zum Hauptinhalt

Kultur: Im Gefolge der SS

Sammelband zu KZ-Aufseherinnen in der Landeszentrale für politische Bildung vorgestellt

Stand:

Unlängst hat Tilman Jens in der FAZ in einer Art von vorauseilendem Nachruf auf seinen Vater, den Schriftsteller Walter Jens, dessen Demenzerkrankung auf den Unwillen zurückgeführt, sich an die eigene NSDAP-Mitgliedschaft zu erinnern. Die Krankheit, die das Gedächtnis sukzessive zerstört, wird von Tilman Jens zur Krankheit seiner Vätergeneration erklärt, zu einer Krankheit, an der sie selber Schuld habe, weil sie sich nicht erinnern wolle. Eine solche selbstgerechte Erklärungslogik ist für die Frage nach den Entscheidungsmöglichkeiten, derer, die in der Zeit des Nationalsozialismus das System aktiv unterstützt haben, wenig hilfreich.

Erinnerungen von Wehrmachtssoldaten, Vertriebenen, aber auch von Menschen, die in dem Getriebe des Dritten Reiches nicht nur ein kleines Rad waren, werden seit 1945 in regelmäßigen Publikationswellen veröffentlicht. Eine systematische wissenschaftliche Erforschung setzte in der Bundesrepublik indes erst nach 1989 ein, mit der leichteren Zugänglichkeit der östlich gelegenen Archive. Dies trifft insbesondere für die Beteiligung von Frauen an den nationalsozialistischen Verbrechen zu. 2004 wurde in der Gedenkstätte Ravensbrück die Dauerausstellung „Im Gefolge der SS: Aufseherinnen des Frauen-KZ Ravensbrück“ eröffnet, drei Jahre später erschien der Begleitband, den die Herausgeberin Simone Erpel und die Autorin Jeanette Toussaint am Mittwochabend in der Landeszentrale für politische Bildung einem zahlreich erschienenem Publikum vorstellten, das vom Schüler bis zum Rentner mindestens vier Generationen repräsentierte.

In der Propaganda der Nationalsozialisten galten Konzentrationslager als Erziehungsorte und Verwahranstalten, als Arbeitslager und Gefängnis in einem. Geleitet wurden sie von der SS, auch das Frauen-KZ Ravensbrück, das 1939 errichtet wurde. Nur für die direkte Bewachung der Häftlinge wurde Frauen angestellt. Diese zehn Prozent des Wachpersonals waren keine SS-Mitglieder, konnten es in dem soldatischen Männerbund auch nicht sein. Innerhalb der Personalhierarchie standen sie ganz unten. Sie waren Angestellte im öffentlichen Dienst, angeworben über Arbeitsmarktagenturen oder Mundpropaganda. Der Verdienst war verhältnismäßig gut, die Arbeit verlangte keine Vorbildung. Den überwiegend jungen Frauen versprach die Anstellung ein ungebundenes Leben, für die 30er Jahre noch eine Seltenheit.

Nach 1945 erlangten einige Aufseherinnen Berühmtheit, wie Irma Grese, die als „blonde Bestie“ tituliert und zum Tode verurteilt wurde. Solche Dämonisierungen helfen allerdings nicht, zu verstehen, warum es Frauen gab, die freiwillig eine Arbeit machten, die allgemeinmenschliche moralische Werte verletzte. Die wissenschaftliche Forschung hat darauf hingewiesen, dass der zeitgenössische Bezugsrahmen den Frauen keinen Grund gab, sich schuldig zu fühlen. Politische Gegner galten als Volksschädlinge, Nicht-Arier“ als Untermenschen – diese zu vernichten war politischer Auftrag.

Die Frage ist allerdings, wie sich die Wahrnehmung des eigenen Handelns ändert, wenn der Referenzrahmen ein anderer wird. Nach 1945 galten die Konzentrationslager als Orte der grausamsten menschlichen Verbrechen, die jemals begangen wurden. Nur wenige ehemalige Aufseherinnen haben danach über ihre Arbeit reden wollen. Für die Ausstellung konnten drei interviewt werden. Jeanette Toussaint erzählte von der Begegnung mit einer 84jährigen und ihren zwei Töchtern. Weil die Mutter schon etwas verwirt sei, bestanden die Töchter darauf, bei den Interviews dabei zu sein. Begegnet sei sie aber einer geistig agilen Dame, die nach 55 Jahren reden wollte.

Die eingespielten Tondokumente beeindruckten. Zum einen, weil die ehemalige Aufseherin Episoden aus ihrer Dienstzeit erzählt, die auf frappierende Weise die Machtverhältnisse im Lager verkennen. Nicht die Häftlinge hätten Hunger gehabt, sondern sie, weshalb es die Häftlinge waren, die ihr Essen abgaben. Auch ihre Ressentiments gegenüber Sinti und Roma hat sie nie abgelegt, ohne Scheu stellt die ehemalige Aufseherin fest, dass es schon sinnvoll gewesen wäre, diese alle vernichten zu wollen.

Noch mehr als die unreflektierten Erinnerungen der Mutter irritierten die Einwände der Töchter. Die ältere, 1942 geborene Tochter hindert die Mutter immer wieder am Weiterreden, sie will verhindern, dass diese irgendetwas offenbart, das sie als Täterin darstellt. Die jüngere, 1946 geborene schweigt und erzählt hinterher, dass sie oft mit der Mutter habe reden wollen über ihre Zeit im KZ. Doch erst als die jungen Wissenschaftlerinnen anreisten, wollte die Mutter erzählen. Auch von ihrer Zeit in Auschwitz, wo sie einige Monate arbeitete und dann kündigte. Dass sie an dem Ort war, der zum Symbol der Naziverbrechen wurde, ist das größte Geständnis, das die ehemalige Aufseherin macht. Wenige Monate später erkrankt sie an Demenz.

Die Forschungsergebnisse des Sammelbandes zeigen, wie differenziert mit Erinnerungen und mit dem Begriff der Täterschaft umgegangen werden muss. Und das dies nicht eine Frage von Generationen ist.

Simone Erpel (Hg.): Im Gefolge der SS: Aufseherinnen im Frauen-KZ Ravensbrück. Berlin: Metropol Verlag, 2007. 22 €

Lene Zade

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })