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Bei der Buchpremiere im Gespräch: Bärbel Dalichow, Grit Poppe und Karsten-Uwe Heye.

© Manfred Thomas

Kultur: Läuternde Erinnerungen?

Buchpremiere von „Wir wollten ein anderes Land“ im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte

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Viel Kraft kostet das Gestalten von Kommunalpolitik. Das war gestern so und auch in der Gegenwart. Besonders die Verantwortlichen einer Stadt sind da gefragt. Zu DDR-Zeiten gab es noch andere Anforderungen, als sich „nur“ mit dem Jugend-, Schul-, Kultur- und Sozialwesen, mit der Straßenreinigung, Abwasser- und Müllentsorgung zu beschäftigen, mit der Bau- und Verkehrsplanung sowie der Förderung von Wirtschaft, Tourismus und Beschäftigung. Da musste sich selbst eine Oberbürgermeisterin oftmals kümmern, dass beispielsweise genügend Brot bis 18 Uhr in den Verkaufsstellen zu kaufen war oder ein Klempner auch nach Feierabend die Heizung reparieren könne.

Brunhilde Hanke, die von 1961 bis 1984, also 23 Jahre Stadtoberhaupt von Potsdam war, versuchte am Donnerstagabend im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte deutlich zu machen, dass sie sich für diese Stadt stets eingesetzt habe, damit das Leben in schwierigen DDR-Zeiten funktioniere.

Der Andrang im Kutschstall war riesig, denn viele Potsdamer, vor allem diejenigen, die Brunhilde Hanke aus ihrer Amtszeit als Oberbürgermeisterin kennen, wollten an der Premiere des Buches „Wir wollten ein anderes Land“, das im renommierten Verlag Droemer/Knaur kürzlich erschien, teilnehmen. Brunhilde Hanke hat jedoch selbst nicht zur Feder gegriffen, sondern gemeinsam mit ihrem Mann, dem Kulturwissenschaftler Helmut Hanke, aus dem Leben in der DDR erzählt. Uwe-Karsten Heye, der gebürtige Rostocker, der vor sechs Jahren aus der alten Bundesrepublik nach Potsdam zog, hatte die Idee und sprach mit den Hankes.

Gemeinsam mit der ältesten Hanke-Tochter, Bärbel Dalichow, hat Heye das Manuskript als Buch herausgegeben. Bärbel Dalichow, aus der Kulturszene der Stadt nicht wegzudenken, hat sich darin mit ihren Erlebnissen und Denkweisen, die nicht immer konform mit ihren Eltern gingen und sogar als oppositionell galten, mit eigenen Texten in aller Offenheit und Ehrlichkeit eingebracht. Eine Lebensgeschichte wird lebendig, die sich vor allem in der untergegangenen DDR-Zeit abspielt, sie erzählt von Hoffnungen, Enttäuschungen, Schmerzen, Depressionen und auch Verdrängungen.

Moderatorin Ulrike Poppe, erste Stasi-Beauftragte des Landes Brandenburg, und die Premierenbesucher, die sich zu Wort meldeten, lobten vor allem den Mut des Ehepaares Hanke und Bärbel Dalichows, das Ambivalente nicht zu verbergen. Kritische Anfragen an die Autoren und an die anwesende Brunhilde gab es aber an diesem Abend erstaunlicherweise nicht oder waren sehr verhalten.

Tochter einer Oberbürgermeisterin zu sein, hatte für die heutige Direktorin des Filmmuseums in der Kinderzeit etwas Belastendes. „Ging ich zum Schuster oder musste ich sonst irgendwo meinen Namen nennen, hörte ich Klagen über die Obrigkeit, bedrückende Geschichten von Wohnungsnot und Ungerechtigkeit oder wurde gar verhöhnt. ,Da kommt die dicke Hanke – schönen Gruß an die Frau Mutter, es gibt wieder mal kein Klopapier!‘ Hohn und Spott“, schreibt sie. Brunhilde Hanke wusste um die Versorgungsprobleme. Aber man fragt sich heute, ob sie es nicht geahnt habe, dass, wer nicht in der Lage ist, im Sommer einheimisches Obst und Gemüse regelmäßig anzubieten oder regelmäßig Toilettenpapier und Zahnbürsten zu produzieren, scheitern müsse.

Die DDR hat sich gern als „Reich der Freiheit“ gesehen. Aber wer der Staatssicherheit alle Freiheit gibt, der produziert Atemnot. Bärbel Dalichow hat das gespürt. Sie opponierte. Und so geriet sie in die Klauen der Stasi. Das Kapitel dazu kann die Autorin kaum vorlesen. Es berührt sie noch heute zutiefst. Das Erzählen von den Verhören unter anderen im Stasi-Gefängnis in der Lindenstraße fällt ihr leichter. „Lindenhotel, so nennen es die potenziellen Insassen. Die meisten Stadtbewohner tun so, als gäbe es das Haus nicht. Wie die Eltern. Ein altes Gefängnis. Nun dient es auf dem Weg zum sozialistischen Paradies den Genossen für den Abschaum, der abgesondert werden muss.“ Brunhilde Hanke erklärt im Kutschstall, dass sie natürlich wusste, dass beispielsweise im Bautzener Gefängnis DDR-Oppositionelle inhaftiert wurden. Doch über das Ausmaß der Repressionen und Leiden, die die Häftlinge dort erfahren mussten, habe sie nichts gewusst. „Aber vielleicht habe ich das Wissen darum verdrängt“, fügt sie hinzu. Sie mag es nicht gesehen haben oder wollte es nicht, dass ein Staat, der Stacheldraht, Mauer und die Überwachung der Bürger durch die Staatssicherheit einsetzt, auf Dauer nicht lebensfähig noch lebenswürdig ist. Sie wurde ja auch von der Parteiführung nach allen Kräften gefördert. Ihr Mann wurde indes nach Kritik an der Kulturpolitik kaltgestellt

Man müsse die DDR differenziert sehen, sagt die Ex-Oberbürgermeisterin, die wie eh und je noch viel Warmherzigkeit ausstrahlt. Und Ulrike Poppe, die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin, meint, dass man den „sozialistischen“ Staat nicht nur in Grautönen sehen solle. Es gab in ihm auch so manch farbige Seiten. Und man könne die DDR nicht nur auf die Staatssicherheit fokussieren.

Ja, es gab in diesem Land auch authentisches und aufrechtes Leben. Erinnern hat Aufklärendes, Bereicherndes, Läuterndes. Das Buch will die Vergangenheit nicht begraben, sondern notwendige und heilende Erinnerungen wachhalten. Klaus Büstrin

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