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Von Gerold Paul: Intime Bildergroßveranstaltung

Mit „Open Art Space“ feierten 30 Künstler die Alte Brauerei als Potsdams mögliche Kunsthalle

Stand:

Natürlich hat der überlebensgroße Kamenzer und Erz-Aufklärer Lessing völlig Unrecht, wenn er den Endzweck der Wissenschaft Wahrheit, den der Kunst aber Vergnügen hieß. „Open Art Space“, die etwas andere Ausstellungs-Art in Potsdams Alter Brauerei auf dem Brauhausberg, zeigt das genaue Gegenteil. Dreißig Künstler aus sieben Nationen teilten sich eine kurze Woche lang zwanzig Räume mit fünfhundert Quadratmetern über zwei Etagen, allesamt der Ansicht, Kunst zu machen, nicht etwa nur ein Werk, das Kunst erst zeugt im Menschen. Am Sonntag hatten sie zum letzten Ausstellungstag geladen.

Ob die Bildreichen nun aus Berlin oder Wien kamen, aus Costa Rica oder Frankreich, aus Hamburg oder Griechenland, sie alle waren des Lobens voll. Nicht unbedingt ob der immer deutlicheren Verbürgerlichung Potsdam, das möglichst ohne Mal und Fehler, dafür ganz zum Vergnügen, dasein möchte. Eher beeindruckte sie die gute Organisation dieser fast intimen „Bildergroßveranstaltung“, ihr Flair, und die vielen Begegnungen und Gespräche mit den Leuten: Hat es das Publikum nötig, so die Künstlerschaft auch!

Birgit Ginkel, Silvia Kindermann, Sabine Burmester und Steffen Blunk mögen stellvertretend für alle Künstler stehen, die hier zu handeln und zu händeln hatten. In einer Brauerei gehören Malz und Hopfen einfach zusammen, da war nichts entbehrlich, am Fuß vom Brauhausberg. Nun ist das mit der Kunst so eine Sache. Sie ist, und ist auch nicht, und wenn, dann selten zum Vergnügen. Die teils explosive, teils sehr akademische Ausstellung zeigte sogar die Entbehrlichkeit dieses Begriffs. Was sich da so opulent präsentierte, behandelte doch einfach nur Korrespondenzen zwischen Außenwelt und Innensein und ihrer Darstellung für den Moment.

Der Berliner Thomas Knof zum Beispiel setzte sich schon als Sozialarbeiter mit psychisch Kranken auseinander und malte ihr Innen außen. Eine ganze Zimmerwand voll verstellter Gesichter, jenseits aller Ästhetik. Gruselig schon diese „Lady Macbeth“. Christa Odenkirchen ging es ähnlich. Sie macht Workshops in einer hessischen Justizvollzugsanstalt. Siebenmal fallen Türen ins Schloss, bevor sie ihren Arbeitsraum erreicht. Das drückt die Seele, das muss wieder raus, deshalb strahlen ihre Bilder eine solche Intensität, Tiefe und Kraft. Auch Johanna Drechsler befördert Ihr Inneres ans Licht, aber das ist meist pinkfarben, formlos und freundlich. Eines dieser Bilder heißt „Gedanken“. Unverkäuflich, steht daneben. Mit Eisen, Rost und Bitumen machte Heiko Bartl den „Blauen Vogel“ seines Alter Egos sichtbar, zog auch all seine „Schwarzen Morgen“ hervor. Einfach stark!

Julika Achtzigs Strick- und Gespinst-Künste erreichten nach Tagen den Flur. Sie gab bereitwillig zu, immer nur Selbstbildnisse zu fabrizieren: Eines davon saß seit Tagen in der Zimmerecke und sponn sich wortwörtlich in einen Kokon. Was da wohl rausgekommen wäre? Immer wieder hörte man wahre Lobeshymnen der Künstlerschaft über „Open Art Space“ Numero Eins. Alle waren bereit, von Collego und Collega zu lernen, oft mit dem kleinen Trotz, dass jeder Mensch anders ist. Und wie!

Die temperamentvolle Junggriechin Maria Papadopoulou schuf Animationsfilme auf der Grundlage eigener Grafiken, ließ Schemen darin schweben, malt auch bunt und schön auf Seide. Charlotte Ottwald aus Wien sucht dem Erdenlehm kunstvolle Gestalt abzugewinnen, Birgit Ginkel will den Betrachter in einer neunteiligen Arbeit behufs kostbarer Steine und Metalle heilen. Die Costa-Ricanerin Maria Luisa Herrera Rapela aber staunte, als sie das erste Mal treibende Eisschollen sah. Befragt, was sie denn von daheim mitgebracht hätte, antwortete sie spontan: „Die Farbe!“ Deshalb sind bei ihr Schollen-Eis und Herbstlaube so bunt, wie ein Heimischer es niemals sähe.

Malerei, Grafik, Objektkunst, Fotografie, sogar ein Großbild zum Weitermalen, alle Stile, alle Welten, alle Erfahrung, alle Emotion brauten sich hier zusammen. Ein Ort der Gärung! Die mit echtem Blut gestaltete Installation von Steffen Blunk sowieso. Seine Stacheldraht-Szene mit Soldaten- und Uniformfetzen, die im Sande treibenden Ehrenkreuze der Bundeswehr fürs Heldsein in Afghanistan zeugte großen Widerhall. Alles Bürgerliche sucht mit Lessing Ruhe und Vergnügen. Die Wahrheit aber sucht sich selbst. Unruh schafft sie, Schmerzen bringt sie, wie im Kranksein dieser Welt. Vor diesem Hintergrund waren sie alle zufrieden, auch die Akademischen. Mancher hat erst hier erfahren, dass Gespräche über Kunst oft viel wichtiger sein können als diese selbst.

War da in den vergangenen Jahren nicht immer mal wieder die Rede von Potsdams eigener Galerie, einer Kunsthalle gar? Wo Malz & Hopfen so gut korrespondierten, wäre doch, so zeigte trefflich „Open Art Space“, dafür der Ort.

Gerold Paul

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