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Kultur: Italien, eine Wüste für modernen Tanz

Roberto Castello räumt in seinem preisgekröntes Stück der Gegenwart den ihr gebührenden Platz ein

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Roberto Castello räumt in seinem preisgekröntes Stück der Gegenwart den ihr gebührenden Platz ein Wenn sich Roberto Castello an das erste Tanzfestival in Potsdam zurück erinnert, bekommen seine dunklen Augen einen noch wärmeren Glanz. „Damals unternahm die fabrik in einem herunter gekommenen besetzten Haus ihre ersten Schritte und im Keller gab es Hardcore- und Punk-Konzerte. Übernachtet haben wir zwischen irgendwelchen komischen Maschinen und unter kaputten Fenstern. Alles war wild und dunkel, aber wir waren mitten unter Freunden und alles war in Bewegung. Eine schöne Erinnerung.“ Roberto Castello ist seinen Potsdamer Freunden über die Jahre treu geblieben, zog mit ihnen an neue Orte. Wenn er heute sein Stück „Die Form der Dinge“ in Potsdam zur deutschen Erstaufführung bringt, erzählt der Italiener auch etwas über sich und die Situation seiner Company, die froh wäre, endlich ein eigenes Dach über dem Kopf zu haben. Der in Lucca lebende Choreograf steckt inmitten eines großen, zehnteiligen Projektes, das sich an dem Leibniz-Zitat „Die besten aller möglichen Welten“ reibt. „Während Leibniz die Existenz Gottes damit beweisen wollte, hielt ihm der ungläubige Voltaire entgegen: ,Wenn das die beste aller möglichen Welten ist, dann möchte ich erst die übrigen sehen.“ Voltaire setzte auf den Geist und die Intelligenz der Menschen, um die Welt durchaus verändern zu können und nicht Kriege, Vergewaltigungen, Naturkatastrophen von Gott gewollt einfach hinzunehmen.“ Dieser Gelehrtendisput kam Castello in Erinnerung, als er bei dem Antiglobalisierungsprotest in Genua den Spruch las: „Eine bessere Welt ist möglich.“ Eine andere Inspiration für sein Projekt sei die gigantische Wahlkampfmaschine von Berlusconi gewesen. „Er streute immer wieder die Nachricht in die Welt, dass sowieso alles schöner werde, sei erst einmal er an der Macht. Seitdem wird der Leibniz-Satz von den Italienern meist sehr ironisch und kritisch verwendet.“ Sein Stück habe aber auch einen ganz konkreten, auf den zeitgenössischen Tanz zugeschnittenen Background. „Die Vertreter dieser Kunstrichtung leiden in Italien an der Last der Vergangenheit, am enormen Reichtum von Kunst und Denkmälern. Sie nimmt nicht nur in den Köpfen, sondern auch im Budget des Landes einen Riesenplatz ein. Allein die Oper frisst rund 60 Prozent des Budgets für Darstellende Kunst. Den Rest müssen sich Musik, Tanz, Film und Theater teilen. Ich habe durchaus großen Respekt vor der Vergangenheit, aber man kann nicht die Gegenwart töten, um die Vergangenheit leben zu lassen.“ In Castellos Tanz-„Epos“ wird nun die Gegenwart das Sagen haben. Der erste, in Potsdam gezeigte Teil widmet sich dem sozialen und politischen Leben. Wie bricht man aber so ein komplexes Thema auf einen Tanzabend herunter? Castello hält es da mit Eisenstein. „Ich entwickelte eine Art Collage, zu der sich die Zuschauer ihre ganz eigenen Geschichten erzählen können. Im Hintergrund ist eine große Videoprojektion mit einer Uhr, die jede Minute einen Gong ertönen lässt. Und jede Minute startet auch auf der Bühne eine neue Aktion. Auf dem ersten Blick mag keine Verbindung zwischen diesen Aktionen bestehen, aber da ist eben die Fantasie als Mittler gefragt. Unser Stück ist wie ein Weg mit vielen Abzweigungen. Wir zeigen ganz einfache Aktionen, nichts Überladendes und keinesfalls Belehrendes.“ Die bisherigen Reaktionen seien sehr unterschiedlich gewesen: „Manche sind begeistert, andere verdutzt, und wem es nicht gefällt, der sagt sowieso nichts.“ Die Kritiker im eigenen Lande verstummten zum Glück nicht. Sie sprachen dem Stück einen Preis zu, der vergleichbar sei mit einem Oscar für Darstellende Kunst. Vielleicht hilft ihm ja diese Auszeichnung, wenn Castello im Anschluss an die Potsdamer Tanztage nach Rom reist, um in den Ministerien Zuschüsse zu erkämpfen. Denn schließlich seien erst fünf der zehn Teile seines Projektes realisiert. „Allerdings werde ich mich dabei nicht verkaufen. Man muss als Künstler ehrlich bleiben, auch beim Gang zu den Politikern. Ich bin nicht für Kompromisse, eher ein Kämpfer und Sturkopf. Das wissen alle. So ist mein Image, auch wenn das den Beziehungen nicht immer dienlich ist.“ Roberto Castello schreckte auch nicht davor zurück, die Region Toscana zu verklagen, weil seine Company drei Jahre keine finanzielle Unterstützung erhielt. „Inzwischen haben wir großen Respekt voreinander.“ 39000 Euro bekommt seine 1990 gegründete Company jährlich von der Region, hinzu kommen 39000 Euro vom Staat. „Doch allein für die Löhne brauchen wir schon 130000 Euro.“ An einen eigenen Proben- oder gar Aufführungsraum sei da nicht zu denken. „Wir proben mal in einer Tanzschule, mal in einem Theater, ziehen herum wie Zigeuner. Tag für Tag müssen wir um unseren Platz in der Kulturlandschaft kämpfen.“ Dennoch sieht Roberto Castello seinen Platz in Italien, obwohl inzwischen viele seiner Kollegen, die mit ihm vor 20 Jahren den zeitgenössischen Tanz ohne jede Wurzel förmlich aus dem Boden stampften, anderswo ihre Zelte aufschlugen. „Viele haben sich dem Kommerz ergeben, schwimmen mit im Mainstream.“ Während sich in den 20 Jahren von Seiten der nationalen Politik so gut wie gar nichts geändert habe, sei wenigstens das Publikum in manchen Orten mitgewachsen. „Es gibt aber auch Orte, wo wir das Gefühl haben, im Ausland zu sein. An Nachwuchsarbeit ist bei diesen Bedingungen kaum zu denken. Allerdings wohne ich in der Provinz, und sehe nicht sehr viel von anderen Arbeiten.“ Das Festival gebe die Möglichkeit, wenigstens einen kleinen Eindruck zu bekommen, was international im Tanz geschieht. „Doch wir sind nur eine kurze Zeit hier, mehr ist wirtschaftlich nicht drin.“ Roberto Castello zeigt sein Stück „Die Form der Dinge“ erstmals in Deutschland. „Ich hoffe, dass das Publikum einen Bezug dazu bekommt.“ Er selbst habe jedenfalls bei der Arbeit nicht nur Italien vor Augen gehabt, sondern die Gegenwart weltweit. „Grenzen sind ohnehin nicht mehr so relevant.“ Heidi Jäger

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