zum Hauptinhalt

Historische Mitte in Potsdam: Kein Platz für die res publica

Über das Spannungsfeld zwischen dem Wiederaufbau der historischen Mitte in Potsdam und der Demokratie im Land: Ein Streifzug über das neue geistig-politische Zentrum Brandenburgs - mit einem Vorschlag zum Republik-Kämpfer Max Dortu.

Stand:

Gut, die Touristen kommen, die Bürger auch. Es gibt deutschlandweit keinen Landtag, der sich derart offen und transparent zeigt, wie der des Landes Brandenburg. Dass dort an der westlichen Fassade trotzig die goldene Schriftapplikation „Ceci n'est pas un château“ prangt, interessiert die wenigsten, es ist nur ein Geschenk an jene, die fremdeln mit der Fassade. Und für die Stadt ist es doch das alte, im Zweiten Weltkrieg zerbombte, später von den SED-Oberen abgerissene Stadtschloss. So sehr prägt es städtebaulich das Entreé zur Innenstadt, wenn man vom Hauptbahnhof über die Lange Brücke schlendert. Wenngleich es auch nicht ganz so originalgetreu wieder dort am Platze steht, wie die größten Wortführer des Wiederaufbaus beklagen.

"Diese Stadt ist ein Marsch und kein Gedicht"

Es gibt auch andere: Tatjana Meisser, Potsdams große Kabarettistin, findet in einem Chanson, obgleich es eine Liebeserklärung an ihre Stadt ist, nichts an den historischen Fassaden, dass alles wieder so hingebaut werde, wie auf einem Gemälde, alles andere als „jung und modern“. Statt etwas Neues zu probieren, „lässt man die langen Kerls marschieren“. Und dann: „Die Stadt steht stramm in Reih und Glied, nichts ist mal krumm, nichts ist mal schief. Es ist ein altbekanntes Lied, es ist der alte Kleinstadtmief. Diese Stadt ist ein Marsch und kein Gedicht.“ Altes Preußenschloss oder demokratischer Landtag, wie denn nun?

Der Alte Markt - ein neues geistig-politisches Zentrum für Brandenburg

Sei es drum: Der Alte Markt entwickelt sich zu einem eigenen, neuen Biotop, zu einem neuen Zentrum, wo sich der Souverän der Brandenburger, die Kirche, aber auch Kunst und Kultur auf engstem Raum berühren. Da das Fortunaportal, der Zugang zum Landtagsschloss, wo Landespolitiker, deren Mangel an Glanz und Überschwang an Selbstlob auf die märkische Bodenständigkeit fast schon legendär ist, aus allen Himmelsrichtungen Brandenburgs die Zukunft dieses schönen, weiten Landes verhandeln. Gegenüber die Nikolaikirche, wo die Landespolitik in ihrem staatstragenden Verhältnis zur Amtskirche für besondere Anlässe höchster Trauer oder symbolischer Selbstvergewisserung der Demokratie – wie der Konstituierung des Landtags – ökumenische Gottesdienste feiert. Dann das Alten Rathaus mit dem Potsdam Museum, daneben der gerade wieder entstehende Palast Barberini an der Alten Fahrt von Hasso Plattner, der Mitbegründer des Software-Konzerns SAP, Milliardär und Mäzen, der der Stadt sein nach ihm benanntes Institut am Campus Griebnitzsee, aber auch die Fassade und das Kupferdach des Schlosses spendierte. Dass ausgerechnet hier Plattner seine mehr als 80 Werke umfassende Sammlung von DDR-Kunst, von Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig, Willi Sitte und Werne Tübke zeigen will, passt nach Brandenburg.

Plattner DDR-Kunst-Sammlung - das passt zu Brandenburg

In dieses Land, das sich länger als die anderen neuen Bundesländer schwer damit tat, sich von der DDR zu distanzieren, das haderte mit dem Bruch, das 20 Jahre brauchte, um selbst einmal der Frage nachzugehen, was da schief lief in den ersten Jahren nach der Wende, etwa beim Umgang mit Stasi-Spitzeln, beim Schweigen, beim organisierten Vergessen. Der frühere Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) erklärte es einmal mit der Identität: Brandenburg hätte im Gegensatz zu den anderen Ländern diese erst für sich gewinnen müssen. Deshalb suchte man keinen radikalen Abstand zu den Jahren, zur Geschichte davor, keinen Bruch. Deshalb auch die Rede von der „kleinen DDR“?

Noch sind sie sichtbar, die Spuren aus deutscher Diktaturgeschichte

Hier also, an Potsdams altem, neuem historischen Zentrum wird all das verhandelt, Geschichte, Gegenwart und Zukunft dieses Landes. Noch ist es eine Abwechslung für das Auge, wenn man aus der Enge des Alten Marktes fort zum Steubenplatz geht, wo der Blick sich plötzlich frei auf das Weite wenden kann, das Mercure-Hotel, nebenan der Lustgarten, im Rücken die Reste der Fachhochschule, die bröckelnde Fassade des ehemaligen Instituts für Lehrerbildung. Noch sind sie sichtbar die historischen Brüche des Ortes, die Spuren aus deutscher Diktaturgeschichte. Nicht mehr lange aber. Dann fällt die Fachhochschule, an den Ecken entstehen Leitbauten mit historisierender Fassade, dazwischen Moderne.

Kolonnaden auf dem Steubenplatz - die res publica wird eingeengt

Und auf dem Steubenplatz sollen im Jahr 2016 wieder die Ringerkolonnaden an ihrem alten Platz stehen. Nicht ganz, aber ein bisschen. Auch hier stößt die Wiederherstellung an die Grenzen des Faktischen. Zwischen Schloss und Kolonnaden bleibt eine Lücke, der Grund ist ganz banal: Es braucht Platz für die Feuerwehr.

Als die Potsdamer Stadtpolitik schon 1990 die behutsame „Wiederannäherung an den historischen Stadtgrundriss“ beschloss, wird sie kaum im Blick gehabt haben, welche Rolle dieses neue Zentrum für das gesamte Land einmal spielen wird. Vor allem nicht, dass sich dort regelmäßig die Bürger versammeln zu Demonstrationen.

Die Architektur des Royal gegen den Platz für die Republik

Genau das aber geschieht und ist Alltag im politischen Potsdam. Regelmäßig führen Demonstrationszüge durch die Stadt und enden am Steubenplatz oder auf dem Alten Mark. Oder Volksinitiativen übergeben am Fortunaportal ihre gesammelten Unterschriftenliste an die Landtagspräsidentin Britta Stark. Andere wiederum halten einfach nur Kundgebungen ab. Wobei sich der Alte Markt oftmals, besonders für die großen Proteste, wie zuletzt im Frühjahr bei den für mehr Gehalt demonstrierenden Erziehern, als zu klein erwies. Oder das Fest nach der Kundgebung von Parteien und Gewerkschaften zum 1. Mai, ein politisches Volksfest, direkt neben dem Landtag, auf dem Steubenplatz.

Dieser Platz nun wird bald wieder zerschnitten von den alten Kolonnaden. Wo sich das Volk seinen Platz suchte, um die Mächtigen zu kritisieren. Die Architektur des Royalen wird ihn wieder verengen, den Platz für die Republik.

Ironie der Geschichte: Fassaden des Absolutismus umfassen die res publica

Denn genau das ist dieser Raum in der Stadt – die res publica Brandenburgs, der Ort für die Öffentlichkeit, an dem die Bürger selbst das Politische öffentlich verhandeln, indem sie den Mächtigen frei ihre Meinung sagen, die Verhältnisse anprangern können.

Es ist eine Ironie der Geschichte: Die res publika, die in ihrer Ideengeschichte der Neuzeit Gemeinswesen und Gemeinwohl verkörperte, war stets gegen die Monarchie gerichtet. In Potsdam jedoch wird sie nun eingerahmt und bald sogar eingeengt durch den Wiederaufbau von Fassaden einer seit Jahrhunderten vergangenen Epoche, ausgerechnet mit dem achritektonische Erben des Barock, also der Kunst des Absolutismus – Preußen!

Warum nicht den Platz nach dem Republikaner Max Dortu benennen?

Erinnert sei an dieser Stelle an Max Dortu, den Wortführer der republikanischen Revolution von 1848/49, jener der vielen gescheiterten deutschen Revolutionen. Dortu bezahlte für sein Eintreten gegen das absolutistische Preußen, gegen staatliche Willkür und Unterdrückung, für Demokratie, für Pressefreiheit, Rede- und Versammlungsfreiheit mit dem Leben. Sollte nicht nach ihm, mit dem sich die Stadtoberen so schwer taten in den vergangenen Jahren, der zentrale Platz benannt werden? Wenn schon die architektonischen Brüche fehlen im Bilde dieses Zentrums des Landes, wäre dann nicht zumindest dieser symbolische Bruch angemessen, sei es auch nur durch den Namen? Dort die Hüllen des Barock als Symbol des Absolutismus, dort der Name eines Republikaners, eines Bürgers, der die Monarchie beenden und eine Republik wollte, in der das Volk der Souverän ist.

Ist Potsdam sich seiner Rolle als Landeshauptstadt bewusst?

Ob der Wiederaufbau der historischen Innenstadt überhaupt sinnfällig ist, kann hier nicht neu diskutiert werden. Jedoch ist die Frage nicht beantwortet, ob der demokratisch, mit Mehrheiten legitimierte Wiederaufbau überhaupt die Wirkung dieser städtebaulichen Richtungsentscheidung auf die Demokratie in Brandenburg in den Blick nimmt – nämlich auf die Landespolitik der Bürger, die dort am Landtagsschloss ihre res publica vor den Toren der Mächtigen in Besitz nehmen. Ist sich diese Stadt ihrer Rolle, ihrer Verantwortung für die Bürger des gesamten Landes Brandenburg mitten im geistig-politischen Zentrum der Mark überhaupt bewusst? Einzig Verlass wäre da auf die Bürger, sie werden sich ihren Raum für ihre res publica selbst nehmen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })