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Bereit für den Machtwechsel. Der Satiriker und Politiker Martin Sonneborn.

©   F. Popow

Interview: „Ich spüre ein Machtvakuum“

Martin Sonneborn über Hells Angels in Potsdam, nackte Ostdeutsche, die neue Mauer, den Traum von der Machtübernahme und Potsdamer Erfahrungen.

Stand:

Herr Sonneborn, „Krawall und Satire“ ist der Titel Ihres Programms, mit dem Sie am Montag in Potsdam zu erleben sind. Klingt wie Wahlkampf für Die Partei, deren Bundesvorsitzender Sie sind.

Nein, das heißt „Krawall und Satire“, weil der Stern, ein Tittenmagazin aus Hamburg mit stark sinkender Auflage, mich mal als Krawallsatiriker mit Profilneurose bezeichnet hat.

Und das fanden Sie passend?

Ja, klar.

Was erwartet uns hier im beschaulichen Potsdam bei diesem „Krawall und Satire“?

An diesem Abend werde ich die Potsdamer aufklären über die schmutzigen Aktivitäten meiner Partei in den letzten Monaten und Jahren.

Oh, das klingt aber wirklich außerordentlich spannend.

Ja, eine brachiale Propagandaaktion, eine Dreiviertelstunde lang, und dann in einem zweiten Teil, für die Leute, die das schadlos überstehen, zeige ich lustige Filme. Oder nachdenkliche.

Politik und vor allem Wahlkampf bedeutet ja immer auch Bürgernähe oder zumindest tun die meisten so, dass sie sich für die Probleme der Bürger vor Ort interessieren und weise Lösungsvorschläge servieren. Was bringen Sie mit?

Ich werde auch über die Auflösung der Ortsgruppe der Hells Angels reden, die mir Sorgen bereitet.

Die Ihnen Sorgen bereitet?

Ja doch, ich spüre ein Machtvakuum in dieser Vorstadt.

Welcher Vorstadt?

In Potsdam. Und ich werde versuchen, in der Pause eine neue Ortsgruppe der Hells Angels zu gründen.

Mit Ihnen als „President“, also Leiter der Ortsgruppe?

Ja, genau.

Was für ein Motorrad fahren Sie überhaupt?

Ab und zu einen 50er Roller.

Jeder hat mal klein angefangen. Aber wenn Sie als Bundesvorsitzender der Partei nach Potsdam kommen, ist das nicht so, als würden Sie Feindesland betreten? Schließlich lautet die Hauptforderung Ihrer Partei: die endgültige Teilung Deutschlands, der Wiederaufbau der Mauer.

Ja, das stimmt. Aber das ist ja keine reine westdeutsche Angelegenheit. Fast ein Drittel der Parteimitglieder sitzt im Osten und unterstützt dieses Vorhaben. Und gerade in Brandenburg gibt es viel Zuspruch. Wir haben ziemlich viele Ortsvereine, ein Landesverband will sich gerade gründen und Potsdam ist ja eine regelrechte Hochburg.

Eine Hochburg von Parteimitgliedern oder von Leuten, die einen Wiederaufbau der Mauer begrüßen?

Beides. Mit Mauern und umzäunten Grundstücken an irgendwelchen Seen haben Sie ja Erfahrung.

Also ist Ihr Auftritt im Grunde eine Art Heimspiel?

Nein, es ist eine Win-win-Situation. Wir wollen auf die Erfahrungen der Potsdamer mit abgesperrten Grundstücken zurückgreifen. Und ich freue mich immer, wenn ich in dieses beschauliche Städtchen komme. Sie haben ja auch ein Stadtschloss.

Wir bauen noch daran.

Aber trotzdem sind Sie da schon weiter als wir hier in Berlin. Vielleicht können wir da auch ein paar Erfahrungen sammeln, bevor wir in Berlin losbauen.

In Ihrem Film „Heimatkunde“ aus dem Jahr 2008 haben Sie sich auf eine Wanderschaft in die ostdeutsche Provinz um Potsdam herum begeben ...

... Das haben Sie sehr schön gesagt. Ein recht egozentrisches Weltbild, das Sie da zeigen: um Potsdam herum. Ich bin um Berlin herumgelaufen und habe dabei auch Potsdam gestreift!

Das hängt von der Perspektive ab. Wir hier sehen Berlin ja in erster Linie als Potsdamer Vorstadt. Bei dieser Heimaterkundung hatten Sie den ersten Kontakt mit einem Ostdeutschen ausgerechnet auf einer stillgelegten Brücke über den Teltowkanal. Der lag da und sonnte sich splitterfasernackt. Die klassische Begegnung des neugierigen Entdeckers mit dem edlen Wilden?

Er war in jedem Fall der nackte Wilde. Ob er edel war, das weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich vor allem, dass er Cabinet-Raucher war und mit der Zeit haderte, weil er nicht mehr komplett nackt rumlaufen durfte, wie Sie das in der DDR wahrscheinlich die ganze Zeit gemacht haben.

Auch eine Form von Freiheit.

Ja, und jetzt beschwerte er sich, dass er zu Hause, in dem Garten eines Mehrfamilienhauses, nicht nackt herumliegen darf. Deswegen ging er auf diese Brücke. Aber es war natürlich ein schöner Unterschied zu den bekleideten, hektischen und arbeitsamen Westdeutschen.

Wie hat diese Wanderung durch die Provinz Ihr Bild vom Ostdeutschen verändert?

Eigentlich nicht verändert, sondern erweitert. Denn ich bin ziemlich unvoreingenommen und unvorbereitet da herumspaziert. Interessant war, dass man am Rande von Großstädten immer eine hohe Zahl bizarrer Existenzen findet. Das Resümee dieser Wanderung damals, in einem Satz zusammengefasst: Es hat die DDR nie gegeben und sie war besser.

So spricht nur ein weiser Mann!

Das war wirklich interessant. Die Hälfte der Leute hat mit dem Begriff DDR praktisch nichts mehr verbinden können. Das waren die, die von ihren Eltern entweder nichts über die DDR gehört haben oder nur, dass es früher nicht so gut war. Und die andere Hälfte, das waren vor allem ältere Leute, die haben gesagt, dass früher alles besser war, dass es Arbeit gab, der soziale Zusammenhalt stärker war etc.

Ist das nur ein ostdeutsches Phänomen oder sagt der Westdeutsche nicht vielleicht auch, früher, vor 1989 war alles besser.

Nein, ich glaube, die Westdeutschen interessiert vor allem ihr hart erarbeitetes Geld, und das geht natürlich nach wie vor in großen Mengen in den Osten. Da ist jetzt nicht mehr diese euphorische Stimmung, mit der die Leute 1990 rüber gefahren sind, um ihre alten Autos, ihre alten Schuhe und abgelaufene Konserven zu verkaufen.

Aber das Geld ist doch nicht schlecht angelegt. Wir hier in Potsdam bauen ein schönes Stadtschloss. Da kann man doch auch mal aus dem Westen herfahren und sich daran erfreuen.

Ja, sobald wir in Brandenburg an der Macht sind, werden wir das Stadtschloss zu einem schicken Parkhaus umfunktionieren. Dann kann man landesweit sehen, was in Sachen Architektur so alles geht.

Apropos Machtergreifung. Das ist ja ein weiteres großes Ziel Ihrer Partei. Wann ist es denn soweit?

Wir hatten das ja schon 2009 geplant, aber da sind wir ja nicht zur Wahl zugelassen worden wegen eines irren Bundeswahlleiters mit CDU-Parteibuch. 2013 sind Bundestagswahlen. Wir haben in Berlin jetzt 0,9 Prozent der Stimmen erhalten. Das ist unser bestes Ergebnis seit Kriegsende. Und es ist ein totales Debakel, weil wir noch 1 Prozent hinter der FDP gelandet sind.

Uh, das tut aber richtig weh.

Ja, das war hart. Aber wir konnten bisher in jeder Wahl unser bisheriges Wahlergebnis verdoppeln. Und wenn fähige Mathematiker am Potsdamer Hasso-Plattner-Institut, von der Wirtschaft gesponsert, mit sehr großen Computern ausrechnen, wie lange wir noch brauchen, dann werden sie herausfinden, dass es nur noch maximal 32 bis 64 Wahlen bedeutet, bis wir in diesem Land an der Macht sind.

Gut Ding will Weile haben. Und Sie sind Optimist. Ist es das, was es in der Politik braucht, grenzenlosen Optimismus?

Auf jeden Fall. Ein Politiker, der sich in Talkshows mal realistisch oder pessimistisch zeigen würde, wäre ein Novum in diesem Land. Ich glaube, die Leute würden das begrüßen und ihn sogar wählen. Und ich beobachte, dass andere Parteien mittlerweile mit unseren Methoden arbeiten und sogar in Landtage einziehen. Die Piraten sind ja noch erheblich inhaltsleerer als wir und sitzen im Abgeordnetenhaus in Berlin.

Sind Wahrheit oder Ehrlichkeit überhaupt Kategorien für ein überzeugendes Parteiprogramm?

Diese Frage ehrt Sie. Aber ich muss sie mit einem brutalen Nein beantworten. Parteiprogramme werden natürlich so geschrieben, dass sie gut klingen und positive Emotionen zum Schwingen bringen.

Helmut Kohl wird als „Kanzler der Einheit“ bezeichnet. Ihre Partei ist auf dem Vormarsch. Wollen Sie als „Kanzler der Wiederteilung“ in die Geschichtsbücher eingehen?

Nein, der Kanzler der Zweiheit, das ist kürzer und klingt auch besser. Wir hatten ja am 13. August vergangenen Jahres einen Fackelzug durch das Brandenburger Tor veranstaltet und da wurde lustigerweise auch der Ruf „Wir sind zwei Volk“ skandiert.

Aber ein Fackelzug durch das Brandenburger Tor? Das ist doch ziemlich heikel bei der deutschen Vergangenheit?

Wir brauchten spektakuläre Bilder, um die Herzen der Berliner zu gewinnen. Gleichzeitig führen wir aber auch eine Auseinandersetzung mit der NPD, die in Berlin über 5 Prozent kommen wollte und ein recht geschmackloses Plakat vor dem Jüdischen Museum platzierte: „Gas geben“ mit Udo Voigt. Wir haben den Nazis gezeigt, dass wir sie locker en passant rechts überholen können.

Politiker menscheln gern und lieben das Bad in der Menge. Wenn Sie am Montag nach Potsdam kommen, freuen Sie sich da eigentlich schon auf den Potsdamer?

Nein, auf den Potsdamer natürlich nicht. Es wird eine Security geben, die die Bühne abschirmt.

Kein näherer Kontakt mit den Einheimischen?

Nein, auf keinen Fall. Ich kenne ja die Potsdamer von meiner Heimatkunde-Wanderung und ich hoffe, ich werde mit denen nicht weiter in Kontakt kommen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Martin Sonneborn ist am Montag, 25. Juni, um 21 Uhr im Lindenpark, Stahnsdorfer Straße , zu erleben. Der Eintritt im Vorverkauf kostet 13 Euro zzgl. Gebühr, an der Abendkasse 16 Euro

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