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Kultur: Im Todesschatten

Barbara Wiesener schreibt in „Wege aus dem Gartenhaus“ über ihre Trauer und den schwierigen Neuanfang

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„Erst seit Knuts Tod erlebe ich die Besonderheit des Wegfahrens. Ich verlasse für kurze Zeit den Ort des Todesschattens, des halbleeren Bettes, des halbleeren Schrankes, des unbenutzten Schreibtisches. Hier kann ich vorsichtig im Abstand auf das Vergangene und Zukünftige schauen.“ Diese Gedanken notierte Barbara Wiesener am 30. Dezember 1993 in Flaine, als sie mit vier ihrer sechs Kinder zum Jahreswechsel Urlaub in der französischen Schweiz machte. In ihrem Büchlein „Wege aus dem Gartenhaus“ (Arke Verlag Potsdam, 8 Euro), das sie am 23. Mai in der Stiftungsbuchhandlung vorstellt, erzählt die Autorin von dem schwierigen Weg der Trauer und des Abschieds, nachdem ihr Mann auf der Rückfahrt einer Dienstreise verunglückt und zwei Wochen später im Bergmann-Klinikum Potsdam gestorben war.

Bereits vor drei Jahren veröffentlichte sie ihre „Notizen aus dem Gartenhaus“, das bewegenden Büchlein mit ihren ganz privaten, aber auch die große Politik und die Enge der DDR spiegelnden Tagebuchaufzeichnungen. Es endete 1992 mit den Worten: „Ich bin gerade Witwe geworden. Die Sonnenstrahlen, die der Erde die ersten Düfte des Jahres entlocken, tragen schwarze Ränder. Trauerränder. Wie die Briefe auf meinem Schreibtisch.“

In ihrem zweiten „Garten-Tagebuch“ schreibt Barbara Wiesener nun von der Zerrissenheit und Hoffnung danach. Und von den immer wiederkehrenden nächtlichen Abstürzen, wenn die Schatten der Trauer nach ihr greifen. Sie hat sich ihre kleine eigene Papierwelt erhalten können, der sie alles anvertraut: die 1948 als Pfarrerstochter im Brandenburgischen geborene Frau, sie seit dem 13. Geburtstag Tagebuch führt. Und die nun erneut den Mut aufbringt, mit ihrer ganz persönlichen Geschichte unverfälscht an die Öffentlichkeit zu treten. Sie ließ sich anregen von anderen schreibenden Frauen: von Rahel Varnhagen, Christa Wolf, Maxie Wander. Und wie diese verstorbenen Schriftstellerinnen ist auch Barbara Wiesener beeindruckt, wie gut Leben und Energien in Worten aufzuheben sind. Sie selbst findet schlichte, einfühlsame, poetische Worte, die ihrer zerklüfteten Seele Ausdruck geben. „Nur wer die Sprachlosigkeit des Totseins kennt, kann die Sprache des Schmerzes verstehen“, schreibt sie.

Barbara Wiesener erzählt von ihrer neuen Liebe und wie schwierig es ist, das Leben als Mutter von sechs Kindern und das in der neuen Partnerschaft gleichzeitig zu bewältigen. Immer wieder schwappen die Erinnerungen an den verlorenen Mann hoch. Und doch versucht sie, der eigenen Stimme folgend angstfrei zu leben. Das ist ihre Hoffnung. Sie will stark sein, sich nicht bedauern lassen, für ihre Kinder Halt sein. Und auch für Martin, den neuen Mann, der wie sie den Tod eines geliebten Menschen zu verkraften hat. Seine Frau starb mit 44 Jahren an Krebs, im gleichen Alter wie der Mann von Barbara Wiesener.

Auch bei „Wege aus dem Gartenhaus“ haderte Barbara Wiesener lange mit der Veröffentlichung. Zu privat erschienen ihr die niedergeschriebenen Gedanken. Doch gerade diese ungefilterte Nähe, der Ausdruck des Moments, machen die Stärke auch dieser Veröffentlichung aus. Zumal sie in ihrem ganz individuellen Zuschnitt auch Zeitgeschichte spiegeln.

Manchmal träumt sie sich weg von ihrem Gartenhaus in der Lennéstraße, hin zu einem gemeinsamen Wohnen mit Martin an einem neuen Ort, wo sie beide dem Schatten des Todes entfliehen. Dann sind sie wieder froh, dass sie auf Altvertrautes zurückgreifen können.

Barbara Wiesener schreibt, wie ihre Haut spannt und schmerzt, Spuren des hektischen Lebens im Scheitelpunkt einer großen Familie trägt. Sie verordnet sich eine Auszeit, fährt das erste Mal ganz allein in die Ferne, ans Tote Meer. Mit archaischer Langsamkeit bewegt sie sich unter der Wüstensonne, versucht, nur in sich selbst zu versinken. Doch die Familie bleibt präsent, auch hier in Israel. Natürlich muss sie anrufen, hört von der verhauenen Klausur ihres Sohnes Constantin, von dem geklauten Fahrrad ihrer Tochter Hanna. Eben vom ganz normalen Alltag, vom ganz normalen Wahnsinn, den Familie mit sich bringt. Und den sie nicht missen möchte.

Manchmal zieht die frühere Chemikerin, die nach dem Tod ihres Mannes Germanistik und Kunstgeschichte studiert hat, in ihren Aufzeichnungen sehr weite Kreise. Sie schreibt über die Atombombe, die der französische Präsident Chirac vor den Augen der Weltöffentlichkeit 1995 auf dem Mururoa-Atoll zünden ließ, streut Artikel ein, die sie für die Potsdamer Neuesten Nachrichten schrieb: über Lesungen, Ausstellungen, über Menschen, die sie in ihrem Denken und Fühlen mitrissen.

Ihre „Wege aus dem Gartenhaus“ sind kurvenreich: zwischen Aufwärtsflattern und Sturzflug.Heidi Jäger

Lesung aus „Wege aus dem Gartenhaus“ am Donnerstag, dem 23. Mai, 19 Uhr, in der Stiftungsbuchhandlung, Gutenbergstraße 71/72, Eintritt drei Euro

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