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Kultur: Hollywoods eigenwilliger Bruder

„Nollywood“ gab einen Einblick in den nigerianischen Filmbetrieb

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Der Sound knistert, die Konturen sind wattig weich. Eben noch schob sich eine „Preview-Copy“- Schleife quer über das Bild. Jetzt stakst ein computeranimiertes Monster, eine Mischung aus Shrek und dem Steinbeißer der „Unendlichen Geschichte“, wankend auf sein Opfer zu. Der Bedrohte rollt in geradezu expressionistischer Angst die Augen; fast hört man sein Zähneklappern.

Willkommen in „Nollywood“, willkommen in „Well of Fate: Mists of Misfortune“ von Mike-Steve Adeleye. Wer nichtsahnend in dem einzigen Langfilm des diesjährigen Afrika-Fokusses der Sehsüchte landete, dürfte von Plot und Qualität des Films überrascht bis befremdet gewesen sein. Verständlich, misst man „Well of Fate“ an europäischen Sehgewohnheiten. Doch der Film – teils pathetisch, teils poetisch, immer schräg, immer knarzend – erzählt nur die halbe Geschichte. Nicht nur, weil er tatsächlich ziemlich abrupt und mitten im Geschehen endet. Sondern weil, wer Nollywood-Produkte richtig sehen will, um die Produktionshintergründe wissen muss. Eine Podiumsdiskussion gab dazu Auskunft.

„Nollywood“ steht für den nigerianischen Filmbetrieb, der sich seit den 90iger Jahren zur drittgrößten Filmnation der Welt gemausert hat. Zwar misst es sich im Namen an Holly- und Bollywood, ist aber sonst kaum mit der amerikanischen und indischen Filmmaschine zu vergleichen. Gedreht wird nicht in Studios, sondern vorwiegend in Privathaushalten, nicht für“s Kino, für die meisten viel zu teuer, sondern für Video und DVD. Aus Budgets von 5000 bis 10 000 Dollar macht Nollywood actionreiche Langfilme – Summen, für die man in Deutschland kaum einen Kurzfilm dreht. „Hätten wir auch nur ein Zehntel der europäischen Budgets, wir könnten Euch zeigen, was wir können“, sagte einer der Podiumsgäste, ein nigerianischer Produzent.

Für individuelle künstlerische Handschriften ist in den auf Verkauf angewiesenen Filmen wenig Platz. „Selbstverwirklichung ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können“, sagt James Mbiri. Der ugandische Regisseur war mit seinem Dokumentarfilm „The Power of the Spirits“ bei den Sehsüchten. Er porträtiert darin eine Gruppe von traditionellen ugandischen Heilern, die mit Eiern, Hühnern und Geisterbeschwörungen arbeiten, wo herkömmliche Ärzte ratlos sind.

Im Gegensatz zu anderen, von europäischen Machern finanzierten Filmen seiner Produktionsfirma zeige sein Film Uganda so, wie die Menschen dort es sehen, sagt James. Absichtlich spricht er von „Uganda“, nicht „Afrika“. „Der Kontinent hat über vierzig Länder, da muss man spezifisch sein“. Allzu oft, erzählt er, meinen Europäer schon genau zu wissen, was Afrika ist, bevor sie es sehen. Das Problem dabei: Meist haben sie Bilder oder Filme im Kopf, die von Ausländern produziert wurden.

So gesehen, erzählt das trashige „Well of Fate“ mehr über den Kontinent als es hiesige Afrika-Kassenschlager je vermögen würden. Wo etwa „The Last King of Scotland“ eine amerikanische Sicht auf Uganda darlegt, entführt „Well of Fate“ in eine Fantasie-Welt, wie sie nigerianische Zuschauer träumen – lokale Stammestraditionen, atemberaubend einfallsreich aufgemischt mit den begrenzten Mitteln Nollywoods.

Um das zu entdecken, muss man zwar genauer hinsehen. Aber es lohnt sich.

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