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Kultur: Herz der sieben Länder

Filmgespräch zu Muchas „Schwarzmeer-Odyssee“

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Es ist ein würdiger Anfang für eine Odyssee: In aller Unschuld stellt der Filmemacher die Frage an den wettergegerbten Mann: Wo bitte geht es zum Schwarzen Meer – und „müssen wir da linksrum oder rechtsrum?“ Der wirft einen skeptischen Blick auf das im Sand des ukrainischen Donaudelta feststeckende Auto, bemerkt trocken: „Eure Kiste schafft das nie“, hilft dann aber doch. Für Bier als Gegenleistung wird das Auto aus dem Sand gezogen.

„Tristia – Eine Schwarzmeer-Odyssee“ heißt der Dokumentarfilm von Stanislaw Mucha, am Dienstagabend kam der Regisseur zum Gespräch ins Filmmuseum. In sieben Ländern – Ukraine, Russland, Türkei, Bulgarien, Rumänien, Georgien, Abchasien – war er an der Küste des sagenumwobenen Schwarzen Meeres unterwegs. Sein Film lässt mit einer Vielzahl scheinbar kleiner Begegnungen ein mosaikartiges Bild von Menschen, Kulturen und politischen Verhältnissen der osteuropäischen Region entstehen, in der mythische Vergangenheit und rasanter gegenwärtiger Wandel aufeinanderprallen. An eigentlich traumhaften Stränden, an denen Urlauber gerade den Müll beseitigen; vor Berglandschaften, deren Felswände die Porträts der im Krieg gefallenen abchasischen Helden tragen; oder im Elite-Ferienlager, in dem beim Fahnenappell nach westlichen Popmusik-Rhythmen mit verquer-nationalistischen Texten gerappt wird.

Die Idee zu diesem Film hat der in Südpolen geborene Regisseur, der an der HFF „Konrad Wolf“ studierte, lange mit sich herumgetragen. Eigentlich geht sie auf Stanislaw Muchas Großmutter zurück, der er mit dem Anfangsbild auch ein heimliches filmisches Denkmal gesetzt hat. Da steht eine ältere Frau mit einem Riesenglobus am Meer und zeigt auf das Schwarze Meer darauf. Die Großmutter brachte aus dem Urlaub stets Schwarzmeerschlamm mit, der alle Wunden heilen sollte und „nach Mäusepisse, Öl und verrosteten Schiffen“ roch. Später löste dieser Geruch immer wieder heftige Erinnerungen – bis Mucha eines Tages beschloss, hinzufahren. Überrascht hat ihn am Schwarzen Meer vor allem der Humor der Küstenbewohner. Der, so glaubt er, fungiert als Selbstschutz vor der rauen Wirklichkeit.

Muchas Blick als Filmemacher auf diese Wirklichkeit ist neugierig – und humorvoll. Er hat einfach ein Gespür für skurrile Situationen. Die dreimonatigen Dreharbeiten allerdings müssen strapaziös gewesen sein. So erzählte er etwa von den Grenzen, die im Film nicht vorkommen, der zwei Kilometer langen Brücke zwischen Abchasien und Georgien, die noch nie ein zuvor Filmteam überschritten hat, und die offiziell gar nicht als Grenze existiert. Oder von Schikanen, der Drohung, das Auto zu zersägen, weil sich eine Tür des – ständig kaputten – Opels nicht öffnen ließ. So eine Reise, sagte Mucha, sei unglaublich schwer. „Mir ist aber sehr wichtig, dass man das nicht spürt.“ Eigentlich dachte er, er kenne seine Grenzen. Sie waren aber gar nicht da, wo er sie vermutete. „Meine Grenzen liegen ganz woanders.“ Trotzdem wird er seinen nächsten Film in Sibirien, auf dem längsten Friedhof der Welt, drehen, wo unter dem Straßenbelag zwischen zwei und sechs Millionen Menschen liegen. Aber darüber will Stanislaw Mucha noch nicht zu viel sagen. Die nächste Odyssee beginnt schließlich erst. Susanne Klappenbach

Susanne Klappenbach

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