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Kultur: Im Monstrositäten-Kabinett
Ingmar Bergmans Film „Das Schlangenei“ für das Theater bearbeitet / Premiere war in der Reithalle
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Einige Filme des bedeutenden schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman fanden den Weg auf die Bühne: so die „Szenen einer Ehe“ mit ihrer pessimistischen Sicht auf den „Bund fürs Leben“ oder „Fanny und Alexander“, der von der großen Liebe einer Familie zum Theater erzählt. Nun wurde auch „Das Schlangenei“ für das Theater bearbeitet. Das Hans Otto Theater hat es am Freitagabend in der Reithalle zur deutschen Erstaufführung gebracht.
Bergman hatte zu diesem 1976 in Deutschland gedrehten Film später ein eher zwiespältiges Verhältnis. Warum, bleibt des Regisseurs Geheimnis. Er nahm es 2007 mit ins Grab. Einen Horrorfilm nannte er „Das Schlangenei“ abschätzig. Dabei ist ihm eine intensive und bedrückende Schilderung über das Deutschland der zwanziger Jahre der Weimarer Republik gelungen. Der Titel ist einem Zitat aus dem Shakespeare-Stück „Julius Caesar“ entliehen.
Niklas Ritter, der junge Gastregisseur vom Anhaltischen Theater Dessau, steuert keine Wiederholung des Films mit den Mitteln des Theaters an. Den bloßen Nachbeter gibt Ritter nicht. Er verlegt die gesamte Szenerie in einen Zirkus (Bühnenbild: Bernd Schneider). Das bewirkt oftmals einen aufgeblähten Bilderdonner. Manches wirkt so, als ob man sich in einem Monstrositäten-Kabinett befindet, in dem die verschiedensten Artistengestalten – zumeist Clowns – sich tummeln (Heike Finck, Elzemarieke de Vos, Michael Schrodt, Wolfgang Vogler). Mit gespenstischen und trickreichen Mitteln führen sie ihre Künste vor – der Zirkus eben als Metapher des Lebens und der Gesellschaft. Die Entdeckung der bevorstehenden Gefahr des Nationalsozialismus durch eine transparente Membran – das Schlangenei – wird bei Ritter nicht erst in der Schlussszene entkleidet, als fast beiläufig ein gewisser Adolf Hitler erwähnt wird, bei dem man noch nicht so recht wisse, was er in Zukunft alles in Gang setzen könne. Obwohl der Zuschauer eigentlich weiß, wie ab 1933 die Nationalsozialisten zwölf Jahre lang ihre böse Fratze unmissverständlich zeigten, hat das von Niklas Ritter inszenierte „Vorspiel“ zu den zwölf Jahren Nationalsozialismus beängstigende Momente, ja auch surreale Züge. Die Brutalität der Nationalsozialisten wird verdeutlicht, zwar noch im Zirkus, aber das Lachen bleibt einem schon jetzt im Halse stecken.
Auch die Stimmung der unsicheren und grauen zwanziger Jahre, die gar nicht so golden waren wie behauptet, wird in dieser Inszenierung aufgenommen. Anders als die Musik, die ein neues und schwungvolles Lebensgefühl vermitteln und den Alltag vergessen machen sollte. Tilman Ritter am Klavier gab dem Theaterabend durch seine musikalischen Einwürfe und die Begleitung der Lieder eine wunderbare Atmosphäre.
Dass „Das Schlangenei“ in Potsdam im Zirkus spielt, war eine kluge Entscheidung des Regisseurs. Ist doch die Heimat der Hauptfiguren Abel und Manuela Rosenberg (Raphael Rubino und Melanie Straub) der Zirkus. Abel, der amerikanische Trapezkünstler und Jude, erlebt die deutsche Wirklichkeit der zwanziger Jahre in Berlin, in einer Zeit, in der auch die Inflation fast unvorstellbare Blüten trieb. Innerhalb weniger Tage wird er mehrerer Morde verdächtigt. Auch sein Bruder Max gehört zu den Getöteten. Diese Beschuldigungen bringen ihn fast an den Rand psychischer Zerstörung.
Ein Kriminalstück? Ja schon! Denn da gibt es einen eifrigen Kriminalinspektor und seine noch eifrigere Assistentin (Christoph Hohmann und Heike Finck). Sie gehen den Morden nach, verhaften Rosenberg, müssen ihn aber wegen Mangel an Beweisen entlassen. Das Verhör findet hinter verschlossener Tür auf engstem Raum statt. Der Zuschauer kann es durch verzerrte Kamera-Aufzeichnungen mit verfolgen. Auch hierbei hatte die überbetonte Groteske das Sagen. Der spannende Krimi entpuppt sich als erdrückender Bericht über die Genese des aufkommenden Faschismus.
Manuela und Abel finden Arbeit in der mysteriösen Klinik des Dr. Hans Vergérus (Wolfgang Vogler). Der Arzt führt an hungernden Arbeitslosen grausame medizinische Experimente durch. Auch Abels Bruder Max war sein Opfer. Nur ein paar Jahre später werden solche sadistischen Versuche an Menschen – vor allem an Juden, Psychiatrie-Patienten und Behinderten – gang und gäbe. Der Arzt berichtet ohne Emotionen von den todbringenden Experimenten. In seinem großen Monolog, der vielleicht etwas zu lang geriet, wird auf jegliche Zutaten verzichtet. Eine nachträgliche Illustrierung im Schlussbild mit den zusammengekauerten nackten Menschen, das auf die Verbrechen hinweist, war dann keine gute Idee. Das Wort war eindrücklich genug.
Raphael Rubino spielt einen freundlichen und körperlich kraftvollen Abel Rosenberg, der an nichts Böses denkt, der unversehens in eine Krise hineingerät, aus der er nicht mehr herauskommt, mit eher leisen Tönen. Manchmal wäre aber etwas mehr Leidenschaft angebracht. Melanie Straub zeigt eine zunächst überlegene, dann aber doch sich fragil zeigende Manuela, die von den todbringenden Experimenten an Menschen erschüttert ist und sich das Leben nimmt.
Rita Feldmeier liefert als geldgierige jüdische Zimmerwirtin Frau Holle, die vor den unsicheren Zeiten Angst hat, eine beeindruckende Studie.
Der lange Beifall des Publikums war der Lohn für eine intensive, manchmal überspannte, doch für Nachdenken sorgende Inszenierung. Sie könnte auch ein wichtiger Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion eines NPD-Verbots sein.
Nächste Vorstellung am Mittwoch, 30. November, 19.30 Uhr, Reithalle, Schiffbauergasse
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