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Kultur: Interieurs zur Erinnerung

Erster Bestandskatalog der Möbel der preußischen Schlösser erschienen

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Die Suche nach einem Nationalstil war Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland sehr ausgeprägt. Vom Wartburgfest der Studenten-Burschenschaften (1817) über eine einheitliche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche (1858) bis zur Reichsgründung 1871 waren die deutschen Staaten mit der Bildung einer eigenen Identität beschäftigt. Man diskutierte auch darüber, welche Außenarchitekturen und Interieurs eigentlich deutsch im übergreifenden Sinne seien. Man wählte die Gotik als den eigentlich deutschen Stil. Damit ging eine Verklärung des deutschen Mittelalters einher. Es störte dabei wenig, dass sie eine französische Erfindung war.

Der preußische König Friedrich Wilhelm IV., der „Romantiker auf dem Thron“, war ein leidenschaftlicher Verehrer jener längst vergangenen Zeit. Das Jagdschloss Letzlingen in der Colbitz-Letzlinger Heide, das Schloss Erdmannsdorff bei Hirschberg oder das Schloss Stolzenfels über dem Rhein ließ der König umbauen und teilweise mit neuem Mobiliar ausstatten, in neugotischen Formen. Auch für seinen Bruder, dem späteren Kaiser Wilhelm I. und dessen Frau Augusta wurde ein Schloss erbaut, das dieser Architektur verpflichtet war, hier aber der englischen Castle Gotic: das Schloss Babelsberg.

Über die Geschichte des Interieurs dieser Sommeresidenz und anderer Schlösser kann man sich nun von dem neuen Bestandskatalog der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg in Kenntnis setzen lassen. Unter der Leitung des Kunsthistorikers Jörg Meiner hat ein Team (Afra Schick, Ulrike Eichner und Marc Heincke) die Möbelsammlung des Spätbiedermeier und des Historismus wissenschaftlich aufgearbeitet und dokumentiert. Der umfangreiche Bestandskatalog „Möbel“ (Akademie Verlag Berlin) ist die erste Veröffentlichung in dieser Reihe, vier weitere über den umfangreichen Möbelbestand aus dem 18. und 19. Jahrhundert sollen folgen.

In zwölf Gebäude – Schlösser, Aussichtsturm und Kirche – führt der Katalog, in solche, die der Zweite Weltkrieg zerstörte bzw. in die, die einer neuen Nutzung zugeführt wurden. Für das malerische Schloss Babelsberg hat Augusta – noch als Prinzessin – die Formen der Möbel selbst bestimmt. In einem zeitgenössischen Beitrag über die Baugeschichte des Schlosses heißt es, dass „Ihre Königl. Hoheit, die Frau Prinzessin Wilhelm, die Zeichnungen zum Theil Höchstselbst entworfen, zum Theil aus englischen Werken diejenigen Verzierungen angewiesen, welche sich, dem Geschmack der ganzen Anlage entsprechend, darstellten. Sie sind das ohne Ausnahme im altdeutschen Styl“.

Die Neugotik barg aber auch ein Problem: im Mittelalter hatte es die verschiedenen Möbeltypen noch gar nicht gegeben, auf die man jetzt nicht verzichten wollte. Weder gab es in der Gotik gepolsterte Sitzgruppen noch Schreibtische oder Vitrinenschränke. Deshalb blieb nun als Lösung jeweils ein moderner Rahmen, dem gotisierende Formen aufgesetzt wurden. Ausführlich beschreibt Jörg Meiner die einzelnen Möbel, berichtet über ihre Geschichte und kommentiert sie.

Auch dem Rokoko galt König Friedrich Wilhelms IV. Aufmerksamkeit. Geleitet wurde der Geschmack des Monarchen und seiner Nachfolger wohl auch von der Referenz an Friedrich dem Großen. Friedrich Wilhelm IV. bewohnte unter anderen das Schloss Sanssouci, also die selben Räume wie sein berühmter Vorgänger. Darum ist es nicht überraschend, dass die Appartements im Hofdamenflügel des Sanssouci-Schlosses sowie in der neuen Orangerie im Neo-Rokoko-Stil gestaltet wurden. Zu den „reizendsten Cabinetstücken im Rokokogeschmack, die man sich nur denken kann“, gehört der Hofdamenflügel, wie man in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts bemerkte. Trotz der hervorragenden Kunst der Handwerker, denen man in Berlin, Potsdam oder auch in Paris Aufträge erteilte, wirkt manches Möbel schwerer als die feingliedrigen aus dem 18. Jahrhundert.

Das für die preußische Kunstgeschichte wichtige Buch – mit 266 Beschreibungen – macht mit dem aktuellen Restaurierungsstand der Möbel bekannt und zeigt auf den Fotografien ihr heutiges Erscheinungsbild. Auf historischen Aufnahmen, Aquarellen und Zeichnungen wird die Wohnkultur der preußischen Herrscher sichtbar, die neben der kühlen Repräsentanz auch immer Wohnlichkeit in den privaten vier Wänden suchten.

Jörg Meiner, Möbel des Spätbiedermeier und des Historismus, Bestandskatalog, Akademie Verlag Berlin, 128 Euro.

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