Von Klaus Büstrin: Keine ausgetretenen Musik-Pfade
Das Potsdamer Ensemble Kleine Cammer-Music eröffnete ihre Konzertsaison mit frühbarocken italienischen Werken in der Friedenskirche
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Das Reisen nach Italien macht Spaß und vor allem: es bildet. Nicht nur, wenn es mit dem Koffer in das mediterrane Land gehen soll. Auch hierzulande sorgen Museen und Galerien, Bücher und vor allem Konzertsäle für wahre Entdeckungen. Vor allem Sänger und Instrumentalisten geben immer wieder vielfältige Einblicke, Gott sei Dank auch in die weniger ausgetretenen Pfade der italienischen Barockmusik des frühen 17. Jahrhunderts.
Dazu gehört die Kleine Cammer-Music, ein Potsdamer Alte-Musik-Ensemble, das unter der in puncto Musikgeschichte kenntnisreichen Leitung des Violinisten Wolfgang Hasleder bei seinen Zuhörern immer wieder für Überraschungen sorgt. In der Reihe „Harmonia mundi – Musica coelestis“ wurde am Sonntag das diesjährige Konzertprogramm in der Friedenskirche Sanssouci eingeläutet. In den vergangenen zwei Jahren war der Besuch leider relativ spärlich, so konnten sich Hasleder und sein Ensemble diesmal über ein weitaus größeres Interesse freuen.
Die frühe italienische Musik ist angefüllt von harmonischen Kühnheiten und rhythmischen Überraschungen. Wie ein Urknall, der sich von ganz Italien ausgehend wie ein Lauffeuer in ganz Europa ausbreitete, versprühten sich die neuen Formen und Stile. Von nicht allen Musikern, die das Feuer schürten, gibt es genaue Lebensdaten, geschweige denn Biographien. Aber man ließ sich stets einfangen von der Originalität, Kühnheit und Frische ihrer musikalischen Erfindungen. Auch Johann Havemann. Der zur Zeit des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm wirkende Kantor am Joachimsthalschen Gymnasium und Domkantor der Dominikanerkirche zu Berlin nahm in seine Ausgabe des ersten Teils der „Geistlichen Concerten“ im Jahre 1659 auch Vokalmusik italienischer Komponisten auf, so von Allessandro Grandi, dem Vizekapellmeister Claudio Monteverdis an St. Markus in Venedig. Von ihm sang die Sopranistin Doerthe-Maria Sandmann zwei Konzerte, in denen innige Gebete zu Jesus, dem „süßesten Gottessohn, dem Spiegel des Glaubens und der Lilie der Reinheit“, zu vernehmen sind. Begegnete dem Zuhörer mit „Ave mundi spes Salvator“ noch eine weitgehend stille Vertonung der damals weithin bekannten Dichtung, so weist beispielsweise „O Domine Jesu“ weitaus expressivere Züge auf. Es fühlt sich ganz dem Wort, der Aussage des Textes verpflichtet. Nicht anders die Geistlichen Konzerte, die für zwei Gesangsstimmen von Giovanni Pietro Finatti (O Jesu, mi dulcissime) sowie von Giovanni Cocci (Salvi me Jesu) komponiert wurden. Hierbei gesellte sich zu Doerthe-Maria Sandmann die Potsdamer Mezzosopranistin Kristiina Mäkimattila hinzu. Beide Sängerinnen vermochten mit ihren kultivierten und beweglichen Stimmen fein gesponnen und auch mit dynamischer Vitalität den frühbarocken Geist der Musik und die theologische Ausdeutung der Texte eindrücklich zu gestalten. Vielleicht wäre es jedoch günstiger gewesen, wenn Grandis eher in der Mittellage angesiedelte Piece „Ave mundi spes Salvator“ die Mezzosopranistin gesungen hätte, denn hierbei war der vokale Glanz Doerthe-Maria Sandmanns, der sich ja besonders in der Höhe entwickelt, nicht immer gegeben.
Die Kleine Cammer-Music mit Wolfgang Hasleder und Rahel Mai, beide Violine, Kathrin Sutor, Viola da gamba, Sabine Erdmann, Truhenorgel, und Andreas Arend, Theorbe, war in den Geistlichen Konzerten unterschiedlich beteiligt, mal als gesamtes Ensemble, dann auch nur mit dem Basso continuo. Die Besetzungsmöglichkeiten wurden von Anfang an mit viel Gespür für die Wirkungen genutzt, um ein Höchstmaß an Abwechslung zu erzeugen, vor allem beim Continuo. Hierbei fiel besonders das Spiel der Theorbe auf, das mit einem erstaunlich präsenten Klang auf sich aufmerksam machte.
Neben dem Einblick in Havemanns Sammlung ließ die Kleine Cammer-Music Werke venezianischer Komponisten erklingen, von Giovanni Battista Riccio, Giovanni Rovetta, Dario Castello, Tarquinio Merula und Biagio Marini, der als Erfinder der Doppelgriffe und des Bogenvibratos der Geige gilt. Neben den Canzonen und einer Passacaglia erklang in der Friedenskirche die neumodische „Sonata concertate in stile moderno“ von Dario Castello. Sie gab damals den Ensemblemusikern Gelegenheit mit dem Klang und den technischen Möglichkeiten der Geige zu experimentieren. Wolfgang Hasleder und Rahel Mai gaben den nicht ausufernden Werken eine changierende Mischung aus substanzreicher Tongebung und Brillanz, ohne sie je schrill zu überzeichnen oder ins Oberflächliche kippen zu lassen. Mit großer Eindringlichkeit beispielsweise erklang das so emotionsgeladene und auch affektreiche Passacaglio, das Biagio Marini fern der Heimat schrieb, beim Herzog und Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm in Neuburg an der Donau, wo er 30 Jahre tätig war. Der Pfalzgraf stand übrigens nach dem Dreißigjährigen Krieg im Dauerstreit um die Besitzungen in Kleve und Jülich mit dem Großen Kurfürsten von Brandenburg. Aber dies ist heute nur von historischem Interesse. Die Zuhörer erfreuten sich am Sonntag an der vielfarbigen frühbarocken Musik, die mit viel Fingerspitzengefühl und Genauigkeit dargebracht wurde.
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