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Kultur: Innenansichten

Druckfrisch: „Spur der Steine“ – Zeitzeugen berichten über die DEFA

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Für Egon Günther war die DEFA die „Nährmutter“. Rainer Simon erinnert sich hingegen an Jahre, in denen er verdammt gelitten hat. Karl Heinz Lotz wiederum sagt: „Die DEFA war für mich das Größte.“ Die Reflexionen der Regisseure sind unterschiedlich – gerade aus dem Rückblick heraus, wo selbst der politische Holzhammer in einem anderen Licht erscheint. „Weil heute wirklich alles schlimmer ist, in jeder Weise des Produzierens von Film“, so Rainer Simon.

Das von Ingrid Poss und Peter Warnecke zum 60. DEFA-Jubiläum im Ch. Links Verlag Berlin herausgegebene Buch „Spur der Filme“ lässt Zeitzeugen sprechen. Ging es in dem großen Nachschlagewerk „Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg“ (Henschel-Verlag) um die Sicht von außen, geht es nun um die Innenansichten von mehr als 70 Betroffenen. Drei Jahre arbeiteten die Herausgeber an diesem rund 560 Seiten dicken Lese-FotoBuch. 400 Stunden Bandaufnahmen mit Gesprächen, die die DEFA-Stiftung, Zeitzeugen TV und das Filmmuseum Potsdam zur Sicherung der Erinnerungen mit Filmemachern seit 1992 führten, lagen ihnen vor. „Entstanden ist daraus nun ein Buch über den DDR-Alltag. Die DEFA war zwar ein besonderer Betrieb, aber er war auch wie jeder andere. Man musste findig sein, um das machen zu können, was man wollte. Die DDR war ja die reine Schwejkiade“, so der Filmmuseums-Mitarbeiter und Soziologe Peter Warnecke. „Dieses Almanach ist eine Rückschau ohne Melancholie. Die meisten Befragten reflektieren sehr deutlich: Sie benennen die Restriktion, aber auch ihre privilegierte Position, die sie hatten. So wie bei der DEFA konnte niemand auf der Welt Filme machen. Die Regisseure bekamen Geld, ob sie gearbeitet haben oder nicht. Und sie konnten sich auch ihre Besetzung aussuchen. Als der Schauspieler Michael Gwisdek in seiner ersten Regiearbeit mit dem Kameramann nicht klar kam, schmiss er ihn eben einfach raus. Das ist heute undenkbar“, so Warnecke.

Andererseits habe es keine klaren Grenzen gegeben. „Der Autor Peter Hacks sagte einmal zum Politbüromitglied Kurt Hager: ,Ein Land mit schlechter Kulturpolitik ist ein Unglück. Aber ein Land ohne Kulturpolitik ist ein noch viel größeres.“ Es herrschte die blanke Willkür: Wurdest du heute für eine Sache gelobt, konntest du dafür morgen Dresche beziehen.“

Dafür steht auch der im Buch abgedruckte „Vaterbrief“, der im November 1981 auf Seite 2 der SED-Zeitung „Neues Deutschland“ erschien. Darin schrieb der „Leser“ Hubert Vater, Mechaniker im VEB Kraftverkehr Erfurt, dass er die großen Erfolge des Sozialismus in den DEFA-Filmen vermisse. „Dieser Brief wurde vermutlich von Erich Honecker höchstpersönlich geschrieben“, so Warnecke. Jedenfalls bekam man danach in den Studios „Muffensausen“ und legte nicht nur Rainer Simons „Jadup und Boel“ auf Eis.

Es habe auch Querelen mit den jungen Regisseuren gegeben, nicht nur politisch. Bei den 17 Kino-Filmen pro Jahr standen zumeist die Altvorderen in der ersten Reihe. Regisseur Peter Kahane erinnert sich: „Das Generationsproblem war immer da, seit der Gründung der DDR, seit sich damals zwei Generationen so merkwürdig verbrüdert haben und für das Leben der DDR eine wahnsinnige Rolle spielten. Damit wurde der Vertrauensvorschuß für die nachfolgenden Generationen immer geringer Das Misstrauen war so offenkundig.“

Das Buch endet nicht mit dem „Filmriss“, als die DEFA abgewickelt und der französische Konzern Vivendi mit dem Geschäftsführer Volker Schlöndorff in Babelsberg Einzug hielten. „Es gab Leute wie Michael Gwisdek, die die Illusion hatten, dass nach dem Mauerfall alle deutschen Filmschaffenden nach Babelsberg kommen würden. Auch Schlöndorff, der von Ex-DEFA-Kollegen als Abwickler angefeindet wurde, hatte die Situation lange falsch eingeschätzt“, so Warnecke. „Schlöndorff wollte den Standort erhalten und sprach mit allen Produzenten. Doch die sagten nur: ,Was sollen wir dort?““ Im Interview mit dem Regisseur ist zu lesen: „Es war doch in München eine ausgemachte Sache: Bulldozer hinschicken und das Studio plattmachen.“ Und in Tempelhof, Hamburg und Köln sei das nicht anders gewesen. „Insofern betrachte ich es als ein Wunder, dass das Babelsberger Studio so gut ausgerüstet hier steht, und bedaure nichts“, so Schlöndorff. Auch mit Carl Woebken führten die Herausgeber ein Interview. „Der heutige Gesellschafter ist frei von künstlerischen Ambitionen und messianischen Gebahren. Aber die Zeit braucht Kaufleute, die den Markt kennen“, betont Warnecke. In jedem Fall hätte es nach der Wende eine deutliche Umstrukturierung geben müssen. Es gebe zwar nicht mehr die DEFA, aber wenigstens noch den Standort.

„Die Ateliers, in denen Marlene ihre hübschen Beine übereinanderschlug, sind menschenleer, wenn nicht gerade ein- bis zweimal jährlich der Hollywood-Zirkus dort Station macht“, schrieb Filmmuseumschefin Bärbel Dalichow im Vorwort. Aber immerhin interessieren sich noch Leute bis nach Amerika für den „Geist des Ortes“. Heidi Jäger

Ch. Links Verlag, „Spur der Filme“, 24,90 €

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