Kultur: In Bedrängnis
Jürgen Noltes Buch „Die Schlacht bei Wilhelmsthal“
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„Vae victis!“ warnten schon die alten Römer: Wehe den Besiegten! Ganz in diesem Sinn war es natürlich eine Demütigung sondersgleichen, als der fremdländische Sieger von einer Stadt, die schon x-tausende Soldaten zu logieren und mit Braten und Wein zu beköstigen hatte, auch noch eine „Willkommenssteuer“ verlangte. So geschah es dem hessischen Cassel im August 1758 bei einer von vier Besetzungen durch die Franzosen. Im Weigerungsfall wurden Plünderungen, Haft mit Wasser und Brot am zweiten Tag, Geiselnahme oder gar der Galgen angedroht. Die Truppen Ludwig XIV. waren nicht fein, wenn es darum ging, dem aufstrebenden Preußen und seinen Verbündeten mitten im Siebenjährigen Krieg von 1756 bis 1763 möglichst viel Schaden zu tun. Es hatten sich fast alle Großmächte Europas – Frankreich, Österreich-Ungarn, Russland, Schweden und auch deutsche Truppen aus Sachsen, Württemberg und der Pfalz – gegen die Machtgelüste Friedrich II. zusammengetan. Mit und für ihn fochten nur England, Braunschweig, Englisch-Hannover und Hessen-Kassel. Wie wichtig eine stabile Westfront für den bedrängten König, aber auch für den Ausgang dieses Krieges selber war, schildert Jürgen Nolte in dem gerade erschienenen und hervorragend illustrierten Buch „Die Schlacht bei Wilhelmsthal“.
Die Tapferkeit hessischer Truppen war ja schon vor Lebzeiten Friedrich II. legendär. Ende des 17. Jahrhunderts sorgten sie dafür, dass die Gebiete an Mittelrhein und Mosel nicht an Frankreich fielen. Fridericus konnte sich auf sie verlassen, wie sein Ausspruch „Ihr Hessen traget das Urbild des Kriegers in Euch selbst!“ von 1762 belegt. Tapferkeit und Bündnistreue waren angesichts der immer wieder anrennenden Franzosen auch nötig. Ihr Hauptfeind saß nicht in Potsdam, sondern in London, und es ging auch nicht um Schlesien, sondern um Kolonien, die von Nordamerika bis nach Ostindien reichten. Anders als den Briten fehlte Frankreich jeder Mann, der in Hessen, und nicht in den Urwäldern Louisianas kämpfte. Auch für den bedrängten Fritz ging es um viel: Hielten die Hessen im Westen nicht stand, wäre ein Zweifrontenkrieg unvermeidlich – und also alles verloren gewesen.
Jürgen Nolte erzählt in kurzen Kapiteln, wie sich Herzog Ferdinand von Braunschweig und die Seinen immer wieder gegen den Gegner behaupten konnten, wie militärische Fehler auf beiden Seiten die Lage ständig veränderten. Wie das gebrandschatzte und ausgeplünderte Land letztlich zur „Hessischen Wüste“ wurde. Und wie die Schlacht bei Wilhelmsthal nahe Cassel am 24. Juni 1762 die feindlichen Koalitionsarmeen endgültig vertrieb. Mitte Februar 1763 wurde der Siebenjährige Krieg durch Friedensverträge beendet. Die Folgen dieses blutigen Waffengangs waren kolossal: Preußen stieg zum dominierenden Staat in Deutschland auf, die Engländer setzten sich gegen den französischen Konkurrenten als führende Kolonialmacht durch – und das alles nur, weil die Hessen mal wieder „auf das Hartnäckigste gefochten“ haben. Gerold Paul
Jürgen Nolte: Die Schlacht bei Wilhelmsthal. Der Siebenjährige Krieg in Nordhessen. Wartberg-Verlag, 12,90 Euro
Gerold Paul
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