Kultur: Kafkas neue Kleider
Ausstellung von Volker März im KunstHaus
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In Realität sind sie überraschend klein: die bemalten Figuren von Volker März aus gebranntem Ton. Von den Fotos her hätte man sie sich größer vorgestellt, diese eigenartigen, irgendwie monströsen Geschöpfe mit ihren gigantischen roten Ohren und geröteten Körperöffnungen, halb Mann, halb Frau, halb Frau, halb Mann. Ganz offensichtlich sind sie alle miteinander verwandt, Spielarten ein und desselben Prototyps.
In der Ausstellung „Kafkas neue Kleider“ im KunstHaus übernehmen sie die Rolle von Franz Kafka, der seinem 1924 erlittenen Tod an Tuberkulose zum Trotz in Potsdam zum tragischen Helden eines artifiziellen Stationendramas wird. Autor, Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner und Puppenspieler dieses Figuren-Ensembles in Personalunion ist der Berliner Bildhauer, Installationskünstler und Performer Volker März.
Nachdem er in den vergangenen Jahren bereits vielfältige Kunstinstallationen und Performances zu anderen Geistesgrößen, unter ihnen Friedrich Nietzsche, Heinrich von Kleist, Walter Benjamin und Hannah Arendt inszeniert hat, ist nun Kafka an der Reihe. Die Arbeit an dem ausschweifenden Figurenarsenal Franz Kafka zu Ehren begann im Mai und hat, wie man sich im KunstHaus überzeugen kann, bereits wilde Blüten getrieben. Zu erleben ist unter anderen wie Kafka in Gaza Affen rettet, wie Kafka muschelt, wie er Rotpeter rettet, wie er auf einem zu langen Bein tanzend verblüht, wie er immer wieder Blut hustet, die Klagemauer besucht (auch in Jerusalem war er schon!) und seinen Ausgang sucht.
Nun also Kafka in Potsdam. Potsdam ist nur eine Zwischenstation, denn: Franz Kafka befindet sich aktuell auf der Durchreise. Sein Auftrag: rudern. Das Ziel: Palästina. So die Regieanweisung. Auch wenn einem der tiefere Sinn verborgen bleibt. Vielleicht hilft da der Song „ruderjude“, der in regelmäßigen Intervallen geräuschvoll vom Tonband läuft und als dichter Klangteppich unsere akustische Wahrnehmung penetriert (Musik: Bernadette La Hengst, Text: Volker März). Der genaue Wortlaut ist auf einem Wandzettel nachzulesen. Der Skurrilität sind keine Grenzen gesetzt.
Biographisches (Kafka) und Autobiographisches (März), Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Fiktion vereinen sich in dem in Potsdam überhaupt erst beginnenden und auf Längerfristigkeit hin angelegten Kafka-Projekt zu einem raumfüllenden Panoptikum aus kafkaesken Figuren, aufwendig arrangierten „Kafka“-Fotos und fiktiven Mitteilungen Franz Kafkas an seinen Schöpfer Volker März.
Für den kunstinteressierten Ausstellungsbesucher mit oder ohne Kafka-Vorkenntnisse stellt sich angesichts eines derartigen Gesamtkunstwerks unweigerlich die Frage, warum sich der bekanntermaßen gesellschaftskritische Künstler Volker März mit solcher Inbrunst an Kafka abarbeitet. Bezeugen diese eigenwilligen Kopfgeburten und Kreaturen des Künstlers Faszination an der Schriftstellerpersönlichkeit Franz Kafka oder ist es am Ende nicht mehr als eine kreative Nabelschau? Die „Ästhetik“ und Präsentationsform, die Volker März gewählt hat, um die Zerrissenheit seines Helden und gleichzeitig Anti-Helden zu verkörper(liche)n, geht stellenweise hart an die Grenze der Geschmacklosigkeit und wirkt in mehrfacher Hinsicht provokativ.
Wenn nun Kunst mit Provokation arbeitet und den Betrachter herausfordert, ist das an sich weder ungewöhnlich noch verwerflich und vom KunstHaus Potsdam nicht zuletzt auch durchaus erwünscht. Allein über die Mittel und Wege lässt sich trefflich „streiten“.
Epilog: Wozu die Ruderei? Und warum Palästina? Für einen Paradiesvogel bin ich nicht gemacht. Schluss mit der Odyssee! (Franz Kafka an Volker März aus Potsdam, September 2007)
Bis 10.Okober, KunstHaus, Ulanenweg 9, Mi-Fr 15-18 Uhr, Sa-So 12-18 Uhr / Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit der Galerie Tammen, Berlin.
Almut Andreae
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