eifersüchtig auf die vielen Heimaten, die ihre Kollegin habe, denn für sie sei es schwierig, eine Definition zu finden. „Meine Mutter ist als Holocaust-Überlebende von Deutschland nach Israel gekommen, hat also ihre Heimat verlassen“, so die 1953 in Tel Aviv geborene Autorin, die sich oft in Berlin aufhält. Sie selber sei in einer Gemeinschaft aufgewachsen, in der alle möglichen Sprachen gesprochen worden seien, sodass sie darin keine Heimat bemessen könne. Dann erzählte sie von einem Besuch in Frankfurt, bei dem sie in einem deutschen Restaurant Schnitzel mit Kraut und Kartoffeln gegessen habe und sofort dachte, ihre Mutter hätte das Essen gekocht. „Es hat genauso geschmeckt wie zu Hause und somit war das dann ein Stück Heimat“, sagte sie. „Vielleicht ist also Familie Heimat.“
In gewisser Weise geht sie diesem Punkt auch in ihrem Buch „Who the Fuck Is Kafka“ nach, in dem sie von ihrer Freundschaft zu dem arabisch-palästinensischen Fotojournalisten Nadim Abu Hanis erzählt, mit dem sie sich gemeinsam auf Identitätssuche begibt. Das Buch ist in Israel nicht erschienen, der geplante Film um das Projekt wurde abgebrochen. „Wir wurden jeweils von unseren eigenen Leuten als Verräter beschimpft und bedroht“, so die Autorin. „Es ist ein tiefer Konflikt, der da herrscht, ein tiefes Bedürfnis nach Freiheit; als Außenstehender kann man das nur schwer nachvollziehen.“ In dieser wechselhaften Suche nach jüdischer Identität und Religion spiele die Familie eine große Rolle. Wie Doron sagte, habe Nadim Abu Hanis die Verbindung zu den Familienwurzeln einmal als Heimat beschrieben und dem könne sie sich anschließen.
Es ist also auch die Familie als Knotenpunkt, welche Adriana Altaras und Lizzi Doron in ihrer Suche nach Identität verbindet: die Familie und die oft selbstironische Art mit ihrer Geschichte umzugehen. Am Ende des Abends kommen sie zu dem Schluss, dass sie zusammen eine Wohngemeinschaft gründen sollten – sie würden sich einfach zu gut verstehen.
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