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Feministischer Audio-Bot. Wo Alexa immer Ja sagt, geht Sophy Gray von Nadja Verena Marcin in die Verweigerung - und sieht dabei aus wie der Maschinenmensch Maria von Fritz Lang.

© Nadja Verena Marcin

Kunst gewordene Verweigerung: Glitch Art am Griebnitzsee

Normalerweise wird in der Potsdamer Digitalvilla zu Wirtschaftsinformatik geforscht. Jetzt geht es dort um Kunst, die Fehlfunktionen zum Prinzip erhebt.

Vor einigen Tagen ging ein kleines Beben durch den internationalen Kunstbetrieb, dessen Erschütterungswellen bis nach Babelsberg zu spüren waren. Bis in die Karl-Marx-Straße 67, um genau zu sein. Hier steht die Digitalvilla der Universität Potsdam, Sitz des Instituts für Wirtschaftsinformatik. Geleitet von Norbert Gronau, Professor für digitale Technologien – und interessiert an Kunst und störanfälliger Technik. So kommt es, dass in der Villa derzeit nicht nur zu Wirtschaftsinformatik, sondern auch zu Glitch Art geforscht wird. Eine Kunst, die Fehlfunktionen, digital oder analog, zum Prinzip erhebt. Ein „glitch“, das ist ein Ausrutscher.

Zwischen Kunst und Informatik. Die Digitalvilla der Universität ist bis Ende Juni Labor für Glitch Art.
Zwischen Kunst und Informatik. Die Digitalvilla der Universität ist bis Ende Juni Labor für Glitch Art.

© Andreas Klaer

Womit wir wieder bei besagtem Beben wären. Ende März sollten am traditionsreichen Auktionshaus Sotheby’s in New York erstmals NFTs von Werken der Glitch Art versteigert werden: 17 Künstler waren gelistet. Alles Männer. Ein Skandal, so empfand das die digital weit verzweigte Glitch Art Community. Dazu kam: Sotheby’s warb mit dem Werk der niederländischen Künstlerin Rosa Menkman für die Auktion, eine der bekanntesten Aktivistinnen der Glitch Art. Nur: In der Auktion selbst war sie gar nicht vertreten.

Glitch ist eigentlich kein Genre, sondern eine Bewegung. Es ist etwas, das zwischen Politik, Protest, Dekonstruktion und Identität oszilliert.

Verena Voigt, Kunsthistorikerin und Kuratorin

Dafür aber hat Rosa Menkman einen Fuß in der Digitalvilla in Babelsberg. Seit 22. März hängt hier jenes Motiv von ihr im Gang, das das Auktionshaus für sich verwendet hatte. Als die von der Stiftung Kunstfonds geförderte Veranstaltungsreihe in der Digitalvilla eröffnet wurde, reiste sie an den Griebnitzsee und sprach über jene Werkserie, mit der Sotheby’s zeitgleich für sich warb: „How not to be read“. Der Titel könnte als Motto für Glitch Art insgesamt herhalten: Wie man es schafft, nicht verstanden zu werden. Glitch, so hat die Aktivistin Legacy Russell das in ihrem Buch „Glitch Feminism“ beschrieben, ist auch Protest. Kunst gewordene Verweigerung.

Stein des Anstoßes. Mit diesem Motiv der niederländischen Künstlerin Rosa Menkman warb das Auktionshaus Sotheby’s für sich - ohne die Künstlerin an der Auktion zu beteiligen.
Stein des Anstoßes. Mit diesem Motiv der niederländischen Künstlerin Rosa Menkman warb das Auktionshaus Sotheby’s für sich - ohne die Künstlerin an der Auktion zu beteiligen.

© Andreas Klaer

Kein Genre: eine Bewegung

Wer verstehen will, warum es so ein Skandal ist, dass bei der Sotheby’s-Auktion keine Frau dabei war, fragt am besten Verena Voigt. Die Potsdamer Kuratorin und Kunsthistorikerin hat das Recherche-Projekt an der Digitalvilla initiiert. Sie hat zu Glitch geforscht und die Workshops, Performances und Vorträge organisiert, die bis Ende Juni in Babelsberg geplant sind. „Glitch ist eigentlich kein Genre, sondern eine Bewegung“, sagt sie. Für sie ist Glitch Art in der Nähe von Dada oder Fluxus zu verorten. „Es ist etwas, das zwischen Politik, Protest, Dekonstruktion und Identität oszilliert.“ Glitch Art ist spätestens seit Legacy Russell vom Feminismus nicht zu trennen.

Eine der Künstlerinnen, die Verena Voigt nach Babelsberg eingeladen hat, ist Nadja Verena Marcin. Sie arbeitet als bildende Künstlerin und Filmemacherin in Berlin und New York. Am 24. April wird sie in der Digitalvilla ihr aktuelles Projekt #SOPHYGRAY vorstellen. „Ein feministischer Audio-Bot“, erklärt sie. Besucher:innen können in einer immersiven Installation oder über eine App mit dieser eigenwilligen Schwester virtueller Charaktere wie Alexa oder Siri kommunizieren. Wo Siri oder Alexa immer Ja sagen, sagt Sophy auch mal: „Weiß ich doch nicht“. Marcin nennt das: Sophy „glitcht“.

In Babelsberg zu Gast. Künstlerin Nadja Verena Marcin erklärt am 24. April, wie ChatBots funktionieren.
In Babelsberg zu Gast. Künstlerin Nadja Verena Marcin erklärt am 24. April, wie ChatBots funktionieren.

© Andreas Klaer

„Gefüttert“ wurde der Bot mit feministischen Texten von Bell Hooks oder Donna Haraway. Die Idee dahinter, sagt Verena Voigt: Erkennen, dass das unterwürfige Verhalten einer Alexa oder Siri an ein patriarchalisches Konstrukt erinnert. Der Mann beherrscht die mit weiblichen Merkmalen (Stimme oder Körper) versehene Maschine. Und weil das schon 1927 in Fritz Langs „Metropolis“ so war, trägt die Visualisierung von Marcins Sophy Gray die Züge des Maschinenmenschen Maria, der ersten Roboterfrau.

Und die Auktion bei Sotheby’s? Wurde abgesagt. Patrick Amadon, einer der Künstler, hatte sich aus Solidarität mit den Frauen aus der Auktion zurückgezogen. Bei den Künstlerinnen wird das als Sieg über das Establishment gefeiert. Von Rosa Menkman weiß Voigt, dass die Glitch-Art-Künstlerin inzwischen für die Fortsetzung der Auktion unter neuen Vorzeichen angefragt wurde. Geplant seien eine Ausstellung und ein Panel vom 12. bis 14. April. Einen neuen Termin für die Auktion aber gibt es noch nicht.

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