
© Bidayyat
„Syrien – Was tun?“-Diskussion in der SLB Potsdam: Kopf aus dem Sand
Journalistin Kristin Helberg und Aktivistin Kristin Lüttich klären Fragen zum Syrien-Konflikt.
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Das Thema Flüchtlinge frustriert. Entweder wird es stark vereinfacht und für populistische Zwecke missbraucht oder in seiner Komplexität als unlösbares Problem hingestellt. Da wünscht man sich einen großen Sandhaufen, in den man unbedarft seinen Kopf hineinstecken kann. Oder – was auch gegen Ratlosigkeit hilft – Fragen stellen. Und so hat die Potsdamer Stadt- und Landesbibliothek (SLB) am vergangenen Dienstagabend in Kooperation mit dem Verein queer.Kultur und der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg mit der Veranstaltung „Syrien – Was tun?“ versucht, diesen Fragen ein Forum zu bieten.
Die Journalistin Kristin Helberg, Nahostexpertin und bis 2008 Auslandskorrespondentin in Damaskus, gab einen Überblick über die Ausgangslage und Entwicklung des Syrienkonflikts. Daran knüpfte eine Vorführung syrischer Kurzfilme an, die von der non-profit Organisation „Bidayyat für Audiovisuelle Kunst“ gefördert und von Mitbegründerin Christin Lüttich kommentiert wurden. Beide Frauen haben lange in Syrien gelebt, sind mit Syrern verheiratet und durch Freunde und Verwandte direkt betroffen vom Bürgerkrieg und seinen Folgen. Das verlieh der Veranstaltung eine persönliche Komponente, die noch durch die Anwesenheit syrischer Flüchtlinge verstärkt wurde.
Während Helberg den Verlauf der Revolution und des Bürgerkriegs skizzierte und das Knäuel von Interessensparteien im Syrienkonflikt entwirrte, zeigten die von Bidayyat geförderten syrischen Filme Dokumentaraufnahmen aus dem syrischen Alltag. Etwa ein Lager im Libanon, wo die Flüchtigen mit Hämmern ihre Zelte einreißen. „Erst musste ich das Zelt bezahlen und nun sagen sie mir, ich muss gehen“, sagt eine ältere Frau. Es ist ein Leben in der Warteschleife, bei dem die Flüchtlinge ständig von Lager zu Lager geschickt werden. Die provisorischen Zelte, in denen sie leben, müssen sie selbst zahlen – auch wenn sie offiziell nicht arbeiten dürfen. Nach dem Film meldet sich eine Syrerin zu Wort. Auf Arabisch erzählt sie von ihrem Versuch, im Libanon eine Schule aufzubauen, was jedoch durch die Behörden boykottiert wurde.
„Es wächst da eine Generation von Analphabeten heran“, bestätigt auch Helberg. Es sei unabdinglich, dem entgegenzuwirken, indem man den Flüchtigen Zugang zu Bildung verschaffe. Für Helberg liegt der Ursprung des Konflikts in der Person Bashar al-Assads, der den „Flickenteppich aus Protesten“ zu Beginn der Revolution dermaßen gewaltsam niederschlug, dass er damit eine Radikalisierung der Demonstranten provozierte.
Dabei war mit seinem Amtsantritt im Jahr 2000 zunächst die Hoffnung auf Reformen verbunden. Er hatte in England studiert und ist von Beruf eigentlich Augenarzt. „Nicht der typische Machtmensch“, sagt Helberg. Die Erwartungen der Bevölkerung wurden jedoch bald enttäuscht: „Er hat das Land wirtschaftlich modernisiert, aber nicht reformiert. Das war das große Missverständnis.“ Solange Assad an der Macht sei, werde kein Rebell seine Waffen niederlegen.
Was also tun? Helberg plädiert dringend für die Einrichtung von Bombenschutzzonen in Syrien. Das liege auch im größten Interesse der Bundesregierung – nämlich um den Flüchtlingsstrom zu begrenzen. In Syrien gebe es momentan kein sicheres Gebiet zum Leben, so Helberg. Krankenhäuser, Schulen und Markplätze würden dauerhaft bombardiert, von Assads und von russischen Raketen. Deshalb müsse man dringend Russland in die Lösung des Konflikts einbeziehen. Helberg kritisiert die Pläne der Bundesregierung, den Familiennachzug zu stoppen und auch Lüttich macht die Folgen plastisch: „Statt ein Familienmitglied über das Meer zu schicken, werden dann alle gleichzeitig den gefährlichen Weg auf sich nehmen müssen.“
Die beiden Expertinnen machten das Ausmaß der Interessenskonflikte in Syrien greifbar. Und auch, wie viel Unverständnis trotz Dauerbeschallung in den Medien doch noch herrscht, bewies der Abend in der SLB. Zuhörer wollen die Zusammenhänge begreifen und stellen eine Frage nach der anderen: Welche Rolle spielen der Iran und die Türkei im Konflikt? Warum sind zur Syrien-Konferenz in Genf keine Kurden geladen worden? Ist es eine Lösung, Syrien aufzuteilen und schließlich auch die Gretchenfrage: Welche Rolle spielt die Religion in dem Konflikt denn eigentlich? „Das ist kein konfessioneller, sondern ein politischer Konflikt“, so Helberg. Der IS beziehe seinen Zuwachs nicht aus seiner Ideologie, sondern aus seinen finanziellen Anreizen. „Die jungen Syrer versuchen sich irgendwie über Wasser zu halten. Wenn dir da jemand 100 Dollar und eine eigene Kalaschnikow in die Hand drückt, gibt dir das eine Perspektive.“ Auch hier machte Helberg deutlich, wie sehr das Assad-Regime im Gegensatz zum IS in Europa unterschätzt werde: Es töte zehn Mal so viele Zivilisten wie der IS. „Da schauen mich immer alle ganz ungläubig an.“ Helberg beruft sich dabei auf Zahlen des Syrian Network of Human Rights.
Am Ende kam die Frage, die wohl alle Teilnehmer überhaupt erst in die SLB gelockt hatte: „Was können denn wir als Zivilbevölkerung tun?“ Die Antwort ist so unbefriedigend wie unbequem und doch so richtig: Man muss sich beteiligen. „Wo ist die deutsche Friedensbewegung?“, so Lüttich. „Wo ist die Bewegung, die nicht nur gegen etwas, sondern für etwas protestiert?“
Das Forum in der SLB scheint die richtige Form gefunden zu haben, über das Thema Flüchtlinge zu sprechen. Und das, wo doch eigentlich viele Veranstaltungen dieser Art darauf aus sind, eine Diskussion ins Laufen zu bringen – dabei aber häufig versäumen, dass eine Diskussion ohne das entsprechende Vorwissen der Teilnehmer zu emotionaler Argumentation – und damit Polemik – verkommt. Wer nicht fragt, bleibt eben dumm. Dem kann man mit genügend Input aber entgegenwirken. Theresa Dagge
Theresa Dagge
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